Börsengang von Daimler Truck: Chef Daum sieht nur langsame Erholung nach Corona
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InterviewDaimler-Truck-Chef: „Unsere Kunden haben gesagt: Wenn ihr uns die Busse liefert, gehen wir bankrott“
Martin Daum, Chef von Daimler Truck, spricht über die coronabedingten Zahlungsprobleme vieler Kunden im Geschäft mit Reisebussen. Besserung sei kaum in Sicht.
Das größte Sorgenkind des Topmanagers ist allerdings das Geschäft mit Reisebussen, das bis heute schwer unter den Folgen der Coronakrise leidet. „Wir haben im April 2020 auf einen Schlag keinerlei Bestellungen mehr bekommen“, sagt Daum. Auch bestehende Aufträge habe sein Unternehmen damals vielfach gar nicht abschließen können.
„Viele Kunden haben uns gesagt: Wenn ihr uns die bestellten Busse ausliefert, gehen wir bankrott“, erklärt der 61-Jährige. Trotz vertraglicher Rechte habe man die Kunden nicht zur Abnahme gedrängt, sondern die Busse zunächst in den eigenen Bestand genommen.
Besserung ist kaum in Sicht. „Wir erleben gerade ein Unwetter bei Reisebussen“, konstatiert Daum. Zwar fährt Daimler die Produktion in seinem Reisebuswerk in Neu-Ulm aktuell wieder langsam hoch. „Aber das geht nur für eine endliche Zeit“, betont Daum. Bevor die Reiseunternehmen wieder neue Fahrzeuge ordern würden, müssten diese erst einmal wieder solide Cashflows generieren. „Es wird wieder aufwärtsgehen, aber das wird noch eine Zeit lang dauern“, glaubt Daum. Womöglich könnten Jahre vergehen.
Martin Daum
Der Manager soll Daimler Truck im Dezember an die Börse führen.
(Foto: Bloomberg)
Dennoch will Daum am Geschäft mit Reisebussen festhalten. Die langfristigen Potenziale des Bereichs seien sehr attraktiv. Daimler Truck will künftig vor allem in Nordamerika mit seinen Mercedes-Reisebussen stärker punkten und eine Alternative zu Kurzflügen bieten.
Mittelfristig sollen die Busse auch über eine wasserstoffbasierte Brennstoffzelle angetrieben werden. „Das wird uns helfen, der am besten verdienende Bushersteller der Welt zu bleiben“, sagt Daum.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Daum, Sie sind gläubiger Protestant und fühlen sich den christlichen Werten auch im Wirtschaftsleben verpflichtet. Zugleich wollen Sie Daimler Truck so schnell wie möglich auf Rendite trimmen und sind bereit, „harte Entscheidungen“ zu fällen. Wie passt das zusammen? Ich sehe hier überhaupt keinen Widerspruch. Christliche Werte zu leben heißt ja letztlich, Verantwortung zu übernehmen – für Kunden, Mitarbeiter und Umwelt. Die geringste Verantwortung als Manager kann ich übernehmen, wenn meinem Unternehmen die Mittel fehlen, um in die Zukunft zu investieren. Solide Finanzen sind daher eine Grundvoraussetzung guter, verantwortungsvoller und auch christlicher Unternehmensführung.
In der Bibel steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Wer ist Ihnen als Vorstandschef kurz vor der Börsennotierung der Nächste – der Aktionär? Aktionäre, Kunden und Mitarbeiter sind absolut gleichwertig. Wenn eine dieser Gruppen in der Gleichung fehlt, funktioniert es nicht. Die Investoren stellen uns das Kapital bereit, damit wir loslegen können. Die Kunden müssen von unseren Produkten und deren Nutzen begeistert sein, um sie zu kaufen. Und ohne den Einsatz unserer Beschäftigten kriegen wir sowieso keinen einzigen Lkw vom Band. Nichts ist so effizient wie zufriedene Mitarbeiter.
Viele in Ihrer Belegschaft sorgen sich aktuell aber wegen des drohenden Abbaus von Tausenden Stellen. Zur christlichen Verantwortung gehören auch klare Ansagen zur Zukunft. Leider benötigen wir bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen weniger Arbeitsplätze als beim Bau von Lastwagen mit Verbrennungsmotoren. Darauf müssen wir uns einstellen. Glücklicherweise erfolgt die Umstellung aber über einen sehr langen Zeitraum, sodass wir den Wandel sozialverträglich bewältigen können.
