Vierte Corona-Welle Impfpflicht durch die Hintertür: Immer mehr US-Unternehmen verlangen von Beschäftigten Immunisierung

Das Thema ist hochpolitisch und emotional und bringt Unternehmen in eine schwierige Lage.
New York, San Francisco Die Schilder sind gedruckt, ab Freitag geht es los. „Impfung und Maske sind im Innenraum Pflicht“ steht in großen, grünen Lettern auf den Schildern, die Restaurants, Bars, Fitness-Studios, Theater und andere Einrichtungen in San Francisco gut sichtbar an ihren Eingängen aufhängen müssen.
Die Stadt, die im vergangenen Jahr als eine der ersten Städte in den USA strenge Schutzmaßnahmen gegen das Covid-Virus ergriffen hatte, geht erneut mit deutlichem Beispiel voran: Mitarbeiter und Kunden müssen künftig voll geimpft sein. Die Vorschriften, so San Franciscos Bürgermeister London Breed, gäben den Unternehmen Rückendeckung, die in den vergangenen Wochen mit ihren eigenen Sicherheitsmaßnahmen vorgeprescht sind.
Wegen der gestiegenen Infektions- und Todeszahlen im Land durch die Delta-Variante haben Konzerne wie Google und Facebook, aber auch Banken wie Goldman Sachs oder JP Morgan Chase ihren Büro-Beschäftigten in den vergangenen Tagen eine Impfung verordnet. Wer zurück ins Büro will, muss voll geimpft sein, heißt es etwa bei JP Morgan. Im Aufzug, in den Gängen und an anderen Orten, wo keine Sicherheitsabstände eingehalten werden können, gilt zudem Maskenpflicht. Morgan Stanley entschied sich am Dienstag, die Impfausweise der Mitarbeiter auch tatsächlich zu kontrollieren und sich nicht nur auf ihr Wort zu verlassen.
Das Thema ist hochpolitisch und emotional und bringt Unternehmen in eine schwierige Lage. Denn längst nicht überall sind die Regeln so klar wie für Restaurants und Fitness-Studios in San Francisco. Eine landesweite Impfpflicht gibt es nicht. Die Regierung von Präsident Joe Biden überlässt es lieber den Unternehmen, Bundesstaaten und Schulleitern, Impfungen und das Tragen von Masken zu forcieren. „Durch Impfvorschriften liegt es in der Macht der Arbeitgeber, dabei zu helfen, die Pandemie zu beenden“, sagte Jeff Zients, Bidens Covid-Koordinator vergangene Woche.
Manager wollen ihre Belegschaft und ihre Kunden schützen, doch sie wollen gleichzeitig nicht die vergraulen, die eine Impfung ablehnen. Die einflussreiche Lobbyorganisation Business Roundtable, die derzeit von Walmart-CEO Doug McMillon geführt wird, befragt gerade ihre Mitglieder, um ihnen eine Orientierung über die Strategie der anderen Unternehmen zu geben. Die Ergebnisse sollen nicht öffentlich gemacht werden. Doch die Entscheidungen der vergangenen Tage zeigen, dass sich mehr und mehr Unternehmen aus der Deckung wagen.
US-Unternehmen dürfen anders als deutsche prinzipiell eine Impfung verlangen
Dabei haben US-Arbeitgeber das Gesetz im Grunde auf ihrer Seite. In den USA kann eine Impfung als Einstellungsbedingung betrachtet werden, ähnlich wie eine bestimmte Qualifikation für einen Beruf. Daher können Unternehmen, Krankenhäuser, Universitäten, Kommunal- oder Bundesstaatsregierungen eine Impfung zur Voraussetzung machen. Anti-Diskriminierungsgesetze würden im Falle von Impfungen nicht greifen, stellte das US-Justizministerium klar.
Arbeitnehmer haben zwar das Recht, eine Impfung zu verweigern, aber sie riskieren, ihren Job zu verlieren. Wer sich aus gesundheitlichen oder religiösen Gründen nicht impfen lassen kann oder will, hat jedoch das Recht auf eine angemessene Alternative wie eine Maskenpflicht und regelmäßige Tests.
