Pharmaindustrie Der Wettlauf um die Kapazitäten für Impfstoffe beginnt

Weltweit versuchen Forscher, einen Impfstoff zu entwickeln.
Frankfurt Mehr als 100 Impfstoffprojekte haben Firmen und Forschungsinstitute laut WHO inzwischen im Bereich Covid-19 gestartet. Über deren Erfolg werden am Ende nicht nur die Forschungsresultate entscheiden, sondern auch Produktionsmöglichkeiten.
Deshalb kommt inzwischen auch der Wettlauf um den Aufbau der nötigen Kapazitäten in Fahrt, wie die jüngsten Allianzen von Impfstoffentwicklern zeigen. So vereinbarte die US-Biotechfirma Moderna jetzt eine strategische Partnerschaft mit dem Schweizer Auftragsfertiger Lonza für die Herstellung des Impfstoffs mRNA-1273, den Moderna im Auftrag der US-Regierung entwickelt und seit März an den ersten Patienten testet.
Das Produkt ist einer von mehreren RNA-basierten Impfstoffkandidaten. Schon im Juli soll die Produktion in US-Anlagen von Lonza starten. Ziel sei es, die Produktion auf bis zu eine Milliarde Impfdosen auszubauen und damit die eigene Kapazität zu verzehnfachen, so Moderna. Lonza könnte das nach Schätzung der Baader Bank Umsätze von 500 bis 700 Millionen Dollar bringen.
Einen Tag zuvor hatte sich die Universität Oxford mit dem britischen Pharmakonzern Astra-Zeneca verbündet, um Produktionskapazitäten für ihren potenziellen Covid-19-Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19 zu schaffen.
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Dabei handelt es sich um einen harmlosen Adeno-Virus, in den Gene des Coronavirus eingebaut wurden. Astra-Zeneca könnte hier seine Erfahrung und Kapazitäten im Bereich der biotechnischen Produktion einbringen und will auch den Vertrieb übernehmen.
Die deutsche Biotechfirma Biontech und ihr US-Partner Pfizer, die ebenfalls an einem RNA-basierten Impfstoff arbeiten, hatten bereits im April den Aufbau von Kapazitäten für „Hunderte von Millionen“ an Impfstoffdosen angekündigt. Der Pharmariese Pfizer investiert dazu bis zu 748 Millionen Dollar in die Allianz.
Erhebliche Herausforderungen
Der US-Gesundheitskonzern Johnson & Johnson (J&J) wiederum kündigte Investitionen von einer Milliarde Dollar an, um Kapazitäten für mehr als eine Milliarde Dosen eines Covid-19-Impfstoffs zu schaffen, den J&J in Kooperation mit der staatlichen Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) entwickelt.
Die Impfstoff-Entwickler im Bereich Covid-19 stehen produktionstechnisch vor erheblichen Herausforderungen. Denn um eine schnelle und breite Immunisierung der Weltbevölkerung gegen das Coronavirus zu ermöglichen, müssten schon im kommenden Jahr mindestens fünf bis sechs Milliarden an Impfdosen zur Verfügung stehen.
Zum Vergleich: Derzeit werden weltweit von mehreren Herstellern zusammen jährlich etwa 1,5 Milliarden Dosen an Grippeimpfstoffen produziert. Die nötigen Anlagen dazu wurden über viele Jahre hinweg nach und nach aufgebaut.
Eine globale Impfaktion gegen Covid-19 erscheint vor diesem Hintergrund nur möglich, wenn parallel zu Forschung und klinischen Tests bereits ein sehr starker Kapazitätsaus- und -aufbau erfolgt.
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Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist die globale Geberkonferenz, mit der die EU mindestens 7,5 Milliarden Euro für die Impfstoffentwicklung und -produktion einsammeln will, ein wichtiges Signal für die Branche.
„Nur ganz wenige der vielen Impfstoffentwickler verfügen über die Expertise und Kapazitäten, um solche Impfstoffe im großen Stil herzustellen“, zeigt sich Sanofi-Chef Paul Hudson überzeugt.
Der französische Pharmakonzern zählt sich als einer der vier größten Impfstoffhersteller klar zu diesem Kreis. Er hat sich für die Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs mit dem Branchenführer Glaxo-Smithkline (GSK) verbündet.
Der Umfang der Investitionen wird dabei zum einen von der Wirksamkeit beeinflusst. Je stärker die immunisierende Wirkung eines Vakzins ausfällt, desto kleiner kann die Dosis ausfallen und desto geringer ist tendenziell auch der Kapazitätsbedarf in der Produktion.
Unterschiedliche Impftechnologien
Zum anderen spielt die Impftechnologie eine wichtige Rolle. Sollten sich zum Beispiel sogenannte Totimpfstoffe als beste Variante erweisen, wie sie etwa von der chinesischen Sinovac jüngst getestet wurden, müssten in sehr großem Stil Coronaviren in speziellen Anlagen mit hohen Sicherheitsstandards vermehrt werden.
Etwas günstiger könnte es für proteinbasierte Impfstoffen aussehen, bei denen nur einzelne Bestandteile des Virus geimpft werden. Die biotechnischen Verfahren für die Herstellung solcher Proteine sind breit etabliert, allerdings sind auch hier hohe Investitionen für den Aufbau neuer Anlagen nötig, und das Hochfahren der Produktion ist erforderlich.
Zudem benötigen solche Protein-Impfstoffe meist zusätzliche Impfverstärker, sogenannte Adjuvanzien, für die ebenfalls zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden müssen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund hat sich Sanofi mit GSK verbündet.
Produktionstechnische Vorteile bieten theoretisch die mRNA-Impfstoffe. Denn sie benötigen kein Adjuvans und können im Prinzip einfacher hergestellt werden. Allerdings gibt es auch noch keinerlei Erfahrung in der Massenproduktion von solchen Produkten.
Denn bisher sind weder Impfstoffe noch Medikamente auf Basis dieser Technologie zugelassen und auf dem Markt. Firmen wie Moderna, Biontech oder die Tübinger Curevac, die ebenfalls an einem Corona-Impfstoff aus mRNA arbeitet, betreten durchweg Neuland, was die industrielle Produktion solcher Impfstoffe betrifft.
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