Welchen Mehrwert bietet der Spin-off von Daimler Truck eigentlich Ihren Mitarbeitern? Nicht wenige fürchten, Ihnen geht es bei dem Schritt vorrangig um das Wohl der Investoren. Da muss ich widersprechen. Der Nutzen, der sich für die Aktionäre ergibt, spiegelt am Ende ja nur die Vorteile wider, die sich für alle anderen Gruppen ergeben. Durch die Eigenständigkeit können wir uns am Markt viel besser behaupten. Wir können schneller Entscheidungen treffen, leichter Kapital aufnehmen, schneller Kooperationen eingehen und sind attraktiver für Investoren. Uns muss weder vor Wettbewerbern noch der Transformation bange sein. Wir sind eine kerngesunde Firma und werden noch stärker. Und davon profitieren unsere Mitarbeiter ebenso wie die Aktionäre.
Im Daimler-Konzern wurde das Lastwagengeschäft oft nur als Beiwerk neben der dominanten Pkw-Sparte gesehen. Überwindet Daimler Truck mit dem Spin-off jetzt seinen Minderwertigkeitskomplex? Wir haben keinen Minderwertigkeitskomplex. Wir sind seit jeher eine globale Firma und Weltmarktführer in unserem Metier.
Chipmangel bremst den Absatz
Wie eigenständig wird Daimler Truck künftig sein? Mercedes-Benz bleibt ja Kernaktionär und dürfte mit Argusaugen auf Ihre Kosten und Margen achten. Es ist der klare Wille von Mercedes-Benz, langfristiger Aktionär bei uns zu sein. Es gibt keinerlei Gedanken, da frühzeitig rauszugehen. Ich freue mich zudem darüber, mit Harald Wilhelm und Renata Jungo Brüngger zwei erfahrene Kollegen von Mercedes im Aufsichtsrat zu haben. Die Stimme des Aktionärs Mercedes-Benz wird aber nicht anders sein als die von anderen Investoren.
Ihr künftiger Aufsichtsratsvorsitzender, Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser, gilt als Mann mit einem klaren Gestaltungsanspruch. Wie ist Ihr Verhältnis? Wir kommen sehr gut miteinander aus. Als ich das Angebot bekommen habe, als CEO weiterzumachen, war für mich ganz wichtig, dass das Verhältnis zum Aufsichtsratsvorsitzenden hervorragend ist. Meine Zusage hing daher eng mit der Berufung von Joe Kaeser zusammen. Wir schätzen einander sehr. Man kann sagen: Er wollte mich und ich wollte ihn.
Zusammen müssen Sie die Ertragskraft von Daimler Truck erhöhen. Ausgerechnet vor der Abspaltung gehen Ihnen aber die Chips aus und die Energie- und Rohstoffkosten steigen rasant. Mit welchen Zusatzbelastungen rechnen Sie?
Vita Martin Daum
Der 61-jährige Betriebswirt startete seine Karriere als Unternehmensberater und wechselte 1987 zu Daimler. Er gilt als Architekt des Turnarounds der US-Nutzfahrzeugtöchter Freightliner und Western Star. Unter seiner Führung von 2009 bis 2016 stieg Freightliner sogar zur profitabelsten Lastwagenmarke der Welt auf. Seit März 2017 ist Daum als CEO von Daimler Truck für alle Marken des weltgrößten Lkw- und Busherstellers zuständig. Im Dezember soll er den Konzern als eigenständiges Unternehmen an die Börse bringen.
Daimler Truck ist der weltgrößte Hersteller von Nutzfahrzeugen über sechs Tonnen. Mit den Hauptmarken Mercedes-Benz, Freightliner und Fuso verkaufte der Konzern in guten Jahren mehr als eine halbe Million Fahrzeuge und beschäftigt rund 100.000 Mitarbeiter rund um den Globus.
Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht im Detail sagen. Klar ist: Die höheren Energie- und Rohstoffpreise werden sich am Ende auch im Preis unserer Produkte niederschlagen. Ohne Chipmangel würden wir dieses und nächstes Jahr auf ein Rekordniveau beim Absatz zusteuern. Die Nachfrage ist groß, umso ärgerlicher ist die aktuelle Situation.
Ein Segment, das unabhängig vom Chipmangel stark zu kämpfen hat, ist das Geschäft mit Reisebussen. Gibt es hier langsam Anzeichen für Besserung? Der Reisebus ist in der Tat jenes Segment, das am stärksten von der Coronakrise betroffen war und ist. Wir haben im April 2020 auf einen Schlag keinerlei Bestellungen mehr bekommen. Auch unsere bestehenden Aufträge konnten wir damals vielfach gar nicht abschließen.
Warum? Viele Kunden haben uns gesagt: Wenn ihr uns die bestellten Busse ausliefert, gehen wir bankrott. Obwohl wir die vertraglichen Rechte hatten, haben wir die Kunden nicht zur Abnahme gedrängt, sondern die Busse zunächst in unseren Bestand genommen. Auch das ist christliche Verantwortung.
