Interview: Künstler Michael Reisch: „Man konnte den Bildern eigentlich nie trauen“
„Die eigenen Werkzeuge, die Apparate anzuschauen und kritisch zu hinterfragen ist für meine Arbeit ein Ur-Motiv.“
Bonn. Ein Apparat funktioniert nicht mehr in der KI und Fotografie-Ausstellung im Kunstmuseum Bonn. Jetzt muss Michael Reisch, der Kurator anrücken. Bei dieser Gelegenheit treffe ich den Künstler. Er ist groß gewachsen und macht einen durchtrainierten Eindruck. Man sieht es ihm nicht an, dass er für seine Arbeit ständig am Computer sitzt.
Herr Reisch, woran erkennt man ein mit digitalen Mitteln erzeugtes Werk?
Das ist auf den ersten Blick nicht zweifelsfrei zu erkennen. Ein digital erzeugtes Bild kann analog-materiale Erscheinungsformen haben, z.B. als Inkjet-Print, aber ein analog erzeugtes Bild kann auch auf einem Screen erscheinen und dort wie ein digital erzeugtes aussehen. Für digitale Arbeiten spielt die Frage, wie sie hergestellt worden sind, jedenfalls eine sehr wichtige Rolle, da das die Bedeutung eines Bildes komplett verändern kann.
Könnten wir als Betrachterinnen das auch erkennen?
Da wir, was die neuen digitalen Tools angeht, noch ganz am Anfang der Entwicklung stehen, fehlt uns in diesem Bereich oft noch die Bildkompetenz. Das war für mich auch ein Grund, die Ausstellung „Expect the Unexpected“ im Kunstmuseum Bonn gemeinsam mit Barbara Scheuermann zu kuratieren.
Der Künstler hat also auch eine gewisse Verantwortung.
Für meine Arbeit sehe ich das auf jeden Fall so. Ich lege meine oft sehr komplexen Arbeitsprozesse offen und erkläre sehr genau, was, wie mit welchen Tools gemacht ist. Als Künstler sehe ich mich in der Verantwortung, an der Stelle ein grundlegendes Verständnis zu ermöglichen.
Welche Fragen an das Medium Fotografie wirft Ihre Arbeit auf?
Ich versuche in meiner Arbeit, die „Fotografie“ von allen Seiten zu befragen und den Begriff maximal auszutesten. Macht dieser Begriff unter digitalen Bedingungen überhaupt noch Sinn, auch im Hinblick auf die neuen digitalen Tools und KI? Sollten wir z.B. nicht besser von „fotografiebasiert“ sprechen? Brauchen wir neue Verständnismodelle?
Die Ausstellungsansicht aus dem Kunstmuseum Bonn zeigt ein Detail der gleichnamigen Installation mit 14 KI-generierten Videos auf Tablets. Die Arbeit entstand zwischen 2018 und 2023.
Die Frage nach dem Wahrheitsanspruch, nach der Autorität der Fotografie hat Sie von Anfang an beschäftigt.
Allgemein ist für mich wichtig zu zeigen, dass fotografische wie fotografiebasierte Bilder Konstruktionen sind. Für mich war die Fotografie immer eher ein Medium der Illusion als der Wahrheit.
Auch bei den KI-Diskursen geht es wieder um die Glaubwürdigkeit von Bildern. Inwieweit können wir ihnen trauen?
Glaubwürdig kontextualisierten dokumentarischen Bildern kann man im Bestfall nach wie vor trauen. Generativ erzeugte Bilder wie von Text-to-Image-Plattformen sind etwas grundlegend anderes und müssen von vornherein nicht als Dokumente, sondern als Fiktionen angeschaut werden.
Generativ erzeugte Bilder können aber auch den Eindruck von Dokumenten, von Wahrheit erwecken.
Das ist an der Stelle schwierig, da wir beides äußerlich nicht unterscheiden können. Das eigentliche Problem ist dabei aber nicht, dass digitale Fakes mit KI möglich sind, sondern dass es so schnell und so einfach geht. Digitale Fakes können in Sekunden von Jedem und Jeder und auch in allen politischen Spektren hergestellt werden.
