Gursky-Ausstellung „Nicht abstrakt“ Warum Amazon sich erst querstellte

Die Fotoarbeit „Amazon“ (2016) von Andreas Gursky. Seine Kunst besteht darin, Bilder der Wirklichkeit zu verdichten. Quelle: Kunstsammlung NRW / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Düsseldorf Die Kuka AG hatte versucht, Andreas Gursky zu beauftragen, das neue Zentrum für Robotertechnologie zu fotografieren. Doch das hat den Fotografen, der weltweit zu den berühmtesten Künstlern seiner Generation zählt, „nie gereizt, denn aus der robotergetriebenen Autofertigung kann ich nichts Eigenes machen.“
Andreas Gursky (Jahrgang 1955) kennt den Glamour der VIPs, ist mit den Musikern der Toten Hosen befreundet, mit der Fußballlegende Günter Netzer oder mit dem ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk. Gursky selbst wird wie ein Star belagert und geknipst bei der Vorbesichtigung seiner Ausstellung „Nicht abstrakt“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Abgeschirmt von den Autogrammjägern unter den Journalisten, gibt Gursky dem Handelsblatt exklusiv Einblick in seinen Bilderkosmos und dessen Genese – bei Robotern und anderen Bildideen. „Jetzt habe ich eine Idee, etwas mit Robotern zu machen, aber in ganz anderem Kontext“, erzählt der zurückhaltende Künstler mit leiser Stimme. „Da nutze ich den Kontakt natürlich.“
Gurskys Kunst besteht darin, Bilder der Wirklichkeit zu verdichten. Dafür fotografiert er real existierende Interieurs oder Landschaften, montiert am Computer aber Elemente hinein. „Inhaltlich wird da nichts verändert.“ Wenn er etwa im Fernsehen einen Ort sieht, der interessant sein könnte, dann beginnen eine aufwendige Recherche, Kontaktaufnahme, Planung. Das kann lange dauern – wie beispielsweise bei „Amazon“, einem der acht neuen Bilder der Ausstellung.

Der Künstler Andreas Gursky fotografiert real existierende Interieurs, montiert am Computer jedoch Elemente hinein. Quelle/Foto: Uli Deck/dpa / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Gursky wollte das Hochregallager mit den Büchern in Amazons Distributionszentrum in Phoenix, Arizona, fotografieren. Doch das geht nur an einem Tag im Jahr, dem, an dem Inventur gemacht wird. „Ich habe einen Hubwagen als Bedingung gestellt. Da hieß es dann: Wegen der Sicherheitsvorschriften gehe das nicht.“ Dass er es doch geschafft hat hineinzukommen, lag an Jeff Bezos. „Er ist auch kunstaffin. Meine Anfrage ging dann doch über seinen Schreibtisch.“ Da hat der berühmte Name geholfen.
Wie bei seinem „99 Cent“-Bild mit Billigware, das 2006 den damaligen Auktionsrekordpreis von 2,5 Millionen Dollar erzielt hatte (bei Phillips), will der Künstler die Amazon-Aufnahme flächig haben. Dafür fotografiert er den Vordergrund mit Tausenden von Büchern verkleinert, den Hintergrund mit den Wandstützen herangezoomt. Bis dann alles stimmt, ist es ein langes Ringen am Computer. Darum entstehen pro Jahr weniger als zehn neue Arbeiten.
„Haben Sie die Parolen bei Amazon gesehen?“, fragt der Künstler zurück. Ja, „Work hard“, „Have fun“, steht auf den Wandstützen geschrieben. „Und: Make history“, ergänzt Gursky. Die vierte Parole aber hat er zu seinem größten Bedauern nicht mehr ins Breitwandformat bekommen: Sie lautet: „Deliver results“. Die Verbindung zwischen Knochenarbeit und Geschichte bewog Gursky, sein „Cheops“-Bild danebenzuhängen. Doch das hat er verworfen, weil es zu didaktisch gedacht war und im Raum nicht funktionierte.

