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KunstszeneBedrohtes Highlight

Der Berlin Art Week ist etwas gelungen, was lange Zeit als unmöglich galt: die vielfältige Kunstszene der Hauptstadt zu gemeinsamem Handeln zu bringen. Doch der künftige Erfolg ist gefährdet: Im Berliner Haushalt ist der Zuschuss nicht mehr enthalten.Johannes Wendland 11.09.2025 - 15:49 Uhr Artikel anhören
Ruprecht von Kaufmann: „And Finally Monsieur, A Wafer Thin Mint“, ein Ölbild auf Linoleum von 2025, ist Teil seiner Soloausstellung „Herbst“ im Haus am Lützowplatz. Foto: Copyright the artist

Berlin. Fünf Tage lang ballen sich Eröffnungen, Partys und Open-House-Besichtigungen: Mit dem Garten des Hamburger Bahnhofs gibt es ein veritables Festivalzentrum. Und das Programm erscheint klar gegliedert – nachdem am Mittwoch die Kunstinstitute und am Donnerstag die Galerien neue Ausstellungen eröffnet haben, stehen Freitag besondere Projekte und Samstag und Sonntag Privatsammlungen im Blickpunkt.

Mit der Positions, die erneut einen Hangar im ehemaligen Flughafen Tempelhof bespielt, ist eine bewährte Kunstmesse an Bord, die 75 internationale Galerien überwiegend aus dem mittleren Bereich präsentiert.

Und wie eine eigene kleine Kunstmesse hat bereits am vorigen Wochenende das Kunstfestival Hallen 06 in einer ehemaligen Eisengießerei in Reinickendorf seine Tore geöffnet. 20 Galerien, die Kunstsammlungen von Telekom und Mercedes-Benz und die Kunsthalle Gießen bieten qualitätvolle Einblicke in die zeitgenössische Kunst. Eine raue Wand füllt die Berliner Klemm’s Gallery mit der Werkserie „Suspicious Minds“ von Viktoria Binschtok – hochgezogenen Ausschnitten aus Pressefotos von Politikern, Bossen und Päpsten. Die zwischen 6000 und 16.000 Euro bepreisten Bilder wirken vertraut und dann auch wieder nicht, sind auf den gewählten Bildausschnitten doch nur die Leibwächter zu sehen.

Hier in Reinickendorf, nur wenige Meter vom ehemaligen Mauerstreifen entfernt, erhält die 30 Meter lange Wandarbeit „Von der Hand an die Wand“ von Alex Müller eine besondere Bedeutung. Auf Kissen hat die Berliner Künstlerin berührende Briefe ihrer Großeltern aus der DDR an ihren Vater reproduziert, die er als junger Flüchtling im Westen erhalten hat. Dieses künstlerisch-zeitgeschichtliche Zeugnis bietet Haverkampf Leistenschneider für 75.000 Euro an.

Internationale Positionen prägen die Herbstausstellungen der Kunstinstitute. Dem kosovarischen Künstler Petrit Halilaj bietet der Hamburger Bahnhof viel Platz in den Rieckhallen, um seine bühnenbildartigen Installationen zu zeigen. Im Mittelpunkt steht seine Oper „Syrigana“. Am gleichnamigen Ort im Nordkosovo soll nach einer lokalen Legende die Hochzeit von Adam und Eva stattgefunden haben. Mit einem Fuchs und einem Hahn als Protagonisten verlegt Halilaj den Mythos ins heutige Kosovo. Die queere Liebe zwischen dem ungleichen Paar soll ein (utopisches?) Bild für die Versöhnung zwischen den verfeindeten Volksgruppen zeichnen.

Eine queere Perspektive wählt auch die aus Singapur stammende Charmaine Poh, die „Artist of the Year“ der Deutschen Bank ist und jetzt im Palais Populaire gezeigt wird. In poetischen Videos geht es um die Macht- und Familienstrukturen im Stadtstaat, etwa aus der Sichtweise von aus Indonesien stammenden Haushaltshilfen.

Künstler wie Halilaj und Poh – beide leben in Berlin – stehen für die Weltläufigkeit der Kunstszene in der Stadt, die trotz steigender Mieten und knapper werdender Atelierräume noch robust wirkt. Einen illusionslosen Blick aus deutscher Perspektive auf die westliche, deutsche, Berliner Gesellschaft wirft der Maler Ruprecht von Kaufmann in der Soloausstellung „Herbst“ im Haus am Lützowplatz. In von Grautönen durchzogener Farbigkeit sind Szenen aus dem großstädtischen Nebeneinander zu sehen – Otto Dix im 21. Jahrhundert, ein Höhepunkt der Art Week.