Benutzen Sie NFTs, um Ihr Werk zu authentifizieren oder hat das einen ästhetischen Sinn?
Die Tokenisierung für digitale Arbeiten ist an sich eine sehr sinnvolle Sache, weil der Besitz digitaler Bilder nachgewiesen werden kann. Das war vor NFT und Blockchain nicht möglich.
Welche Anforderungen stellen Tools wie DALL-E und Stable Diffusion an Markt und Museen?
(Lacht) Das weiß noch niemand so genau. Die Rechtsprechung in den Vereinigten Staaten sagt nach meinem Wissenstand gerade, dass kein Copyright auf Bilder, die von Maschinen generiert wurden, erhoben werden kann, das betrifft also DALL-E, Stable Diffusion, Midjourney, etc. Das kann für Künstler und Künstlerinnen zu Problemen führen.
Der Künstler hatte um 2010 den Gedanken, „fotografische“ Bilder direkt aus der Maschine, aus dem Computer hervorzubringen, ohne einen Bezug zur Außenwelt, als eine Art von „Fotografie ohne Fotografie“. Seither sind aus dieser gegenstandslosen, rein digital-algorithmischen Welt verschiedene, auseinander hervorgehende Generationen von Bildern, Fotografien, Objekten und digitalen Ergebnissen entstanden, darunter KI-generierte Videos auf Tablets, gerahmte digitale C-Prints, UV-Prints auf Dibond und Fleece Wandtapete. Zu sehen ist die Ausstellungsansicht im Kunstmuseum Bonn.
Wie schätzen Sie die KI-Debatte ein?
Der gesellschaftliche Impact von KI ist gewaltig, speziell für die Kunst und die Fotografie ist das revolutionär und wird zu ähnlich tiefgreifenden Verwerfungen führen wie die Einführung des SmartPhones und die Vernetzung, so meine Einschätzung. Ich verstehe die KI-Tools für die Kunst als eine Erweiterung, als etwas Neues, nicht als Verdrängung klassischer fotografischer Ansätze, das wird beides nebeneinander existieren.
Und wenn jemand behauptet, es sei Kunst?
Eine KI-Arbeit muss im Diskurs platziert werden und sich dort behaupten können – wie bei der Malerei und den traditionellen Medien auch. Die Kategorien der bildenden Kunst gelten für Werke von Lucas Cranach, Jeff Wall oder Rosemarie Trockel, und genauso für die neuen KI-generierten Bilder. Aber da der Umgang mit KI so neu ist, sind die Unsicherheiten groß.
Haben Sie denn schon einmal mit einem Programm wie DALL_E gearbeitet?
Ja, na klar, damit habe ich schon so einige schöne Tage verbracht. (Lacht)
Konnten Sie DALL_E in Ihre Arbeit integrieren?
Ja. Da ich generativ arbeite, kann ich generative Diffusions-Modelle wie z.B. Dall-E 2 nahtlos in meine Arbeitsprozesse integrieren. Aber ich schaue mir den Hype auch kritisch an, gerade auch im Hinblick auf die gesellschaftspolitischen Gefahren und Potenziale dieser Werkzeuge.
Der Künstler erzeugte mit KI skulpturale Gebilde, die 3D-ausgedruckt und anschließend wieder abfotografiert wurde wie in diesem Fall.
Sie haben an der Ausstellung „Expect the Unexpected“ mit einer eigenen Arbeit teilgenommen. Warum haben Sie sich für eine aus mehreren Komponenten zusammengesetzte Installation entschieden?