Komplizierter wird es bei Mitarbeitern, die gewerkschaftlich organisiert sind. Dort muss der Tarifvertrag neu verhandelt werden, um die Impfpflicht mit aufzunehmen. Die Fluggesellschaften United und Hawaiian Air haben sich mit den Gewerkschaften entsprechend geeinigt. Doch nicht alle sind so kooperativ. Delta, Southwest und American Airlines setzen weiter darauf, dass sich Mitarbeiter freiwillig impfen lassen, und bieten als Anreize Einmalzahlungen oder einen zusätzlichen freien Tag an.
Walmart, Amerikas größter Arbeitgeber, hat sich für einen umstrittenen Mittelweg entschieden: Manager, die in der Zentrale in Bentonville, Arkansas, arbeiten, müssen geimpft sein. Mitarbeiter in den Filialen und in den Lagern, die den Großteil der Mitarbeiter ausmachen, werden dagegen nur „stark ermutigt“, sich impfen zu lassen. So will Walmart einen Konflikt vermeiden. Das Unternehmen sucht händeringend nach Mitarbeitern und will Arbeiter nicht unnötig vergraulen.
Unklar ist derzeit noch, ob Beschäftige, die durch eine Impfverweigerung ihre Stelle verlieren, auch ihr Anrecht auf Arbeitslosenhilfe verlieren. Denn Anspruch auf die Unterstützung hat eigentlich nur, wer unverschuldet seinen Job verliert. Die Entscheidung liegt im Ermessen der Bundesstaaten. Einige haben bereits angekündigt, die Fälle einzeln zu prüfen.
Florida verbietet Unternehmen, eine Impfung zu verlangen
Mit Hilfe aus der Politik können die Unternehmen derzeit nicht rechnen. US-Präsident Joe Biden will keine landesweite Impfpflicht anordnen. Lediglich für Mitarbeiter ausgewählter Behörden ist eine Impfung vorgeschrieben. Das Pentagon zum Beispiel fordert die Covid-Impfung ab September.
Biden steht vor einem schwierigen Balance-Akt. Der Demokrat will das Leben unangenehmer machen für all die, die sich dem Impfstoff verweigern. Doch er will zugleich einen Aufschrei der Impfgegner vermeiden, um die Spannungen im tief gespaltenen Amerika nicht unnötig zu schüren. Es ist auch ein politisches Kalkül: Die Demokraten halten in beiden Parlamentskammern nur knapp die Mehrheit. Eine staatlich angeordnete Impfpflicht könnte den Demokraten bei den Zwischenwahlen im November 2022 schaden.
Verkompliziert wird die Lage zudem durch einzelne, republikanisch geführte Bundesstaaten, die sich mit ihren Initiativen auf die Seite der Impfgegner schlagen. Floridas Gouverneur Ron DeSantis, dem Ambitionen auf eine Kandidatur für das Amt des US-Präsidenten nachgesagt werden, hat mit Gesetzen und Anordnungen zementiert, dass niemand von Behörden, Unternehmen oder Privatleuten nach seinem Impfstatus gefragt werden darf - und dass Schulen für ihre Schüler keine Maskenpflicht anordnen dürfen.
Einige Unternehmen zogen vor Gericht. So hat der Kreuzfahrtanbieter Norwegian Cruise Line Anfang August eine einstweilige Verfügung erwirkt, die es erlaubt, von Passagieren, die in Florida zusteigen, einen Impfnachweis zu verlangen. Gouverneur DeSantis hat umgehend angekündigt, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Norwegian-CEO Frank Del Rio nannte das Vorgehen „beschämend.“
Die Pandemie wütet derweil weiter im Land. Intensivbetten in jedem fünften Krankenhaus sind zu mindestens 95 Prozent belegt, wie aus Berechnungen des Finanzdienstleisters Bloomberg hervorgeht. Am Dienstag wurde ausgerechnet der Gouverneur aus dem ebenfalls impfkritischen Texas positiv getestet, obwohl er selbst geimpft war. Bidens Regierung vollzog eine Kehrtwende und plant, ab Herbst eine Auffrischungsimpfung für all jene anzubieten, deren zweite Impfung acht Monate zurückliegt. Auch die Maskenpflicht im Flugverkehr soll bis Mitte Januar verlängert werden. Tech-Konzerne wie Amazon und Facebook reagieren nicht mit einer Impfpflicht auf die jüngste Covid-Welle: Sie haben die Rückkehr in die Büros auf das kommende Jahr verschoben.
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