Die Fotoarbeit „Les Mées“ von Andreas Gursky. In die südfranzösische Landschaft schmiegen sich Photovoltaikanlagen. Quelle: Andreas Gursky / VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Für Marion Ackermann ist Andreas Gursky „ein Beobachter, kein Kritiker“. Seit zehn Jahren führt die Direktorin der Kunstsammlung NRW ein Gespräch mit ihm über die Abstraktion in der Fotografie und deren Wettstreit mit der Malerei. Gursky hat zwar fotografische Abstraktionen geschaffen, einen grauen Kunsthallen-Teppich oder Nahaufnahmen von van Goghs pastosem Farbauftrag. „Doch das Medium Fotografie kann den Gegenstand nicht verlassen“, zitiert Ackermann den Künstler. Deshalb lautet der Titel der Ausstellung nicht wie geplant „Abstrakt“ sondern „Nicht abstrakt“.
Das hat zwei Vorteile. So können die Besucher die ganze Breite von Gurskys neuesten, aber nur gelegentlich abstrakten Werken in Augenschein nehmen. Und die Kunstsammlung setzt sich mit der dialogischen Präsentation in der Bestandsschau von der erst 2012/13 im Düsseldorfer Museum Kunst Palast gezeigten Retrospektive ab.
Rätselhaft scheinen drei ganz neue, nur nummerierte Hochformate auf der Rückwand des weiträumigen Amerikaner-Saals, den Gursky bespielen darf. Der Besucher erkennt Querrippen in Blau-grün- und in Rot-grün-Tönen. Bei Nahsicht deuten die rötlichen Raster dann auf die Tulpenzucht. Für den Blick von ganz oben auf das farblich changierende Motiv hat Gursky wieder mal einen Helikopter gebucht. Für das Bild in Blau-Lila hat er sich über Hyazinthenfelder fliegen lassen.
Sehr viel weniger abstrakt geraten ist „Les Mées“, eine südfranzösische Landschaft, an deren Hügel sich Photovoltaikanlagen schmiegen. Hinterfangen wird die auf- und abschwingende Netzstruktur der Platten von den Zacken der Alpen. Die schneebedeckten Gipfel befinden sich tatsächlich dort. Konstruiert ist hingegen der verhangene Himmel. Der in Düsseldorf lebende Künstler erzählt: „Drei Monate vor dieser Ausstellung habe ich den Himmel beobachtet und meine Kamera auf dem Dach platziert. Damit ich gleich reagieren kann.“
Probestreifen im Lager
Punktuell reagiert der Fotograf auch auf die Museumssammlung. In der aktuellen Schau begegnet das flirrend vielteilige Großformat „Mediamarkt“ von 2016 einer rosarot strahlenden Neonskulptur von Dan Flavin aus der kürzlich erworbenen Privatsammlung des Galeristenpaars Konrad und Dorothee Fischer. Der schrille Neon-Ton verbindet die minimalistische Skulptur mit dem Bild vom Elektrogroßmarkt.
Nicht aus der Farbe, sondern aus der Struktur ergibt sich die Nachbarschaft zu den einst revolutionär neuen Rastern und Klebestreifen in den abstrakten Bildern von Piet Mondrian. Gursky hat sein Rasterbild mit dem Titel „Lager“ gegenüber von Mondrians Meisterwerken platziert. Gursky: „Das Bild entstand, bevor ich mein eigenes unterirdisches Lager in Betrieb genommen habe. Die Racks waren ausgezogen und leer.“ Wer sich auskennt in Gurskys Gesamtwerk, entdeckt in den ultraschmalen, hineinmontierten Streifen Ausschnitte aus „99 Cent“, dem Technoclub „Cocoon“ oder der Serie „Bangkok“. Man könne „Lager“ so lesen, schlägt Gursky vor, „als wären das Probestreifen, so wie sie im Farblabor anfallen, bevor der finale Print kommt“.
Nicht alle Dialogstationen können diese Intensität entwickeln. Dennoch ist die Zwiesprache zwischen Alt und Neu ein gelungener Schachzug, um die Besucher der Sonderausstellungen auch in die fabelhaft bestückte ständige Sammlung zu ziehen.
Der Künstler braucht übrigens jedes Mal lange, bis ein Bild fertig ist. Alle werden am Ende von ihm persönlich getestet. Gursky: „Ein Bild muss Platz zum Atmen lassen. Es darf nicht aufdringlich werden.“
„Andreas Gursky – nicht abstrakt“, bis 6. November 2016 in K20, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Grabbeplatz, Düsseldorf. Kein Katalog. Der schmale Besucherbegleiter verzichtet leider auf eine Liste der Exponate.
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