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DoppelausstellungWie sich der Computer in die Malerei schlich

Wandtapeten, Gemälde und Webstoffe: Digitale künstlerische Praxis macht vor keinem Bildträger Halt. Eine Übersichtsschau in Bielefeld und Herford sondiert ein Phänomen.Christiane Fricke 01.08.2024 - 19:57 Uhr
Die beiden Kuratorinnen des Marta Herford, Kathleen Rahn (li.) und Ann Kristin Kreisel vor Peter Koglers Wandinstallation mit Arbeiten zum Thema Digitalität, die bis in die 1980er-Jahre zurückreichen. Foto: Christiane Fricke

Bielefeld, Herford. Mit der Digitalität in der Kunst verhält es sich wie mit dem Klimawandel. Der kam schleichend, wurde lange ignoriert oder selektiv wahrgenommen. Und dann war er auf einmal da – in Gestalt von immer längeren unerträglichen Wärmeperioden, Starkregen, Unwettern, Dürren. Klammert man die desaströsen Aspekte aus, dann verhält es sich mit den computerbasierten Bildpraktiken ähnlich. Sie sind schon erstaunlich lange da, genau genommen seit Vera Molnar 1959 einfache algorithmische Programme von Hand zu entwickeln begann.

Inzwischen ist die computergestützte künstlerische Arbeit ein Thema, das mehr als nur eine Handvoll Nerds interessiert. Und es ist so ergiebig, dass sich zwei renommierte Museen in der westfälischen Provinz entschlossen, eine Übersichtsausstellung zu entwickeln: die Kunsthalle Bielefeld und 20 Kilometer entfernt das Marta Herford. Gemeinsam haben sie über 150 Arbeiten von 25 Künstlerinnen und Künstlern zusammengetragen, sie in einigen Fällen auch mit einem ortsspezifischen Werk beauftragt (bis 10.11.).

Anders als im Marta, wo es dank der vor- und zurückschwingenden Architektur von Frank Gehry kaum eine gerade Wand gibt, eignet sich das strenge kolossale Gebilde, das Philip Johnson 1968 für Bielefeld entwarf, vor allem für die Malerei.

Peter Kogler aber reagierte auf beide Schauplätze: Für Bielefeld nutzte er das offene zentrale Treppenhaus, um einen über 14 Meter hohen Schlauch aus bedruckten Stoffbahnen vom Boden bis zur Decke zu führen. Für das Marta gestaltete der Österreicher eine der riesigen gekippt-geschwungenen Wände mit einer Collage aus Wandtapeten und historischen Leinwandarbeiten.

Was Koglers Bildproduktion mit dem Digitalen zu tun hat, ist vielleicht auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Jedenfalls nicht wenn man sich die Ameisenkolonne ansieht, die sich auf dem riesigen Stoffschlauch in Bielefeld nach oben bewegt. Doch die Ameise ist der Prototyp eines vernetzten Wesens. Sie ist als digitalisiertes, über Drucktechniken auf Leinwand oder andere Bildträger übertragenes Motiv seit den 1980er-Jahren im Werk des Künstlers verankert.

Andy Warhol probierte in den 1980er-Jahren vor Live-Publikum das digitale "Malen" auf einem Amiga 1000 aus. Die nach 30 Jahren wieder zugänglich gemachten Artefakte sind eine sensationelle Entdeckung. Foto: Christiane Fricke

Damit wird Kogler zum Paradebeispiel für das Phänomen des Postdigitalen, das sich im Untertitel der Ausstellung wiederfindet: „Hybride Malerei in postdigitalen Zeiten“. Der Begriff verwirrt erst einmal, assoziiert man ihn doch mit einem Zustand, in dem die Digitalisierung bereits hinter einem liegt. Wie kann das sein, wenn – wie in Deutschland – die Digitalisierung noch so unvollkommen ist?

„Seht es ein – die digitale Revolution ist vorbei“, konstatierte der amerikanische Informatiker Nicholas Negroponte schon 1998. Mit anderen Worten: Hört auf zu glauben, die Welt lasse sich in Nullen und Einsen auflösen. Stattdessen sah er bereits, dass die Digitalisierung die Dinge nicht verschwinden ließ, sondern unseren Umgang mit ihnen veränderte. Sie ist ein selbstverständlicher Teil des täglichen Lebens geworden. Eine Entwicklung, die sich auch auf die Kunst übertragen ließe.

