Autozulieferer Schaeffler bereitet milliardenschwere Kapitalerhöhung in der Autokrise vor

Die Franken wollen weniger abhängig von der Automobilindustrie werden.
Stuttgart Die deutschen Autozulieferer kämpfen derzeit gleich mit drei Krisen, die ihr Geschäftsmodell fundamental bedrohen. Die Nachfrage aus der Autoindustrie ist schwach, die Transformation zur Elektromobilität kostspielig, und zudem wirbelt die Corona-Pandemie die Produktion durcheinander.
Die Antwort auf diese Herausforderung ist überall ähnlich: Gegen die Corona-bedingte Nachfrageschwäche hilft Kurzarbeit, gegen den langfristigen Strukturwandel ein Stellenabbau. Um das Geld zusammenzuhalten, werden Investitionen gekürzt und gestreckt. Andererseits müssen die Zulieferer investieren, um in der Elektromobilität im Spiel zu bleiben. Der Zulieferkonzern Schaeffler ist nun einer der ersten, die den Finanzmarkt um eine Kapitalerhöhung angehen.
Schaeffler lädt am 15. September zu einer außerordentlichen Hauptversammlung ein. Dort soll es grünes Licht geben für die Möglichkeit einer Bezugsrechtskapitalerhöhung um bis zu 200 Millionen Vorzugsaktien, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. Zum jetzigen Zeitpunkt würde dieses Manöver bei einem Aktienkurs von knapp sechs Euro 1,2 Milliarden Euro in die Kasse spülen.
Die vergleichsweise niedrige Eigenkapitalquote von derzeit 15 Prozent würde sich erhöhen. Die Ratingagentur S&P hatte Schaeffler deswegen bereits das Investmentgrade aberkannt. Der Zulieferer aus Herzogenaurach ist allerdings für die kommenden Jahre durchfinanziert.
Mittelfristig will das Unternehmen wieder in den Investmentgradebereich zurück. Eine Kapitalerhöhung würde sicher dabei hilfreich sein.
Die Franken wollen aber in erster Linie mit dem frischen Geld ihre Transformation vorantreiben, potenzielle Wachstumschancen nutzen und den Streubesitz erhöhen. „Die mögliche Kapitalerhöhung ist ein Vertrauensbeweis der Familie und gibt dem Unternehmen die notwendige Flexibilität“, sagte Vorstandschef Klaus Rosenfeld dem Handelsblatt. „Wer zu den Gewinnern zählen will, muss fähig sein, richtig und schnell zu handeln. Und das können wir mit dem Vorratsbeschluss noch besser.“
Schaeffler-Aktie nach Ankündigung unter Druck
Die Hauptversammlung soll online stattfinden. Sie ist nur eine Formsache, denn die Familie Schaeffler hält die Stimmrechte zu 100 Prozent. Besitzer von Vorzugsaktien sind bei der Aktionärsversammlung nicht stimmberechtigt.
Auch die von der Familie Schaeffler gehaltenen Stammaktien haben ein Bezugsrecht. „Sollte es zu einer Ausnutzung des genehmigten Kapitals kommen, wäre ein Ziel einer solchen Kapitalerhöhung auch, den Streubesitz der Schaeffler-Aktie zu erhöhen“, heißt es in der Mitteilung etwas verklausuliert. Die Familie deutet damit an, dass sie ihre Bezugsrechte für die stimmrechtlosen Vorzugsaktien nicht oder nur zum Teil ausüben wird. Das heißt, dass ihre Beteiligung am Kapital von bislang 75 Prozent sinken dürfte.
Eine Abgabe von Stimmrechten sei nicht geplant, ließ Rosenfeld durchblicken, der in engem Kontakt mit Aufsichtsratschef Georg Schaeffler steht. Insgesamt hat Schaeffler bislang 666 Millionen Aktien ausgegeben, davon 500 Millionen Stammaktien und 166 Millionen stimmrechtslose Vorzugsaktien. Jetzt sollen bis zu 200 Millionen Vorzugsaktien hinzukommen.
Das Ermöglichen einer Kapitalerhöhung belastete den Kurs der Schaeffler-Aktien erheblich. Die Papiere gaben rund neun Prozent nach. Offensichtlich sind die Anleger nicht sonderlich begeistert von den Plänen, die für Altaktionäre eine Verwässerung der Anteile nach sich ziehen.

„Jetzt gibt es keinen Grund bis zur nächsten ordentlichen Hauptversammlung zu warten.“
Rosenfeld verteidigte das ungewöhnliche Timing. Bei der ordentlichen Hauptversammlung vor wenigen Wochen sei die Lage noch unklarer gewesen. „Jetzt gibt es keinen Grund, bis zur nächsten ordentlichen Hauptversammlung zu warten“, sagte Rosenfeld. Er betonte, dass keine Großakquisition geplant sei. Kapitalerhöhungen werden häufig als Akquisitionswährung benutzt. Es könne punktuell kleinere Zukäufe geben, räumte Rosenfeld ein.
In der Vergangenheit war Schaeffler immer wieder auch mit großen Übernahmen gewachsen wie mit der Übernahme der FAG Kugelfischer oder der Beteiligung an Continental. Letztere wird allerdings nicht von der Schaeffler AG, sondern von der Familie gehalten.