Meine Arbeit ist experimentell und prozesshaft. Ich hatte um 2010 den Gedanken, „fotografische“ Bilder direkt aus der Maschine, aus dem Computer hervorzubringen, ohne einen Bezug zur Außenwelt, als eine Art von „Fotografie ohne Fotografie“. Seither sind aus dieser gegenstandslosen, rein digital-algorithmischen Welt – einem Nullpunkt der Fotografie, wenn Sie so wollen – verschiedene, auseinander hervorgehende Generationen von Bildern, Fotografien, Objekten und digitalen Ergebnissen entstanden. Das ist ein evolutionärer Prozess, wobei mich insbesondere die Übergänge von materiell-immateriell, von Bild zu Objekt, vom Virtuellen ins Physische und umgekehrt interessieren, wo die Brüche liegen, wo Deformationen oder unerwartete Dinge auftreten.
Welche Rolle spielen Systemfehler, die Glitches?
Glitches sind für mich interessant, weil sie etwas sichtbar machen. Ein Foto auf dem SmartPhone wird zu etwas völlig anderem, sobald es einen Glitch beinhaltet; es offenbart dann seine digitale Natur. Der Prozess der Bildentstehung wird im Bild sichtbar, das interessiert mich. An dieser Stelle wird die kontrollierte und geglättete, perfekte Oberfläche durchbrochen, was beim Smartphone normalerweise unbedingt verhindert werden soll. Der Glitch bricht die von den Herstellern der Geräte bewusst konstruierte Hermetik der Apparate, der Programme. Man kann so in gewisser Weise den Algorithmus fotografieren, ihn sichtbar machen und in tiefere, verborgene Schichten vorstoßen.
Mit Apparaten wie dem Smartphone müssen Sie sich innerhalb der Technikgrenzen bewegen.
Diese Frage nach der Handlungsfreiheit stand ganz am Anfang meiner künstlerischen Arbeit. Sie ist so alt wie die Fotografie selbst und wird gerade wieder hochaktuell. Wer macht eigentlich das Bild: Fotograf:in oder Kamera, Künstler:in oder KI? Die eigenen Werkzeuge, die Apparate anzuschauen und kritisch zu hinterfragen ist für meine Arbeit ein Ur-Motiv.
Sie haben das Tech-Milieu als hermetisch bezeichnet. Man hat es mit Dingen zu tun, die sich gewissermaßen der Kontrolle des eigenen Wissenshorizontes entziehen. Beeinflusst das Ihre Arbeit?
Mich beschäftigt dieser Gedanke, dass wir unsere Welt, die Geräte mit denen wir uns umgeben, nicht verstehen können, dass wir an der Stelle fremdgesteuert sind. Dass die großen Tech-Monopole ihre Geräte so konstruieren, dass wir als User:innen den Akku nicht selbst auswechseln können, ist eine Form von Machtausübung. Das Offenlegen digitaler Gesetzmäßigkeiten und ein Grundverständnis für algorithmische Prozesse herzustellen, verstehe ich auch als Versuch, mit den Mitteln der Kunst die Machtverhältnisse spielerisch bzw. symbolisch aufzubrechen.
Die Zusammenstellung der Videostills vermittelt eine Vorstellumg vom Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Der Künstler beschreibt es als fortgesetzte Interaktion, in die er steuernd eingreift.
Würden Sie sich als Aufklärer bezeichnen?
Ich schaue mir die Dinge kritisch an und möchte wissen und begreifen, was vor sich geht, das fließt in meine Arbeit ein. Aber ich verstehe mich in erster Linie als Künstler und versuche, der digitalen Welt interessante neue Bildwelten zu entlocken. Eine medienreflexive Komponente und eine kritische Hinterfragung sind aber immer Teil der Sache.
Wo verläuft die Grenze zwischen Spielerei und Kunstwerk?
Spiel und Kunst sind für mich nicht zu trennen. Falls allerdings ein Bild oder Objekt in den Kanon der Kunst aufgenommen werden will, muss es sich im Diskurs behaupten. Nur, weil etwas mit einer neuen Technologie gemacht ist, ist es noch lange nicht Kunst, das gilt für KI und VR genauso wie für Bleistift und Pinsel.
Herr Reisch, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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