Deutscher Kulturförderpreis: Die Strecker-Stiftung bringt Grundschuldkinder zum Singen

Grundschulkinder singen vor dem Staatstheater in Mainz mit Blick auf den Dom.
Mainz. Die alten Dielen knarren auf dem Weg in das Büro von Peter Hanser-Strecker, Leiter des Schott Verlags und Vorsitzender der Strecker-Stiftung. Der Schott Musikverlag feierte im ersten Pandemiejahr sein 250-jähriges Jubiläum. Hanser-Strecker trat 1968 im Alter von 26 Jahren in den Verlag ein, hat sein 50-jähriges Dienstjubiläum längst hinter sich und keine Lust auf Ruhestand. Die Wände seines Büros im historischen Gebäude am Weihergarten in der Mainzer Altstadt sind gepflastert mit Porträts großer Komponisten von Beethoven über Liszt und Wagner bis zu dem ukrainischen Zeitgenossen Valentin Silvestrov. Viele tragen persönliche Widmungen.
Mit am Tisch sitzt seine Tochter Saskia Osterhold, die das Projekt „Singen ist klasse“ leitet. Die Initialzündung zur Gründung sei das 250-jährige Jubiläum des Schott Verlags gewesen, erklärt sie: „Mit dem Projekt wollten wir auf die Tatsache reagieren, dass in 60 Prozent der Grundschulen der Musikunterricht entweder fachfremd vergeben wird oder komplett ausfällt.“ Der Gedanke: „Wir nutzen dieses Jubiläum und lassen uns bei den zahlreichen Veranstaltungen, die geplant waren, Geld schenken für die Idee.“
Dann kam die Pandemie und damit ein Erliegen des gesamten Kulturbetriebs. Konzerte und besonders Chorgesang galten als Superspreader-Events. Wie die Veranstalter geriet auch der Schott Verlag durch die Lockdowns in Schwierigkeiten, denn einen großen Teil des Geschäfts garantieren die Einnahmen durch den Verleih von Notenmaterial.
Von der Projektidee wollte Hanser-Strecker trotz Pandemie aber nicht lassen und setzte zur Finanzierung seine Strecker-Stiftung ein: „Wir sind ein Musikverlag und wir müssen sicherstellen, dass der Musikunterricht wieder dorthin kommt, wo er mal war.“ Er wolle, dass das Singen im Musikunterricht wieder angemessen stattfinde, denn es dürfe nicht sein, dass dieser elementare Zugang zur Musik so vernachlässigt werde. „Es heißt immer, Deutschland ist das Land der Dichter und Denker. Dabei sind wir vor allem ein Musikland. Man hat aber manchmal den Eindruck, als sei das unser bestgehütetes Geheimnis.“
Mitten in der Pandemie lief das Projekt an. Man wich dafür teils in Turnhallen aus, um die Abstandsregeln einzuhalten. Und als sogar das Singen selbst verboten war, gab es trotzdem Musikunterricht: „Wir haben dann rhythmische Body-Percussion angeboten“, erzählt Saskia Osterhold.

mit ihrem Vater, dem Verleger Peter Hanser-Strecker.
Finanziert wird der Einsatz von ausgebildeten Gesangspädagoginnen und Gesangspädagogen , die mit den Kindern nach einem speziellen Aufbauprogramm arbeiten. Dafür wird wöchentlich eine Unterrichtsstunde eingeplant, „also ganz normal zwischen Mathe und Deutsch“, so Osterhold.
Die Planung und Ausführung wird organisiert in Zusammenarbeit mit dem Peter-Cornelius-Konservatorium Mainz und der Wiesbadener Musik- und Kunstschule im sogenannten Teamteaching von Musikschullehrkraft und Klassenleitung. Das bedeutet, dass beim Unterricht die Lehrkräfte dabei sind und mittelfristig selbst den Unterricht übernehmen und damit für flächendeckenden Musikunterricht sorgen können.
Als Basis dient ein vom Schott Verlag kostenlos verteiltes Liederbuch. Neben dem Unterricht werden auch gemeinsame große Auftritte aller Kinder ermöglicht, wie etwa im vergangenen Sommer vor dem Staatstheater in Mainz und zeitgleich im Wiesbadener Staatstheater.
Die menschliche Stimme ist das erste Instrument, gemeinsames Singen ist die einfachste Form des Musizierens, man benötigt kein Instrument und keinerlei Vorkenntnisse. Ein absolut niedrigschwelliges Angebot.




Rhythmusübungen mit viel Bewegung gehören zum Konzept von „Singen ist klasse“.
Saskia Osterhold ist überwältigt von der Wirkung: „Kinder sind so ehrlich. Wenn man im Unterricht dabei ist und sieht die leuchtenden Augen und wie die Kinder dafür brennen, auch die, die erst gesagt haben, singen ist uncool: Da geht einem das Herz auf.“ Auch das Feedback der Lehrkräfte sei äußerst positiv, denn es gebe Kinder, die sonst im Unterricht kaum Erfolgserlebnisse hätten und durch das Musizieren regelrecht aufblühten, ihre Hemmungen ablegten und sich viel besser integrierten. Überhaupt werde das Klassengefüge stärker, berichtet Osterhold. „Es geht darum, die eigene Stimme zu finden, im wahrsten Sinne des Wortes!“
1000 Kinder in Mainz und 500 in Wiesbaden sind aktuell am Projekt beteiligt. Peter Hanser-Strecker unterstreicht die integrative Wirkung: „In manchen Schulen haben wir bis zu 18 unterschiedliche Ethnien, das ist oft sehr schwierig, aber durch die Musik kriegen wir sie zusammen. Sie kommen zum Singen und können auch eigene Lieder mitbringen. Da rollen nur so die Tränen, wenn die Eltern das erleben. Das Projekt ist einfach Nachhaltigkeit pur.“
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