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MuseumspolitikKunsthaus Zürich: Ein Museum in Misskredit

Die Kontroversen um die Sammlung Bührle im größten Museum der Schweiz reißen nicht ab. Nun sehen auch die Geldgeber die Mängel und suchen externe Evaluation.Susanne Schreiber 13.01.2022 - 07:49 Uhr Artikel anhören

Der Unternehmer in seiner Sammlung in der Zollikerstraße im Juni 1954.

Foto: Dmitri Kessel; Getty Images

Zürich. Das Kunsthaus Zürich ist eines der großen Museen für die Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Es schickte sich vor gut zehn Jahren an, die Nummer eins zu werden in der Schweiz. Und hat dafür ein 206 Millionen Schweizer Franken teures Museum von David Chipperfield direkt gegenüber vom Stammhaus errichten lassen.

Der voluminöse Neubau wurde im Oktober 2021 eröffnet. Er schafft zusätzlichen Raum vor allem für drei Privatsammlungen, die für zwei Jahrzehnte geliehen, nicht aber geschenkt werden: Die milliardenschweren Sammlungen Merzbacher, Looser und Bührle.

Doch der große Sprung nach vorn ist trotz der bemerkenswerten Kunst nicht gelungen. Statt Lob hagelt es unliebsame Schlagzeilen wegen der Sammlung des Kriegsgewinnlers und Waffenfabrikanten Emil Georg Bührle.

Die Kritik macht sich an zwei Punkten fest: An den ausschließlich von der Leihgeberin, der Stiftung Sammlung E.G. Bührle, getätigten Provenienzrecherchen und an dem zwischen die Meisterwerke geschalteten Dokumentationsraum.

Der Raum referiert die Vita von Bührle – aber kaum die Verkaufsumstände der zur Veräußerung gezwungenen jüdischen Sammler. Selbst für die Bürgermeisterin von Zürich, Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP), bleibt der Dokumentationsraum „unter den Erwartungen“ der Geldgeber zurück. Das räumt sie in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung ein.

Emil Bührle (1890 bis 1956) ist Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg und anschließend Freicorps-Mitglied. Er kommt 1924 aus Magdeburg nach Zürich, zunächst als Prokurist der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO), dann als Geschäftsführer. Mit Hilfe seines vermögenden Schwiegervaters kauft Bührle die WO und macht sie zu einer Waffenschmiede. Ab 1937 heißt sie Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon Bührle (WOB). Das Nachfolgeunternehmen gehört heute zu Rheinmetall.

Die Moderne mit ihren Neuerungen spiegelt dieser ausdrucksstarke „Sämann bei Sonnenuntergang“, den der Künstler 1888 malte.

Foto: Sammlung Emil Bührle; Dauerleihgabe im Kunsthaus Zürich

Bührle wird 1937 in der Schweiz eingebürgert und gilt bereits drei Jahre später als „der reichste Mann der Schweiz“. Das schreibt Matthieu Leimgruber. Der Schweizer Professor für Wirtschaftsgeschichte hat für das Kunsthaus Zürich Vita und Firmengeschichte, nicht aber die Provenienzen der Gemälde recherchiert und unter dem Titel „Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus. Die Sammlung Emil Bührle im historischen Kontext“ open source publiziert.

Emil Bührle markiert seinen rasanten gesellschaftlichen Aufstieg ab 1936 mit dem systematischen Erwerb von Alten Meistern, mittelalterlicher Skulptur und Bildern der Moderne. Der clevere Geschäftsmann wird zum Sammler in einer Zeit, in der viele jüdische Sammler gezwungen waren, Kunst zu veräußern, um ihre Flucht aus Nazi-Deutschland zu finanzieren oder sich in Übersee ein neues Leben aufzubauen.

Trophäe reiht sich an Trophäe

Nur 1940/41 pausiert Bührle mit Kunstankäufen. Aus der neutralen Schweiz heraus versorgt die WOB sowohl die Alliierten mit Waffen als auch die Achsenmächte Deutschland, Italien, Rumänien. 1941 spendet der Kunstfreund erstmals 2 Millionen Schweizer Franken für einen Erweiterungsbau des Kunsthauses.

In den 1950er-Jahren, als Bührle dann die USA mit Waffen im Korea-Krieg unterstützt, wird er nochmals tief in die Tasche greifen, als Mäzen des Kunsthauses Zürich und als Privatsammler, der reihenweise Kunst kauft.

So strittig die Figur Emil Bührle scheint, die Bilder seiner Stiftung sind aus kunsthistorischer Sicht absolut hochkarätig. Ihr Schwerpunkt liegt auf der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts.

Um 1879 datiert das Gemälde „Mohnblumen bei Vétheuil“.

Foto: Sammlung Emil Bührle; Dauerleihgabe im Kunsthaus Zürich

Gustave Courbet und Camille Corot markieren die malerischen Errungenschaften der Vormoderne. Mit kraftvollen Kleinformaten von Eduard Manet, Paul Gauguin, Edouard Vuillard, Pierre Bonnard, mit zahlreichen Gemälden von Vincent van Gogh, Edgar Degas und Paul Cézanne nehmen Impressionismus und Avantgarde breiten Raum ein.

