Diesel-Verfahren EU-Generalanwalt: VW-Thermofenster verstoßen möglicherweise gegen EU-Gesetz

Die Richter am EuGH folgen häufig der Argumentationslinie des Generalanwalts, sind aber nicht daran gebunden.
Düsseldorf Von Volkswagen in älteren Dieselmodellen verwendete Thermofenster sind möglicherweise unzulässig. Das deutete Generalanwalt Athanasios Rantos am Donnerstag in seinem Gutachten für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg an. Eine endgültige Entscheidung, ob diese Software tatsächlich rechtswidrig ist, müssten allerdings nationale Gerichte in jedem Einzelfall treffen.
Die sogenannte „Thermofenster“-Software im Diesel ist schon länger als ein Jahrzehnt Standard in der Automobilindustrie und nicht nur ein Thema für den Volkswagen-Konzern. Der Begriff verweist darauf, dass die Abgasreinigung zur Minimierung von Stickoxiden immer nur in einem bestimmten Temperaturintervall – in einem Fenster – vollständig funktioniert. Wird es zu kalt oder zu warm, geben die Autos die Abgase ungereinigt an die Atmosphäre ab, weil die Abgasreinigung abgeschaltet wird.
Der EuGH muss über drei Fälle aus Österreich entscheiden, die VW-Diesel mit Thermofenstern betreffen. Die Abgasreinigung funktioniert in diesen konkreten Fällen nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 und 33 Grad und unterhalb von 1000 Meter Meereshöhe. Als eine Art Ankläger gibt der Generalanwalt die wichtigste Stellungnahme vor dem EuGH ab. Das Gericht hält sich meist an diese Vorgaben, ein finales Urteil ist in einigen Monaten zu erwarten.
Generalanwalt Rantos hat dem Einsatz von Thermofenstern mit seinem Gutachten vom Donnerstag zumindest Grenzen gesetzt. Thermofenster könnten demnach als „unzulässige Abschalteinrichtungen“ gewertet werden, betonte er vor dem Luxemburger EuGH. Bauteile, die nicht unmittelbar zum Motor gehörten, rechtfertigten keinen Einsatz von Thermofenstern. Rantos nannte als Beispiele Emissionsminderungs- und Abgasrückführungssystem, zu denen auch der Dieselpartikelfilter gehört. Ein Thermofenster, mit dem diese Bauteile geschont werden sollen, sei nach EU-Recht verboten.
Zum Schutz des Motors erlaubt
Ganz anders sieht es aus, wenn es um den ausschließlichen Schutz des Motors geht. In diesem Fall sind Abschalteinrichtungen wie ein Thermofenster am Ende doch erlaubt. Solche Funktionen seien beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es um eine „konkrete Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs“ gehe, so Rantos. Eine solche Konstellation könne beispielsweise dann gegeben sein, wenn ein Ventil aus der Abgasrückführung nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert und damit Motorenaussetzer drohten.
Der Generalanwalt – und in wenigen Monaten der EuGH mit seinem wahrscheinlich ähnlichen endgültigen Urteil – gibt damit nur einen groben Rahmen vor, innerhalb dessen nationale Gerichte immer über den jeweiligen Einzelfall entscheiden müssen. Deshalb dürften die drei aktuellen Dieselfälle aus Österreich in wenigen Monaten wieder zurück in die Alpenrepublik gehen. Die österreichischen Gerichte müssen dann prüfen, ob bei einem einzelnen Fahrzeug die Voraussetzungen für den zulässigen Einsatz von Thermofenstern gegeben sind.
Nicht nur Volkswagen, sondern die gesamte Automobilindustrie hat am Donnerstag das Geschehen vor dem EuGH interessiert verfolgt. Denn ein komplettes Verbot von Thermofenstern hätte alle europäischen Autohersteller getroffen, nicht nur den Konzern aus Wolfsburg. Eine Klagewelle von Millionen von Dieselfahrern hätte dadurch ausgelöst werden können. Mit den engeren Thermofenstern sind vor allem Dieselfahrzeuge der älteren Emissionsnorm Euro 5 unterwegs. Davon fahren allein in Deutschland rund 4,8 Millionen Exemplare auf den Straßen.
Ein komplettes Verbot der Thermofenster gibt es nun nicht, die Autobranche kann aufatmen. So sieht es zumindest auch der Volkswagen-Konzern. Der Wolfsburger Autohersteller sieht sich in seiner Position bestätigt, dass „eine Abschalteinrichtung aus Gründen des Motorschutzes zulässig“ sei. „Das ist der Fall, wenn unmittelbare Beschädigungsrisiken drohen“, sagte ein Konzernsprecher. Die von VW verwendeten Thermofenster dienten genau diesem Zweck, unmittelbare Gefährdungen des Motors auszuschließen. Wenn der Motor etwa während eines Überholvorgangs ausfalle, seien Leib und Leben der Passagiere in Gefahr.
Urteil im Sinne der Automobilindustrie
Volkswagen steht deshalb möglichen neuen Klagen wegen des Einsatzes von Thermofenstern vergleichsweise gelassen gegenüber. Sie hätten „weiterhin keine Aussicht auf Erfolg“, so der Konzernsprecher weiter. Auf nationaler Ebene hatte vor wenigen Tagen auch der Bundesgerichtshof (BGH) im Sinne der Automobilindustrie geurteilt. Eine Klage gegen den Daimler-Konzern wegen der Verwendung von Thermofenstern war auch in Deutschland abgewiesen worden.
Aus Sicht von Volkswagen haben Thermofenster zudem in der aktuellen Situation jede Bedeutung verloren. Die Abgasreinigung bei den derzeit verkauften neuen Dieselmotoren funktioniere in einem Temperaturintervall zwischen minus 25 und plus 70 Grad. Damit würden alle wesentlichen Klimabedingungen abgedeckt. Die engeren Temperaturgrenzen gebe es nur bei den älteren Fahrzeugen mit einem früheren Stand der Technik. Diese Dieselmodelle würden aufgrund ihres Alters nach und nach von den Straßen verschwinden.
Umwelt- und Verbraucherverbände begrüßten das Schlussplädoyer des Generalanwalts trotzdem und sprachen sich für neue Klagen gegen Autohersteller wie Volkswagen aus. „Das Gutachten ist Wasser auf unsere Mühlen bei den Klagen gegen die Dieselhersteller wie VW, Daimler und Mercedes“, sagte Peter Kolba, Vorsitzender des österreichischen Verbraucherschutzvereins (VSV). Seine Organisation biete Dieselkäufern „kosten- und risikolose Klagen“ gegen Autohersteller an.
Die EuGH-Verhandlung in Luxemburg hatte keine Auswirkungen auf die Volkswagen-Aktie. Zum Nachmittag notierte das Papier mit rund 1,5 Prozent im Plus.
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