In Ihrem Bus-Werk in Neu-Ulm wurde monatelang kurzgearbeitet. Wie geht es dort jetzt weiter? Wir haben bis Oktober die wenigen Aufträge, die wir haben, fertiggestellt, und fahren die Produktion langsam wieder hoch. Aber das geht nur für eine endliche Zeit. Die ersten Flixbusse und Reiseunternehmer sind zwar wieder auf den Straßen unterwegs, aber noch nicht im Umfang wie vor der Coronakrise. Bevor die Reiseunternehmen neue Busse ordern, müssen sie erst einmal wieder solide Cashflows generieren. Es wird wieder aufwärtsgehen, aber das wird noch eine Zeit lang dauern.
Können Sie es sich wirklich leisten, das Reisebusgeschäft und das Werk in Neu-Ulm so lange durchzuschleppen? Wir erleben gerade ein Unwetter bei Reisebussen. Mir ist die langfristige Zukunft der Firma allerdings wichtiger als der kurzfristige Kapitalmarkterfolg. Wir haben in unserer Reisebusproduktion in Neu-Ulm mit der Marke Setra eine lange Tradition, die wir fortführen wollen. Wir sind sicher, dass wieder sehr gute, sonnige Zeiten kommen werden.
Handelskonflikte als Risiko
Mit Nostalgie alleine dürften Sie Ihre Investoren aber nicht vom Erhalt des Werks überzeugen können. Unsere Setra-Busse sind extrem ertragsstark. Das wissen auch unsere Investoren. Die langfristigen Potenziale im Busbereich sind darüber hinaus enorm attraktiv. Schauen Sie zum Beispiel nach Nordamerika. Da waren wir mit Reisebussen bisher kaum präsent. Erst vor Kurzem haben wir dort aber einen Mercedes-Reisebus präsentiert: extrem luxuriös ausgestattet und vernetzt. Das ist das ideale Fahrzeug, um in den USA auf der Fernbusstrecke das Flugzeug für kurze Flüge abzulösen. Mittelfristig wollen wir auch einen CO2-freien Bus mit Brennstoffzelle anbieten. Das wird uns helfen, der am besten verdienende Bushersteller der Welt zu bleiben.
Die Brennstoffzellen wollen Sie gemeinsam mit Volvo Trucks produzieren. Sind die Schweden auch bei der Weiterentwicklung von schweren Dieselmotoren Ihre erste Wahl? Ich gebe Ihnen frühzeitig Bescheid, wie unsere Pläne dazu aussehen.
Wir bitten darum. Aber aus welchem Bereich müsste denn der Partner kommen? Das muss jemand sein, der Ahnung vom Geschäft hat.
Mercedes Pkw arbeitet mit Geely bei der Produktion von kleinen Motoren zusammen. Die Chinesen drängen aber auch ins Nutzfahrzeuggeschäft und sind an Volvo Trucks beteiligt. Wäre Geely auch für Sie ein spannender Partner? Wir führen viele interessante Gespräche dieser Tage. Klar ist: Wir haben bei Daimler die Verbrennungsmotoren mit dem geringsten Verbrauch und über unsere Plattform die größten Volumina. Insgesamt werden die Stückzahlen bei schweren Motoren zurückgehen, daher wollen wir die zukünftig notwendigen Aufwendungen teilen, um mehr Geld in Batterien und Brennstoffzellen investieren zu können.
Ihre Trucks und Busse sind weltweit gefragt. Wie schädlich sind die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA für Ihr Geschäft? Das ist eine der größten Herausforderungen der Zukunft. Wir bei Daimler Truck kennen keine Landesgrenzen. Bei uns spielt es keine Rolle, welchen Pass jemand hat. Wir sprechen Englisch in unseren Sitzungen. Wir entwickeln und produzieren gemeinsam Produkte, die Probleme lösen. Sanktionen jeglicher Art sind für unser Geschäftsmodell kontraproduktiv. Und auch für die jeweiligen Länder selbst.
Inwiefern? Immer dann, wenn ein Land Handelsschranken aufbaut, kostet es im Land selbst Wohlstand. Es sind Politiker, die Handelsschranken aufbauen. Die Bevölkerung muss das dann mit teureren und schlechteren Produkten bezahlen.
Aber sind Sie für den Fall vorbereitet, dass sich der Konflikt zwischen China und den USA intensiviert? Im Truck-Bereich machen wir 80 Prozent unseres Geschäfts von Europa oder Nordamerika aus. Eine transatlantische Disruption wäre für uns daher deutlich problematischer als ein Konflikt zwischen China und den USA. Das ist wahrscheinlich im Pkw-Bereich ein größeres Thema.
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