Es ist seit Längerem das erklärte Ziel von Schaeffler, weniger abhängig von der Automobilindustrie zu werden. Das Unternehmen ist mit Wälzlagern groß geworden, stellt aber auch Kupplungssysteme, Getriebeteile, Nockenwellenversteller her. Rosenfeld betonte, dass nur noch knapp zwei Drittel des Umsatzes mit der Autoindustrie getätigt würden. Produkte, die bei Elektroautos weniger gebraucht werden. Als „Spezialist für die Verringerung von Reibung“ sieht Rosenfeld beim Thema Nachhaltigkeit die Stärke des Unternehmens, wie etwa bei der Windkraft.
Der Schaeffler-Chef ist fest davon überzeugt, dass die Franken zu den Gewinnern nach der Krise zählen werden. „Wir haben eine starke Liquiditätsposition und einen moderaten Verschuldungsgrad. Mit dem Vorratsbeschluss können wir uns jetzt noch besser auf die Chancen fokussieren“, betonte Rosenfeld.
Ganz so optimistisch sind allerdings manche Analysten nicht. „Schaeffler ist ein Unternehmen in der Restrukturierung, noch sehr in den alten Technologien der Autowelt und ihren Verbrennungsmotoren zu Hause. Schaeffler muss da noch einiges aufholen“, betonte Frank Schwope von der NordLB. Erst Anfang August hatte Schaeffler für das zweite Quartal einen um ein Drittel auf 2,3 Milliarden Euro gesunkenen Umsatz berichtet.
Rosenfeld sah damals allerdings die Talsohle durchschritten. Vor Zinsen und Steuern machte Schaeffler im zweiten Quartal einen Verlust von 135 Millionen Euro nach einem Plus von 253 Millionen Euro im Jahr zuvor. Unter dem Strich stand ein Minus von 168 Millionen Euro.
Im ersten Quartal hatte der Nettoverlust auch wegen Abschreibungen 184 Millionen Euro betragen. Der Stellenabbau wurde damals verschärft. Statt 1300 sollen 1900 Stellen in Deutschland in einem freiwilligen Programm gestrichen werden. Eine weitere Verschärfung ist noch offen.
„Wir sind gut durch die Krise gekommen“, betonte Rosenfeld jetzt. Der Konzern profitiere von seiner breiten Aufstellung. Das Industrie- und das Ersatzteilgeschäft hätten geholfen, die Rückgänge in der Automotive-Sparte abzumildern. Ursprünglich hatte Schaeffler für 2020 eine operative Umsatzrendite von 6,5 bis 7,5 Prozent und einen Umsatzrückgang von bis zu zwei Prozent in Aussicht gestellt. Doch Ende März kassierte Rosenfeld wegen der Coronakrise die Prognose.
Branche rechnet mit längerer Durststrecke
Schaeffler hatte im vergangenen Jahr schon die Flaute auf den internationalen Automobilmärkten zu spüren bekommen. Der Umsatz des fränkischen Konzerns stagnierte bei 14,4 Milliarden Euro. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern brach auch wegen der Kosten für den geplanten Stellenabbau von knapp 1,4 Milliarden Euro auf 790 Millionen Euro ein.
Auch viele andere Unternehmen in der Branche hatten in den vergangenen Wochen und Monaten Stellenabbau und Arbeitszeitverkürzungen angekündigt und sich Finanzpuffer für die Krisenbewältigung verschafft. So einigte sich der Zulieferer ZF mit Arbeitnehmervertretern auf eine Arbeitszeitreduktion um 20 Prozent. Im Gegenzug will ZF bis 2022 auf betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen verzichten.
Weiteren Spielraum verschaffte sich ZF mit einer zusätzlichen Kreditlinie in Höhe von 1,35 Milliarden Euro. Zusammen mit einer nicht ausgenutzten bestehenden Kreditlinie verfügt das Stiftungsunternehmen über 4,7 Milliarden Euro Liquiditätsreserven.
Eine Kapitalerhöhung wie bei Schaeffler ist Stiftungsunternehmen wie ZF, aber auch dem Weltmarktführer Bosch verwehrt. Bosch hatte allerdings zu Jahresanfang noch ein Liquiditätspolster von 19 Milliarden Euro. Aber auch bei den Stuttgartern werden Tausende Stellen abgebaut, und die Arbeitszeit wird in bestimmten Bereichen verkürzt. Bosch hatte Ende Juli die Arbeitszeit in den Bereichen Entwicklung, Forschung, Vertrieb und Verwaltung gesenkt. Auch den Schwaben droht erstmals seit der Finanzkrise vor zehn Jahren ein Verlustjahr.
Und bei Continental, an dem ebenfalls die Familie Schaeffler beteiligt ist, rechnet man mit einer längeren Durststrecke. Vorstandschef Elmar Degenhart erwartet frühestens nach dem Jahr 2025 mit Produktionszahlen auf einem Niveau von 2017. Über die Maßnahmen wird noch verhandelt. „Eine Arbeitszeitverkürzung mit einer Jobgarantie für ein paar Jahre ist aus unserer Sicht keine nachhaltige Lösung“, sagt Conti-Personalvorständin Ariane Reinhart kürzlich dem Handelsblatt.
Klar ist: Die jetzige Durststrecke wird wohl länger dauern als die Finanzkrise. Damals zog das Geschäft nach 18 Monaten wieder an. Die Unternehmen profitierten vom Chinaboom und der Abwrackprämie, beide Faktoren helfen dieses Mal nur bedingt. Die grundsätzlichen Lehren von damals gelten auch heute: Kosten senken und frisches Kapital besorgen. „Wir sind bislang gut durch die Krise gekommen und haben früh mit Kostensenkungen begonnen“ , betonte der Schaeffler-Chef.
Mehr: Schaeffler-Chef Rosenfeld: „Wir halten lange durch, wenn das notwendig ist.“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.