Der amerikanische Künstler John Baldessari hatte etwas Ähnliches vorausgesehen, als sich Ende der 60er-Jahre Künstler weltweit der Videotechnik zu bemächtigen begannen. Er plädierte dafür, Video zukünftig „wie einen Bleistift“ zu benutzen. Das fällt einem plötzlich ein, wenn man in Bielefeld und Herford die vielfältige künstlerische Praxis „Zwischen Pixel und Pigment“ besichtigt. So lautet der Obertitel der Ausstellung.

Am erstaunlichsten ist, dass es so viele Künstler sind, die das Konzept der Malerei auf einem Bildträger nicht infrage stellen. Sie spielen mit dem Hin und Her zwischen analog und digital und brauchen das Tafelbild am Ende, um wieder sichtbar zu werden.

Corinne Wasmuth unterzog analog hergestellte Collagen aus Printvorlagen einer Bearbeitung mit dem Bildbearbeitungsprogramm Photoshop und übertrug das Ergebnis in langwierigster Arbeit mit dem Pinsel auf die Leinwand. Zu besichtigen sind diese frühen Arbeiten in der Kunsthalle Bielefeld. Die jüngeren hängen im Marta.

Corinne Wasmuth übersetzt analoge und digitale Collagen in zeitintensiver Handarbeit zurück ins analoge Medium der Leinwandmalerei. Abgebildet ist das Gemälde "Gewalt" von 2001, zu besichtigen in der Kunsthalle Bielefeld. Foto: Achim Kukulies

Tim Berresheim scannte im Auftrag der Kunsthalle zwei Moderne-Klassiker aus der ständigen Sammlung, überführte die gesammelten Daten wie Farbwerte oder Höhenprofile in Computerprogramme und zog die Daten wie Farbe mit einem Pinsel durch einen virtuellen Raum. Ergebnis ist eine Farbfotografie, die, zwischen die beiden historischen Vorlagen gehängt, nun zu einem vergnüglichen Vergleich herausfordert.

Das Prozedere der Bildwerdung ist fast immer kompliziert und sehr erklärungsbedürftig, will man die Idee des Hybriden dahinter verstehen. Bei Jacqueline Humphries’ reliefartigen Gemälden etwa kommen ein mit dem Pinsel gemaltes Bild, eine Fotografie davon, ein Scan, ASCI-Zeichen und eine lasergeschnittene Schablone zum Einsatz. Sónia Almeida entwickelte eine Wandtapete aus der Jacquard-Weberei, die auf dem Binärcode basiert, und sogenannten Chladni-Figuren. Dabei handelt es sich um Muster aus Sandkörnern, die auf einer dünnen Platte entstehen, wenn diese in Schwingungen versetzt wird.

Auf dem Computer waren 239 Pixel auf der horizontalen Seite und 191 Pixel auf der vertikalen Seite. Das war genau das, was ich auf dem Webstuhl hatte.
Charlotte Johannesson
Künstlerin und Weberin

Aus der Weberei kommt auch Charlotte Johannesson. Auf einem Apple-II-Heimcomputer brachte sie sich in den späten 70er-Jahren das Programmieren bei. „Auf dem Computer waren 239 Pixel auf der horizontalen Seite und 191 Pixel auf der vertikalen Seite, und das war genau das, was ich auf dem Webstuhl hatte.“ Auch sie vollzieht später die Rückkehr ins Analoge. 2019 begann sie, Versionen ihrer ersten Computerbilder mit einem digitalen Webstuhl zu produzieren.

Eine Sensation sind die digitalen Gemälde, etwa von Campbell-Suppendosen, die Andy Warhol in den 1980er-Jahren als Markenbotschafter von Commodore International vor Live-Publikum erzeugte. Sie wurden nach 30 Jahren von dem Künstler Cory Arcangel wiederentdeckt und wieder zugänglich gemacht. Der Amiga 1000, eine Leihgabe der Warhol-Foundation, ermöglicht es, sich mit zittriger, schlecht reagierender Maus einen Eindruck verschaffen.

Das Ausstellungsduo von Bielefeld und Herford ist ein großer Wurf. So gelang es, die hybride Praxis der einzelnen Künstlerinnen in die Tiefe und über größere Zeiträume abzubilden. Umso bedauerlicher ist der Verzicht auf einen Katalog. Die Kurztexte auf der App lassen die Leserin in vielen Fragen allein. Im nächsten Jahr sollen immerhin die Beiträge des Symposiums in Kooperation mit der Kunstakademie Münster vom 19. und 20. Juli publiziert sein.

„Zwischen Pixel und Pigment – Hybride Malerei in postdigitalen Zeiten“, Kunsthalle Bielefeld und Marta Herford, bis 10.November 2024

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