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Restitution von NS-Raubkunst Preise als Spielball des Handels

Das Kriterium, ob zwangsverkaufte Kunst einen angemessenen Marktpreis erzielte, hat ausgedient. Wichtiger ist, ob der Verkauf unter Druck erfolgte.
13.05.2021 - 15:31 Uhr Kommentieren
Das „Bildnis einer Dame“ ist heute ausgestellt in der Fränkischen Galerie in Kronach (Ausschnitt aus einem Hochformat). Quelle: Cranach Digital Archive / Bayer. Staatsgemäldesammlungen / Bayer. Nationalmuseum
Umkreis Lucas Cranach d. Ä.

Das „Bildnis einer Dame“ ist heute ausgestellt in der Fränkischen Galerie in Kronach (Ausschnitt aus einem Hochformat).

(Foto: Cranach Digital Archive / Bayer. Staatsgemäldesammlungen / Bayer. Nationalmuseum)

Düsseldorf Wer Kulturgut den Erben jüdischer Sammler zurückgeben soll, kommt um die Klärung einer Frage nicht herum: Handelt es sich um einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust?

Für jeden Verkauf nach 1933 durch ein Opfer der NS-Diktatur wird vermutet, dass er verfolgungsbedingt zu Stande kam. Diese Vermutung kann bislang durch den Nachweis widerlegt werden, dass das Gemälde, das Silber oder das Porzellan einen angemessenen Kaufpreis erzielt hat; und dass der Verkäufer frei darüber verfügen konnte.

Die sogenannte „Handreichung“ der Bundesregierung, die Museen und öffentlichen Einrichtungen in diesen Fragen weiterhelfen soll, ist dabei wenig hilfreich. Denn der von ihr herangezogene Maßstab, der „objektive Verkehrswert“ oder der „Marktpreis“ lässt sich mangels ausreichender Daten kaum ermitteln. Das war das Ergebnis eines kürzlich veranstalteten Kolloquiums zum Kriterium „Marktpreis“ in der NS-Zeit am Münchener Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI).

Was aber ist der objektive Verkehrswert? Wann können Preise als angemessen bewertet werden?

Aus den Daten der letzten 45 Jahre, die Datenbanken wie Artnet oder Artprice bei Versteigerern gesammelt haben, lassen sich – mit Einschränkungen – zwar immerhin heutige Auktionsmarktpreise errechnen. Doch wie steht es um die preisliche Beurteilung der Transaktionen im Nationalsozialismus?

„Ist ein Preis jener, den ein Händler einem Sammler zahlt, der emigrieren muss? Oder jener, den ein Händler erhält, wenn er das Objekt einem anderen Händler verkauft? Oder müssen wir als ‚Marktpreis‘ jenen Betrag ansetzen, den ein Sammler oder ein Museum einem Händler bezahlt“, fragte jüngst Christian Fuhrmeister, Professor am ZI. Welcher Besitzwechsel ist maßgeblich, wenn alle in enger zeitlicher Abfolge stattfinden?

Die historische Karteikarte der Kunsthandlung Böhler dokumentiert den Ankauf des damals mit Gutachten Lucas Cranach zugeschriebenen Damenporträts. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI)
Basis für Grundlagenforschung am ZI

Die historische Karteikarte der Kunsthandlung Böhler dokumentiert den Ankauf des damals mit Gutachten Lucas Cranach zugeschriebenen Damenporträts.

(Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI))

Die 30.000 Karteikarten der Kunsthandlung Julius Böhler gehören – wie die kürzlich dem ZI zur Verfügung gestellten annotierten Auktionskataloge des Münchener Versteigerers Helbing – zu den wenigen Quellen, die befragt werden können.

Die Provenienzforscherin Birgit Jooss hat sie ausgewertet und festgestellt, dass Böhler unter Druck geratenen Verfolgten des NS-Regimes einen wesentlich geringeren Preis zahlte, als er später für die Werke verlangte. Zugleich wusste er hohe Gewinne herauszuholen, wenn er an zahlungskräftige Käufer herantrat.

Böhler etwa soll Fritz Thyssen „wie eine Weihnachtsgans“ ausgenommen haben. Beispielsweise mit einer für 800 Reichsmark im Kunsthandel erworbenen Skulptur des Hl. Georg aus dem 14. Jahrhundert. Die wusste er ein knappes Jahr später zum 25-Fachen des Preises, für 20.000 Reichsmark weiter zu verkaufen.

56.000 Reichsmark musste Fritz Thyssen im Mai 1936 für das Damenporträt bezahlen. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI)
Aus den Geschäftsunterlagen der Kunsthandlung Böhler

56.000 Reichsmark musste Fritz Thyssen im Mai 1936 für das Damenporträt bezahlen.

(Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI))

Fast den zehnfachen Preis erzielte Böhler mit dem Verkauf eines Damenporträts, das heute dem Umkreis Lucas Cranachs d. Ä. zugeschrieben wird. 56.000 Reichsmark musste Thyssen dafür im Mai 1936 auf den Tisch legen. Erworben hatte es Böhler im Monat zuvor für 5750 Reichsmark bei einem Kollegen. „Ist der Marktpreis die Summe, die Böhler zahlte, oder jener Betrag, den er erzielte, oder liegt er irgendwo in der Mitte?“, fragt Jooss.