170 Werke der Stiftung Sammlung E.G. Bührle figurieren in 13 unterschiedlich großen Räumen im Chipperfield-Neubau. Der Auftakt mit dem betörenden Meisterwerk von Paul Cézanne, „Der Knabe mit der roten Weste“, wird noch locker präsentiert. Der Schlusspunkt mit drei großen Seerosenbildern von Claude Monet auch. Doch dazwischen sind die ausdrucksstarken Bilder maximal dicht gehängt, so dass sie ihre Aura nicht entfalten können. Es gibt keine Verbindung zwischen den Werken als die Tatsache, dass sich Trophäe an Trophäe reiht.

Ein Schweizer Begriff: Fluchtgut

Die großartige Kunst ist im Zuge von medial breit diskutierten Personalfragen in den Schatten geraten. Zu den nicht abreißenden Kontroversen um die Bührle-Sammlung hat auch eine Pressekonferenz vor Weihnachten beigetragen. Sie war als Reinwaschung von Kunsthaus-Direktor Christoph Becker und dem Direktor der Bührle-Sammlung, Lukas Gloor, gedacht und misslang gründlich.

Kunsthaus und Stiftung Sammlung E.G. Bührle halten nach wie vor an einer Schweizer Spezialität fest, die es so weder in Deutschland noch in Österreich gibt. Konsens in allen drei Ländern ist: NS-verfolgungsbedingter Entzug von Kulturgut, also Raubkunst, muss zurückerstattet werden.

In der Schweiz kennt man darüber hinaus noch Fluchtgut. Davon ist die Rede, wenn jüdische Sammler Kunst verkauften, um ihre Flucht zu finanzieren und eine neue Existenz aufzubauen. Die Website buehrle.ch listet zwar zahlreiche solcher Fluchtgut-Ankäufe auf, hält diese aber für unbedenkliche, rechtsgültige Geschäftsabschlüsse, ganz ohne die Notlage der zum Verkauf gezwungenen Sammler in Betracht zu ziehen. Es könnte sein, dass dieser heilige Gral vor einem international besetzten Gremium von jüngeren, sensibilisierten Provenienz-Forschenden heute keinen Bestand mehr hat.

Restitution von NS-Raubkunst

Preise als Spielball des Handels

Denn die neueste Forschung hat gezeigt: In Zeiten der systematischen Verfolgung und Entrechtung von jüdischen Sammlerinnen und Sammlern kann nicht von marktüblichen Preisen gesprochen werden. Unabhängig davon, wo die Bedrängten verkaufen: in Paris, Berlin oder Luzern. Das hat eine Digitalkonferenz des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München im Frühjahr 2021 anschaulich belegt.

Inzwischen stellt auch der Geldgeber Bedingungen. Das Kunsthaus Zürich wird getragen einerseits von Stadt und Kanton Zürich und andererseits von 25.000 Förderern und Mäzeninnen. Im Vorstand der Zürcher Kunstgesellschaft hat die öffentliche Hand die Mehrheit vor den Privaten.

Aktuell steht die Neuverhandlung des Subventionsvertrags an. Der wird, soviel ist schon sicher, dem Museum eine Evaluierung der durch die Bührle-Stiftung vorgenommen Provenienzforschung durch ein unabhängiges Gremium vorschreiben. Denn ein öffentliches Museum ist, anders als das frühere Privatmuseum Bührle, dem Abkommen von Washington verpflichtet. Es muss NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zurückgeben.

Abschreckendes Krisenmanagement

Ein absolutes Novum wäre die inzwischen wiederholt geforderte Veröffentlichung des Leihvertrags zwischen Bührle-Stiftung und Zürcher Kunstgesellschaft. „In wenigen Wochen“ solle das geschehen, schreibt die Pressestelle des Kunsthauses Zürich auf Anfrage des Handelsblatts.

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Die Position des Kunsthauses ist nicht eben komfortabel. Der bis Januar 2023 amtierende Direktor Christoph Becker hat sich in der Pressekonferenz vor Weihnachten irrtümlicherweise auf Ronald Lauders Placet für den Dokumentationsraum berufen. Der Chef des Jüdischen Weltkongresses dementierte umgehend. Beckers Nachfolgerin, die Belgierin Ann Demeester, wird sich „ab Januar 2022 zunächst in Teilzeit und ab Juli 2022 in Vollzeit“ einarbeiten, heißt es in einer Pressemitteilung.

Der Umgang eines Museums mit Privatsammlungen, deren Präsentation und mediale Wirkung senden Signale aus. Im besten Fall locken sie andere Sammler an oder stoßen sie im schlimmsten Fall ab. Das Krisenmanagement im Kunsthaus Zürich allerdings ist derzeit keine Werbemaßnahme für weitere, jüngere Sammler, sich an dieses Haus zu binden. Doch der voluminöse Neubau muss attraktiv bleiben auch nach dem Abzug der heutigen Highlights in den 2030er-Jahren.

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