Imagebiopsy Diese Gründer helfen Radiologen mit Künstlicher Intelligenz bei der Knochenarbeit

Die Analyse mittels KI dient nicht nur dem Zweck der effizienten Diagnose, sie macht diese auch genauer.
Wien, Düsseldorf Treten Radiologen im Krankenhaus ihre Morgenschicht an, stapeln sich nicht selten die Röntgenbilder der Nacht zuvor auf ihren Pulten. Dann sind schnelle, vor allem aber fundierte Entscheidungen gefragt: Welche Knochenverletzung ist beispielsweise gravierender, sodass eine Operation angebracht ist? Und welche Bilder soll der Radiologe überhaupt zuerst anschauen?
Künstliche Intelligenz (KI) lautet das Zauberwort – wie mittlerweile fast überall, wo rasch Informationen verarbeitet werden müssen. Das vor fünf Jahren gegründete Wiener Unternehmen Imagebiopsy hat einen Algorithmus entwickelt, der anhand der Röntgenbilder analysiert, wie es im Knochen aussieht. „Unsere Software erstellt einen standardisierten Rapport, beispielsweise um eine Kniearthrose zu beurteilen“, sagt Firmenchef und Mitgründer Richard Ljuhar.
Die Analyse mittels KI dient dabei nicht nur dem Zweck der effizienten Diagnose, sie macht diese auch genauer. Gemeinhin gilt die Medizin als exakte Naturwissenschaft. Aber menschengemachte Diagnosen sind oft nicht so eindeutig, wie Patienten glauben. „Radiologen und Orthopäden schauen ein Röntgenbild an und kommen nicht selten zu unterschiedlichen Schlüssen“, sagt der Ingenieur Ljuhar. „Oft handelt es sich bei einer Diagnose um eine subjektive Einschätzung.“
Und so müssen sich beispielsweise Patienten mit Kniebeschwerden einer Operation unterziehen, obwohl es gereicht hätte, wenn sie ihr Gewicht reduziert hätten, um das Gelenk zu schonen. „KI verbreitert in solchen Fällen das Wissen“, sagt Ljuhar.
Praktische Mediziner stimmen dieser Ansicht zu. „Menschen sind schlecht darin, Dinge exakt zu quantifizieren“, sagt Felix Nensa, Oberarzt der Radiologie der Uniklinik Essen und IT-Spezialist. „In der Muskel-Skelett-Bildgebung wird die Quantifizierung immer wichtiger.“ Deshalb setzt Imagebiopsy laut Nensa auf die richtige Technik.
Auch in Deutschland hat man das Potenzial kluger Radiologie-Befundung erkannt. Das Münchener Unternehmen Smart Reporting hat im vergangenen Jahr eine Finanzspritze von 15 Millionen Euro erhalten. Das Heidelberger Unternehmen Mint Medical, ebenfalls auf strukturierte Radiologie-Software spezialisiert, wurde im März von dem Medizinsoftware-Unternehmen Brainlab aufgekauft. Und das Berliner Unternehmen Neo-Q mit seiner Software Radio Report ist ebenfalls darauf aus, Marktanteile zu erobern.
Unternehmen, die eine Radiologie-KI trainieren, haben eine Herausforderung zu meistern: Es ist schwierig, an gute, also strukturierte Daten zu kommen. Der Radiologe spricht seine Einschätzung eines Röntgenbilds oft frei in ein Diktiergerät. Manchmal ist seine Interpretation zwei Sätze lang, manchmal füllt sie mehrere Seiten. Unternehmen wie Smart Reporting oder Neo-Q haben eine Radiologie-Software mit Textbausteinen entwickelt. Der Arzt diktiert nicht mehr, er klickt sich durch und produziert so strukturierte Daten für die KI.
Die Suche nach IT-Spezialisten ist auch in Wien ein Dauerthema
Imagebiopsy klingt zwar nach steriler Medizin, aber in den Wiener Büros des Unternehmens herrscht die typische Gründerstimmung einer IT-Firma. Ljuhar und der Leiter Produktentwicklung, Christoph Götz, sind in kurzen Hosen unterwegs und schweben in Socken über das Parkett.
So klischeehaft das nach Start-up-Unternehmen klingen mag: Umgekehrt haben die Gründer von Imagebiopsy ebenfalls fixe Vorstellungen davon, wie es bei etablierten Firmen zugeht. Zum Leidwesen der beiden Jungunternehmer hat man soeben einen Spezialisten für KI an eine Bank in Zürich verloren. Dort verdiene man zwar mehr als in Wien, aber er frage sich, wie man in Anzug und Krawatte programmieren könne, feixt Götz.

Die Gründer von Imagebiopsy haben fixe Vorstellungen davon, wie es bei etablierten Firmen zugeht.
Die Suche nach IT-Spezialisten ist auch bei der Wiener Jungfirma ein Dauerthema. Den Eignern ist bewusst, dass man mit den Löhnen in München oder Zürich nicht mithalten kann. Ljuhar mag trotzdem nicht über den Fachkräftemangel klagen. Das Kultur- und Freizeitangebot sei in Österreichs Hauptstadt riesig, und im Vergleich zu gewissen Großstädten in den beiden deutschsprachigen Nachbarländern hat Wien einen Vorteil: Wohnen ist vergleichsweise günstig.
Das ist gerade für Post-Docs und junge Akademiker aus Zentral- und Osteuropa ein Argument. Und so setzt sich der 40-köpfige Mitarbeiterbestand von Imagebiopsy aus Angehörigen von zehn Nationalitäten zusammen.
Die nächste Förderrunde ist in den USA geplant
Weiter internationalisieren will Ljuhar auch das Geschäft. Die Firma hat knapp über 100 Kunden, wobei die deutschsprachigen Länder einen Schwerpunkt bilden. Zu den Investoren der ersten Stunde gehören ferner die deutsch-österreichische Private-Equity-Firma Apex Ventures sowie AWS, ein Förderfonds der Republik Österreich. „Die nächste Investitionsrunde wird aber in den USA stattfinden“, sagt Ljuhar.
Dieses Land ist für ein Unternehmen der Medtech-Branche in mancher Hinsicht ein attraktiverer Markt als Europa. Auf dem alten Kontinent ist das Zulassungsprozedere vergleichsweise aufwendig, etwa wegen der vielen Sprachen. Produktbeschreibungen müssen aufwendig übersetzt werden.
Die Vereinigten Staaten dagegen sind ein einheitlicher Markt. „Europa ist gut, um Erfahrungen zu sammeln und zu lernen“, sagt Ljuhar. „Aber das große Geschäft macht man in den USA.“ Dort gibt es gewichtige Gesundheits- und Klinikorganisationen, und sobald ein Unternehmen mit einer von ihnen ins Geschäft gekommen ist, kann es sein Angebot skalieren.
Dabei setzt Ljuhar in den USA auch auf „altgediente Vertriebler“. Diese seien vielleicht nicht in jedem Fall die schnellsten, würden sich aber auskennen und hätten Beziehungen. Für reife Semester ist das beruhigend zu hören – ihre Erfahrung ist offenbar auch bei Jungunternehmen noch gefragt.
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