Marktbild: Im schützenden Schein

Paris. Die Schlangen, die sich auf dem Boulevard Haussmann vor dem Musée Jacquemart-André bilden, zeigen: Georges de La Tour ist ein Publikumsliebling. Die noch bis 25. Januar laufende Schau ist mit ihren rund 30 Werken aus öffentlichen und privaten Sammlungen aus aller Welt, zahlreichen Vergleichsbildern von Zeitgenossen und einem der Zeichnung und dem Druckwerk gewidmeten Saal aber auch ein kunsthistorisches Muss.
Über die Person des Malers ist wenig bekannt. Man weiß immerhin, dass der 1593 geborene de La Tour 1618 durch Heirat der Tochter eines reichen Finanzverwalters des Herzogs von Lothringen Zugang zu höfischen Kreisen erhielt. 1639 wurde er urkundlich als Maler Ludwigs XIII. erwähnt, zog nach Paris, wurde berühmt. Darüber hinaus war er offenbar ein Raufbold, wie die Akten belegen. Nach seinem Tod 1652 geriet er rasch in Vergessenheit, wurde erst 1915 vom deutschen Kunsthistoriker Hermann Voss wiederentdeckt. Seitdem gilt er als einer der faszinierendsten Maler des französischen Barocks.
Denn de La Tour hat ungemein berührend die Kraft des widerscheinenden Lichts, das Leuchten, zu malen gewusst. Anders als seine Zeitgenossen, anders auch als Caravaggio, der andere Meister des Hell-Dunkel-Kontrasts, reduzierte de La Tour die von ihm gewählten Szenen auf wenige Gesten. Er nutzte den Bildraum also nicht zur dramatischen Zuspitzung, sein Angebot an die Betrachter war es, ihn als Ruhepol und Fluchtpunkt zu erleben. So ist er weniger ein französischer Caravaggist als vielmehr – wie es der Kunsthistoriker Pierre Rosenberg formulierte – ein französischer Caravaggio.

In der Schau gut zu sehen ist sein singulärer Ansatz anhand zweier Gemälde gleichen Motivs, die den reuigen Hieronymus zeigen. Fast lebensgroß hat er den Heiligen 1630 dargestellt. Verblüfft hier bereits die Präsenz des alternden Körpers, so erscheinen die arthritischen Gelenke, hängenden Muskeln, verformten Füße im links davon präsentierten Geschwister-Bild noch gnadenloser. Bei diesem Hieronymus, vermutlich im gleichen Jahr gefertigt, ist die körperliche Ausgezehrtheit durch den leuchtend roten Kardinalshut und das weiße Lendentuch – kein rotes wie beim Gegenstück – noch stärker herausgearbeitet. Interessant ist auch, dass die durch die Selbstgeißelung entstandenen Wunden des Heiligen, die sich auf seinem Rücken befinden müssen, nicht gezeigt werden. Nur die blutige Kordel in Hieronymus’ Hand verweist auf sie. So wird die Vorstellungskraft des Betrachters angeregt, das Publikum im wahrsten Sinne in den Bildraum hineingezogen.
Die Alltagsszenen, die de La Tour auch malte, weisen ihn als präzisen Chronisten seiner Zeit aus. Ein Beispiel dafür ist das in die Glut blasende Mädchen, das Lempertz in Köln 2020 auf 4,3 Millionen Euro heben konnte. Heute befindet sich das Bild im Louvre Abu Dhabi. In die Reihe dieser Gemälde gehört auch de La Tours „Leiermann mit der Tasche“. Anders als seine Zeitgenossen, die solche Sujets eher mit Herablassung behandelten, setzte de La Tour den Bettler mit einem zutiefst menschlichen Blick als Musikanten ins Bild, ebenso anrührend wie ambivalent – denn der Gaukler könnte auch ein Gauner sein. Ein ganz ähnliches Gemälde wurde bei Christie’s in London 1991 für umgerechnet 2,6 Millionen Euro zugeschlagen.

1650, zwei Jahre vor seinem Tod, malte de La Tour, vermutlich unter Mithilfe seines Sohnes Etienne, die „Verleugnung Petri“. Jesus war verhaftet worden, Petrus war ihm gefolgt, wurde von einer Dienerin als Galiläer erkannt – und leugnete, zu Jesus zu gehören. Bei de La Tour ist die Szene in einem dunklen Zimmer angesiedelt: Ein Haufen Soldaten an einem Tisch ist ins Würfelspiel vertieft, am rechten Bildrand starrt einer von ihnen aber auf den Vorgang daneben. Dort ist eine Magd mit Kerze zu sehen, deren Flamme Licht auf den weißbärtigen Mann neben ihr wirft: Petrus. So dramatisch der Augenblick, der Kipppunkt der Szene, auch ist – Hauptakteur ist nicht Petrus: Star des Gemäldes ist wieder einmal das Licht. Denn mit seinen beiden teils verdeckten Lichtquellen, eine beleuchtet das Würfelspiel, die andere die Verleugnungsszene, erzählt dieses Bild auch von Konflikten, wie sie während des zwischen 1618 und 1648 ausgetragenen Dreißigjährigen Kriegs geherrscht hatten, der als Religionskrieg begann und als Territorialkrieg endete.
Georges de La Tour verstand es also, die christliche Ikonografie mit zeitgeschichtlichen, im Grunde ewig menschlichen Themen zu verknüpfen. Das macht ihn auch heute noch hochaktuell – und seine raren Bilder zu einem höchst begehrenswerten Marktwert.
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