Tengelmann: Wie das Verschwinden des Chefs die Firma verändert
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Suche nach Firmenchef erfolglosWie das Verschwinden von Karl-Erivan Haub Tengelmann verändern wird
Die Familie sieht keine Überlebenswahrscheinlichkeit für den Tengelmann-Chef. Wie geht es ohne die Identifikationsfigur weiter für das Unternehmen?
Der Geschäftsführer der Tengelmann-Gruppe bleibt verschwunden.
(Foto: action press)
Düsseldorf Der Schock sitzt tief. Seit Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub in den italienisch-schweizerischen Alpen vermisst wird, herrscht Ausnahmezustand, sowohl bei seiner Familie als auch in seinem Firmenimperium. „Mir ist sehr bewusst, dass auch Sie der Situation fassungslos und persönlich betroffen gegenüberstehen“, schrieb sein Bruder Christian Haub vergangene Woche in einem Brief an die Mitarbeiter. Und er ergänzte: „Daher ist es sicherlich nicht leicht, den Tagesaufgaben ruhig und besonnen nachzugehen.“
Doch stärker als die Sorge um die Firma steht zunächst das Schicksal von Karl-Erivan Haub im Mittelpunkt. Am Freitag hat sich die Familie schweren Herzens dazu entschlossen, öffentlich bekanntzugeben, dass sie keine Überlebenswahrscheinlichkeit mehr sieht. Er wird seit mehr als einer Woche vermisst und war auf seiner Skitour in dem Gletschergebiet des Matterhorns nur mit einem leichten Rennanzug unterwegs. Ihn noch lebend zu finden, würde an ein Wunder grenzen. Daher hat die Familie eingewilligt, die Überlebendensuche auf eine Bergungssuche umzustellen.
Damit stellt sich die schwere Frage: Was wäre die Unternehmensgruppe ohne ihre Identifikations- und Führungsfigur? Und wie könnte es in Zukunft für das Familienunternehmen weitergehen?
Eines hat Christian Haub, der auch Co-CEO des Unternehmens ist, klargestellt: „Unser Familienunternehmen ist solide aufgestellt und verfügt über ein stabiles und erfahrenes Führungsteam, sowohl in der Holding als auch in den Geschäftsfeldern. Es besteht also zumindest in dieser Hinsicht kein Anlass zur Sorge.“
In der Tat ist Tengelmann, spätestens seit dem Verkauf der angeschlagenen Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann Ende 2016, mehr eine Beteiligungsholding als ein operativ tätiges Unternehmen. Alle Firmen, an denen die Gruppe beteiligt ist, wie etwa Kik, Obi, Tedi oder Babymarkt.de, werden seit Jahren erfolgreich von familienfremden Managern geführt.
Und doch: Ohne Karl-Erivan Haub fehlt jemand, der langfristige strategische Entscheidungen für die ganze Gruppe trifft, die zuletzt einen Umsatz von neun Milliarden Euro ausgewiesen hat. Denn das Familienunternehmen ist seit Jahren auf seine Person zugeschnitten.
Er hat alle wichtigen Maßnahmen eingeleitet, die Firma nach außen repräsentiert und auch gerne politisch Stellung bezogen. Ob sein Bruder Christian diese Aufgaben übernehmen kann und will, darüber hat sich die Familie im Detail noch keine Gedanken gemacht.
Karl-Erivan Haub hat sich zwar nicht direkt in das operative Geschäft der Unternehmen eingemischt, aber er hat sich, wenn es ihm wichtig schien, immer auch um Details gekümmert und Fragen in persönlichen Gesprächen geklärt. Regelmäßig nahm er seine Top-Manager mit auf gemeinsame Reisen. So war er zuletzt mit ihnen in Südafrika, um sich über Märkte der Zukunft und neue Trends im Handel zu informieren.
Haub scheute keine Auseinandersetzung
Die enge Begleitung des Unternehmens durch die Familie dürfte wohl in Zukunft abnehmen. Wahrscheinlich ist, dass sich die Gruppe noch weiter in Richtung eines Family-Office entwickelt, ein Weg, den beispielsweise auch das Familienunternehmen Haniel gegangen ist. Das käme auch Christian Haub entgegen, falls er die Führungsrolle übernimmt. Er hat einige Jahre als Investmentbanker in New York gearbeitet und kennt sich im Portfoliomanagement aus. Zudem führt er US-Beteiligungen des Unternehmens, die in der Beteiligungsgesellschaft Emil Capital Partners gebündelt sind.
Eine stärkere Rolle könnte künftig auch der erfahrene Handelsmanager Stefan Heinig spielen, der als Mitgesellschafter an den Discountern Kik und Tedi beteiligt ist. Er ist der Familie eng verbunden. „Heinig als Händler und Karl-Erivan Haub haben sich sehr gut ergänzt“, sagt einer, der die Familie gut kennt. Ähnlich könnte Heinig auch Christian Haub unterstützen. Doch egal, wie es weitergeht: Der Unfall Karl-Erivan Haubs wird eine Lücke reißen, die so leicht nicht zu schließen sein wird.
Der 58-Jährige war ein herzlicher Mensch. Das zeigte sich oft schon bei der Begrüßung. Wenn er jemandem die Hand gab, nahm er gern die zweite Hand hinzu, um die seines Gegenübers zu umschließen. Und er war aufmerksam, fragte stets „Wie geht es Ihnen?“, registrierte auch eine neue Frisur. Als Tengelmann im September 2017 das 150. Jubiläum mit Hunderten Gästen auf dem Firmengelände in Mülheim an der Ruhr groß feierte, drückte er jedem, dem er begegnete, die Hand.
