Kunstmarkt im Nationalsozialismus: Wolfgang Gurlitt – Ein Kunsthändler mit vielen Gesichtern

Bad Aussee. Ein durchdringender Blick, sehr selbstbewusst, der junge Mann im eleganten Anzug schaut, als würde er etwas in der Ferne fixieren. Die auffallend sinnlichen, roten Lippen lächeln nicht. Aber die Gesichtszüge verraten Energie und Entschlossenheit, obwohl das weitgehend auf Schwarz-Weiß-Töne reduzierte Porträt etwas düster wirkt. Der junge Mann ist Wolfgang Gurlitt, „Der junge Gurlitt“, wie aus der Signatur hervorgeht, die der Maler Lovis Corinth sehr ungewöhnlich direkt neben das Gesicht des Dargestellten gesetzt hat.
Der Porträtierte war damals 29 Jahre alt. Ein Jahr später übernahm er die Berliner Kunsthandlung seines Vaters Fritz Gurlitt, eine damals wichtige Galerie für Zeitgenossen, die auch Corinth unter Vertrag hatte. Das Porträt hing ursprünglich in der Berliner Nationalgalerie. Doch 1937 beschlagnahmten es die Nationalsozialisten zusammen mit 15 weiteren Werken Corinths, um es in der Schweiz zu versteigern.
Über Umwege kam das Porträt zurück in den Besitz Wolfgang Gurlitts und schließlich ins Linzer Lentos Museum. Und nun ist es im Kammerhofmuseum in Bad Aussee zu sehen in der Ausstellung „Wolfgang Gurlitt – Kunsthändler und Profiteur in Bad Aussee“ (bis 3.11.). Sie ist Teil des dreiteiligen Ausstellungsprojekts „Die Reise der Bilder – Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut“. Dieses ist integriert in das Programm der Kulturhauptstadt im Salzkammergut, an der 23 Gemeinden beteiligt sind.
Wie so viele andere war auch der Berliner Kunsthändler Wolfgang Gurlitt zunächst nur Sommerfrischler im Salzkammergut. Seine Familie kaufte aber bereits 1940 eine Villa am Lenauhügel in Bad Aussee. Und fand hier nach der Bombardierung von Wohnung und Galerie in Berlin im Jahr 1943 eine neue Wahlheimat.
Der Name Gurlitt ist in der Kunstwelt berüchtigt. Unvergessen ist der spektakuläre „Schwabinger Kunstfund“ vor zwölf Jahren, als bei Cornelius Gurlitt die mehr als 1200 Werke umfassende Kunstsammlung seines Vaters Hildebrand Gurlitt gefunden wurde. Ein Teil der Werke hatte seit 1945 als verschollen gegolten, es bestand der Verdacht, dass es sich um NS-Raubkunst handeln könnte.
Der Fall sorgte für viel Wirbel, stieß aber überfällige Diskussionen und eine Gesetzesinitiative an. Hildebrand Gurlitt war der Cousin von Wolfgang Gurlitt, dessen bewegtes Leben Bad Aussee nun genauer unter die Lupe nimmt.

Wie sein Cousin Hildebrand, der als einer der Haupteinkäufer für das geplante Hitler-Museum in Linz fungierte, arbeitete auch Wolfgang offenbar recht ungeniert mit den Nationalsozialisten zusammen. Dabei hatte Wolfgang Gurlitt selbst jüdische Wurzeln und lebte und arbeitete mit seiner jüdischen Partnerin Lilly Christansen-Agoston zusammen.
Man lebte in einer Art polyamouröser Großfamilie zusammen in der Ausseer Villa, gemeinsam mit Gurlitts Ex-Frau und seiner Ehefrau sowie seinen zwei Töchtern. Von hier aus führte Gurlitt zusammen mit Lilly Christansen-Agoston den Kunsthandel weiter. Das Paar handelte während der NS-Zeit nachweislich auch mit „entarteter“ und beschlagnahmter Kunst und war auch in Notverkäufe verwickelt.
Fern der bombardierten Großstädte überstand Gurlitt den Zweiten Weltkrieg. 1946 wurde er Direktor der Neuen Galerie der Stadt Linz, der Vorgängerin des heutigen Lentos Kunstmuseum. Dessen Bestand geht wesentlich auf Gurlitts Sammlung zurück und verwaltet damit ein problematisches Erbe.
Als exemplarisch für Gurlitts Ambivalenz kann die in der Ausstellung dokumentierte Schau gelten, die Gurlitt 1949 anlässlich der Festwochen in Aussee präsentierte. Sie wurde eigens nachgestellt: Die dokumentierten 13 Künstlerinnen und Künstler repräsentierten ein breites künstlerisches und ideologisches Spektrum überwiegend im Medium figurativer Grafik. Gurlitt vereinte da einst als „entartet“ Diffamierte mit Unterstützern und Mitläufern der NS-Diktatur.
Die Ausseer Schau hält Gurlitts Ambivalenz aus. Sie präsentiert auch den Genießer und liberalen Privatier; eine Zeichnung von Rudolf Grossmann zeigt ihn eng angeschmiegt an die Wiener Nackttänzerin Anita Berber.

Anders als Cousin Hildebrand war Wolfgang ökonomisch weniger erfolgreich, er vererbte keine Riesensammlung. Er sah sich noch zu Lebzeiten gezwungen, seine Schiele-Sammlung zu verkaufen.Von Andreas Bartsch, einem Kunsthändler und ehemaligen Mitarbeiter von Gurlitt, findet sich der Satz ausgestellt: „Eigentlich hätte er ein furchtbar reicher Mensch sein müssen. Ihm war am liebsten, zu sammeln und nichts zu verkaufen.“
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