Starke Auftritte legen auch die Galerien hin. Rund 50 eröffnen parallel, fast so etwas wie ein zweites Gallery Weekend im Herbst. In Dahlem zeigt die Galerie Bastian mit Aquarellen eine bislang wenig bekannte Facette des Werks von Anselm Kiefer. Die 21 Arbeiten der Ausstellung stammen aus mehreren Jahrzehnten und belegen Kontinuität bei Kiefers Beschäftigung mit diesem Genre. Großartige Bilder wie „Bergkristall“ und „Morgenthau“, die zwischen 150.000 bis 390.000 Euro kosten, laden Motive aus der Natur historisch, philosophisch und politisch auf.

Visueller Allesfresser

Ebenso neue Blicke auf ein vermeintlich wohlbekanntes Werk ermöglicht die Schau „Michel Majerus. Noch ein Bild“ bei Neugerriemschneider. Die kleinen Bilder auf Holztafeln in der Größe von Zeitschriften stammen aus den frühen 1990er-Jahren, als Majerus nach Ende seines Kunststudiums ins Berlin der Nachwendezeit eintauchte. Comicmotive, Spielzeug, Werbung, Logos – der visuelle Allesfresser und Allesverarbeiter Majerus ist hier noch einmal neu zu entdecken – Preise auf Anfrage.

Michel Majerus: Das Gemälde „Noch ein Bild“ von 1992 aus der gleichnamigen Schau bei Neugerriemschneider. Foto: © Michel Majerus Estate. Courtesy neugerriemschneider, Berlin. Photo: Jens Ziehe, Berlin

Häuser, aus deren Fenstern Wortkaskaden mit Freud-Zitaten ranken und aus deren Schornsteinen Qualm wie übergroße Sprechblasen quillt – Thomas Zipps Malereien der Serie „Profondeville“ sind Denkbilder, die sich einer rein intellektuellen Wahrnehmung entziehen. Vielleicht muss man dazu in die Traumwelt hinabsteigen wie die schlafende Puppe, die neben einem Motorrad mitten in der Inszenierung liegt. Zipps Arbeiten können bei Barbara Thumm zwischen 24.000 bis 55.000 erworben werden.

In seiner Heimat Südkorea ist Lee Bae ein Star, hierzulande nahezu unbekannt. Jetzt zählt der 69-Jährige zum Stamm der Galerie Esther Schipper, die auch in Seoul eine Filiale betreibt. Die Berliner Premierenausstellung „Syzygy“ hat Lee Bae sorgsam installiert. Die Schau variiert das zentrale Motiv des bewusst und langsam gesetzten, abstrakten Pinselstrichs – als ortsspezifische, vergängliche Wand- und Bodenarbeit, als Tafelbild und als Bronzeplastik. Preise auf Anfrage.

Wie Malerei vertraute Motive durch starke Konzentration auf das Wesentliche verfremden und ironisieren kann, zeigt die finnische Malerin Henni Alftan bei Sprüth Magers. Die Hand, die eine Taschenlampe hält, oder die Kanne, aus der Milch in einen Becher gegossen wird, werden in wenigen Farben lapidar dargestellt. In Nahansicht ist ein Teil einer Sonnenbrille zu sehen, das Auge und die scharfe Augenbraue sind knapp angeschnitten – Alex Katz lässt grüßen, doch wirkt der Bildanschnitt bei Henni Alftan fast noch raffinierter. Ihre Arbeiten liegen zwischen 10.000 und 100.000 Euro.

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Die Qualität vieler Beiträge der Berlin Art Week ist überragend. Kaum zu glauben, dass dieses Kunstevent bedroht sein könnte. Doch ist im kommenden Berliner Doppelhaushalt der bisherige Landeszuschuss zur Art Week von 300.000 Euro nicht mehr enthalten. Zur Eröffnung der Art Week hat die Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson gelobt, sich darum zu kümmern. So klein der Betrag wirkt, so tiefgreifend könnten die Auswirkungen sein, wenn er ausfallen würde.

» Lesen Sie auch: Der deutsche Kunstmarkt organisiert sich weiter dezentral

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