Doch er war auch ein Mann, der keine Auseinandersetzung scheute, wenn er das Wohl der Firma in Gefahr sah. Mit großer Energie hat er beispielsweise für den Verkauf von Kaiser’s Tengelmann an Edeka gestritten, den damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel davon überzeugt, eine Ministererlaubnis für den Verkauf zu erteilen. „Einen Testosteronkrieg der Häuptlinge“, hat sein Kontrahent, der damalige Rewe-Chef Alain Caparros, die Auseinandersetzung genannt. Und das meinte er durchaus auch anerkennend.
Tengelmanns Firmenimperium
Gemeinsam mit dem Unternehmer Stefan Heinig ist Tengelmann an dem Textildiscounter Kik und dem Billiganbieter Tedi beteiligt. Beide wachsen in dem preisgünstigen Segment aggressiv und bringen Gewinne. Eine Mehrheitsbeteiligung hält das Unternehmen außerdem an Obi, mit einem Umsatz von sechs Milliarden Euro Marktführer im Baumarktgeschäft. Ein besonders wichtiges Engagement war Karl-Erivan Haub auch die Beteiligung an Babymarkt.de. Die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann wurde Ende 2016 an die Konkurrenten Edeka und Rewe verkauft.
Über zwei Beteiligungsgesellschaften investiert Tengelmann Geld in junge Unternehmen. So hält „Tengelmann Ventures“ Anteile an europäischen Start-ups, darunter Delivery Hero und Klarna.com. „Emil Capital Partners“ ist beteiligt an 27 jungen Unternehmen aus den USA, Kanada und Israel. Darüber hinaus ist Tengelmann direkt beteiligt an dem Onlinehändler Zalando und der Edeka-Tochter Netto.
In der Gesellschaft Trei Real Estate sind nicht nur die Handelsimmobilien der Gruppe gebündelt, sie entwickelt auch neue, lukrative Geschäftsfelder. Sie investiert beispielsweise in Wohnanlagen mit Apartments für Ein- bis Zweipersonenhaushalte und in Studentenwohnungen. Ein wichtiges Standbein sind außerdem Fachmarktzentren in Osteuropa.
Geholfen hat Haub, dessen Familienvermögen das US-Magazin Forbes auf rund sechs Milliarden Dollar schätzt, auch immer, dass er nicht nur politisch engagiert war, sondern auch sehr gute Kontakte in die Politik pflegte. Die Unterstützung der CDU gehört für die Familie zur Tradition.
Schon sein im März verstorbener Vater bekannte sich mit Anzeigen zu den Christdemokraten: Zur Bundestagswahl 1994 hieß es in den Zeitungen: „Im Zweifelsfall für Kohl“. Als 2005 Merkel erstmals gegen den SPD-Kanzler Schröder antrat, warb Tengelmann unter Führung von Karl-Erivan Haub: „Im Zweifel für eine Frau“, 2013 lautete der Slogan: „Im Zweifel für die Raute“.
Im August 2009 kam Merkel während ihrer Sommerreise in die Tengelmann-Zentrale. Haub war sichtlich stolz. „Es ist für meine Familie und unsere Mitarbeiter eine besondere Ehre, zu dem Kreis von Firmen zu gehören, die Frau Merkel besucht“, sagte er.
Früh in Zalando investiert
Doch zuletzt haderte der Unternehmer mit der CDU und ihrer Vorsitzenden Merkel. „Deutschland wird nur noch verwaltet, aber nicht mehr reformiert“, kritisierte er im Handelsblatt-Interview Ende 2017 – und forderte eine personelle Erneuerung. „Wir brauchen junge, moderne, lautere Politiker.“
Auf einer Handelsblatt-Veranstaltung hatte er vor der Wahl das Kanzlerduell zwischen Merkel und Martin Schulz aus der Perspektive des Unternehmers kommentiert. Haub wies vor allem auf übergangene Themen hin. „Wirtschaftsfragen wurden zu wenig besprochen“, klagte er. Digitalisierung gar nicht. Da sei inhaltlich nicht viel für seine Zwillinge dabei gewesen, sagte er. Am Abend der Wahl prophezeite Haub, Deutschland werde wieder von einer Großen Koalition regiert – und er behielt recht.
Der Mann, der sich gern als „Old-School-Händler“ bezeichnete, war aber auch einer der Visionäre im Handel. Vor Jahren bekam er einen Wunschzettel von seinen Kindern, darauf standen fünf Geschenkvorschläge für Weihnachten und am Schluss der Tipp: „Liebe Mami, lieber Papi, das könnt ihr auch alles ganz leicht über das Internet bestellen.“
Ein prägendes Erlebnis. Als einer der ersten Unternehmer investierte er in digitale Start-ups. Haub initiierte auch den renommierten „e-Day“, ein Treffen von Händlern, Gründern und Investoren am Firmensitz in Mühlheim an der Ruhr.
Er investierte zudem 20 Millionen Euro in Zalando – und zwar 2009, als den Namen des Berliner Start-ups noch kaum einer kannte. Damit schaffte Haub es sogar, Oliver Samwer beim „e-Day“ auf die Bühne zu holen. Er möge solche Auftritte eigentlich nicht, sagte der Gründer von Rocket Internet, der einst Zalando großzog. „Aber ich schulde der Familie Haub etwas.“
Die nächsten Monate werden nun zeigen, wie dieses Vermächtnis von Karl-Erivan Haub weitergeführt wird.
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