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NS-RaubkunstAusstellung im Kunstmuseum Bern: Die Akte Gurlitt ist noch nicht geschlossen

Das Kunstmuseum Bern hat als Alleinerbe die Sammlung Cornelius Gurlitt auf mögliche Raubkunst erforscht. Nun zieht die Schweizer Stiftung mit einer Ausstellung Bilanz.Christiane Fricke 15.09.2022 - 13:27 Uhr Artikel anhören

Raum 5 wirft Schlaglichter auf die Biografie von Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand, Museumsleiter und Kunsthändler in der Demokratie wie in der Diktatur.

Foto: Anne-Cécile Foulon

Düsseldorf. Vor neun Jahren führte der „Fall Gurlitt“ dazu, dass Deutschland sich seiner Verantwortung im Umgang mit NS-Raubkunst bewusst wurde. Der sogenannte „Kunstfund Schwabing“ stellte aber bald auch das Kunstmuseum Bern vor erhebliche Herausforderungen.

Cornelius Gurlitt hatte die Schweizer Museumsstiftung 2014 kurz vor seinem Tod als Alleinerbin seiner umstrittenen Kunstsammlung bestimmt. An diesem Freitag nun zieht das Haus mit einer Ausstellung die Bilanz seiner bald acht Jahre andauernden Untersuchungen.

Bern hatte im November 2014 mit der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern vereinbart, die Provenienzen der Werke umfassend aufzuklären und sie gegebenenfalls gemäß den Washingtoner Prinzipien zu restituieren.

Wer nur die Zahlen betrachtet, mag das Ergebnis ernüchternd finden. Neun von insgesamt 1600, auf einen möglichen NS-verfolgungsbedingten Entzug untersuchte Werke stellten sich als Raubkunst heraus. Sie wurden von Deutschland und dem Kunstmuseum Bern gemeinsam an die Nachfahren der rechtmäßigen Eigentümer restituiert. Bei ihnen stand die eigens eingerichtete „Ampel“ auf „Rot“.

Fünf Werke der Ampelkategorie „Gelb-Rot“ wurden an Deutschland aufgrund lückenhafter Provenienz zurückgereicht. Für sie gab es keine Belege für NS-Raubkunst, wohl aber Hinweise oder auffällige Begleitumstände. Deshalb wurden sie auch in die Datenbank Lost Art eingetragen.

Für weitere 23 Werke derselben Kategorie laufen die Untersuchungen noch. Im ebenfalls in die Kategorie „Gelb-Rot“ eingeordneten Fall der beiden Aquarelle von Otto Dix kam es zur Einigung und Übergabe an die Erben nach Ismar Littmann und Paul Schäfer.

Schritt für Schritt können Ausstellungsbesucher die komplexen Überlegungen und Kriterien nachvollziehen, die es im Fall der beiden Aquarelle von Otto Dix zu bedenken galt. Hier gab es zwei Geschädigte. Restituiert werden kann jedoch nur an den Erstgeschädigten. Am Ende war die Lösung eine Einigung der beiden Familien.

Foto: Anne-Cécile Foulon

Bis Ende Dezember 2022 kann die Berner Museumsstiftung gemäß der Vereinbarung mit Deutschland von einem Wahlrecht Gebrauch machen und Werke, für die sich die Provenienz nicht hinreichend klären lässt, dem Bund überlassen oder auch übernehmen.

Von Bern übernommen wurden 1400 Werke der Provenienzkategorie „Gelb-Grün“, obwohl ihre Herkunftsgeschichte Lücken aufweist. Es gibt jedoch keine Belege und Hinweise auf NS-Raubkunst. Deshalb wurde auch auf einen Eintrag in Lost Art klugerweise verzichtet.

Für 184 Werke steht die Ampel aufgrund ihrer unbedenklichen Herkunft auf „Grün“. Darunter fallen auch 166 Arbeiten der sogenannten „Entarteten Kunst“, die von den Museen unter dem Druck des Nazi-Regimes selbst abgestoßen worden waren.

Hildebrand Gurlitts Verkäufe an das Wallraf

Zum ersten Mal kam die seinerzeit von der Provenienzforscherin Jasmin Hartmann erfundene „Ampel“ 2015 in einer gelungenen Kabinettausstellung im Kölner „Wallraf“ zum Einsatz. Das Museum gehörte zu den größten Kunden von Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand, einem der wichtigsten Kunsteinkäufer für die NS-Führung.

Ein grüner Punkt stand auch in Köln für eine geklärte und unbedenkliche Herkunft, ein gelber Punkt signalisierte, dass die Nachforschungen zu keinem abschließendem Ergebnis führten, orange signalisierte Zweifel und rot die Erkenntnis, dass unrechtmäßig erworben wurde.

Die bei hohem Aufwand notorisch geringe Aufklärungsquote ist das generelle Dilemma, mit dem sich Herkunftsforscherinnen und –forscher herumschlagen. Ihm gegenüber steht jedoch ein nicht messbarer Zuwachs an Erkenntnissen. Das vermittelt die Berner Ausstellung anhand von 350 Exponaten in 13 Etappen sehr anschaulich und auch für den Laien nachvollziehbar.

Bern zeigt die Werke mit den aufgefundenen Spuren ihrer Geschichte; sie macht sie als Objekte des Sammelns, des Raubs und des Handels begreifbar und führt Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand in seinen widersprüchlichen Rollen vor. „Wir stellen aber auch anhand von Beispielen dar, wie mit Forschungsergebnissen verantwortungsvoll umgegangen werden kann“, erklärt Nikola Doll, Kuratorin und leitende Provenienzforscherin am Kunstmuseum Bern.

Illusion der lückenlosen Erkenntnis

Das zentrale Beispiel dafür liefert die Lösung im kniffligen Fall des jüdischen Sammlers Dr. Ismar Littmann. Bern ist stolz, zwei Aquarelle von Otto Dix trotz eingeschränkter Erkenntnislage freiwillig seinen und den Erben des ebenfalls geschädigten Paul Schäfer übergeben zu haben. „Beziehungsweise die Lösung nicht auf den Zeitpunkt einer lückenlosen Erkenntnislage verschoben“ zu haben, betonte Rechtsanwalt Marcel Brülhart jüngst gegenüber dem Tages-Anzeiger aus Zürich. Der wäre, „mit großer Wahrscheinlichkeit gar nie“ eingetreten.

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Brülhart, der die Stiftung Kunstmuseum Bern in der Causa Gurlitt vertritt, äußerte in der Schweizer Tageszeitung auch seine Zweifel daran, dass Bern alle Bilder aus dem Nachlass Gurlitt erhalten hat. Indizien dafür würden unter anderem zahlreiche Schlüssel für noch nicht aufgefundene Safes und Implausibilitäten im Zusammenhang mit der Räumung von Gurlitts Wohnsitz in Salzburg liefern. Die Akten im Fall Gurlitt werden also vorerst nicht zu schließen sein.

Das Legat Cornelius Gurlitt ist einschließlich belegter Provenienzangaben online unter www.gurlitt.kunstmuseumbern.ch zugänglich. Die Deutschland überlassenen Werke finden sich in der Provenienzdatenbank des Bundes unter https://kunstverwaltung.bund.de. Die Ausstellung „Gurlitt. Eine Bilanz“ läuft im Kunstmuseum Bern bis 15. Januar 2023.

Mehr: Museumspolitik: Kunsthaus Zürich: Ein Museum in Misskredit

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