Nicht nur die Ausnutzung der Kaufkraft vermögender Kunden, auch der mit 150 Millionen Reichsmark ausgestattete „Sonderauftrag Linz“, sorgte für horrende Preissteigerungen. Er trat 1938 auf den Plan, um eine Sammlung für das geplante Führermuseum in Linz aufzubauen. Auch geschicktes Hin- und Herschieben von Kommissionsware konnte sich auszahlen.

Das zeigt die Provenienzforscherin Lena Lang am Beispiel zweier Lucas Cranach d.Ä. zugeschriebener Altartafeln. Von Böhler 1918 für 40.000 Mark erworben, standen der Hl. Martin und die Hl. Ursula nach Abschreibung und ein Jahr später nur noch mit 10.000 Mark in den Büchern, bevor sie für 28.000 Mark an die Schwesterfirma, die Kunsthandel AG in Luzern, verkauft wurde.

Extreme Wertschwankungen können innerhalb kurzer Zeitspannen durch Abschreibung, Verkauf, In-Kommission-Nehmen und getrenntem Wiederverkauf entstehen. Die auf der Karteikarte dokumentierten Tafeln befinden sich heute im Stiftsmuseum Aschaffenburg. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI)
Lucas Cranach d.Ä. zugeschriebene Altartafeln

Extreme Wertschwankungen können innerhalb kurzer Zeitspannen durch Abschreibung, Verkauf, In-Kommission-Nehmen und getrenntem Wiederverkauf entstehen. Die auf der Karteikarte dokumentierten Tafeln befinden sich heute im Stiftsmuseum Aschaffenburg.

(Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI))

Die Luzerner AG gab sie umgehend zurück in Kommission bei Böhler, wo die beiden Tafeln separat erfasst und im Dezember 1919 für 70.000 Mark jeweils an den Kunstsammler Marcell von Nemes verkauft wurden. Böhler erhielt einen Kommissionsanteil von 12.600 Mark, die restlichen 113.400 Mark gingen an die Kunsthandel AG Luzern. „Was also waren die Gemälde tatsächlich wert“, fragt Lang.

Finanzielle Werte sind manipulierbar und das Ergebnis gezielter Markteingriffe. Auch Verfolgung und Vertreibung griffen in den Markt ein. Zu viel Ware musste zurückgelassen oder abgestoßen werden. Auktionspreise fielen auch deshalb niedrig aus, weil jüdische Sammler als Käufer nicht mehr auftreten konnten.

Bisweilen ließ sich angesagte Kunst noch teuer verkaufen. Doch für das Gros der Offerten verfielen die Preise. So erhielt der Düsseldorfer Galerist Max Stern, der 1937 gezwungen worden war, seinen Warenbestand durch Auktion aufzulösen, später vom Land NRW eine Entschädigung wegen sogenannter Verschleuderungsverluste. Der Verkauf der Bilder zu einem frei gewählten Zeitpunkt hätte Stern mutmaßlich einen höheren Erlös eingebracht, wäre er nicht zur Einlieferung gezwungen worden.

„Sollte man das Kriterium ‚marktüblicher Preis‘ am besten gar nicht mehr für die Bewertung im Kontext NS verfolgungsbedingt entzogener Kunst hinzuziehen“, fragt die Leipziger Provenienzforscherin Birgit Brunk.

„Wir brauchen den angemessenen Kaufpreis für die Vermutungsregelung und deren Widerlegung“, hält die Berliner Verwaltungsjuristin Liane Rybczyk dagegen. Sie gehe auf das alliierte und bundesdeutsche Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsrecht zurück. Dabei wird jeder Verkauf nach 1933 mutmaßlich als verfolgungsbedingt gewertet, was aber auch widerlegt werden kann. „Dazu sehe ich keine Alternative“, ergänzt Rybczyk. Es bedürfe aber der Diskussion, was ein angemessener Kaufpreis ist.

„Warum haben wir das nicht viel früher diskutiert“, wirft die Geschäftsführerin des Münchener Auktionshauses Neumeister, Katrin Stoll, auf Nachfrage des Handelsblatts ein. Sie plädiert dafür, eine große, heterogen besetzte Arbeitsgruppe zu gründen. Neben Kunsthistorikern sollten ihr auch Wirtschaftshistoriker, Erbenvertreter und Juristen angehören.

Die Figur wurde zum 25-Fachen des Ankaufspreises weiterverkauft. Quelle: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI)
Skulptur des Hl. Georg aus dem 14. Jahrhundert

Die Figur wurde zum 25-Fachen des Ankaufspreises weiterverkauft.

(Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München (ZI))

Die am ZI wirkenden Provenienzforscher Christian Fuhrmeister, Stephan Klingen und Birgit Jooss halten den Marktpreis als verbindlich zu prüfendes Kriterium „wegen der damit verbundenen riesigen Schwierigkeiten für entbehrlich“. „Wichtiger und relevanter erscheint der Umstand, ob der Verkauf unter Druck erfolgte“, erläutert das Trio auf Nachfragen des Handelsblatts.

Der Kontext einer Transaktion sei bedeutsamer als die exakte Summe oder die Frage der ‚Angemessenheit‘. „Man könnte auch schlicht sagen: gut gemeint, aber zu kurz gesprungen“, ergänzen die ZI-Forscher. „Das Gesamtbild ist relevant, nicht so ein Unter- oder Nebenaspekt wie der Erlös.“

Mehr: NS-Raubkunst: Der Gemäldeverkauf legte die Basis für die Auswanderung

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