Männer, Mode und Macht: Was der Hemdkragen über dich verrät

Karl Lagerfeld trägt seinen Kragen immer steif.
Krawatte, Koffer, Kragen. Wichtige Männer machen keinen großen Aufwand, um Mode und Macht in einen Zusammenhang zu bringen. Dass das in einem Zusammenhang steht, ist aber schon lange bekannt. Denken wir da an Napoleon, der mit seinen avantgardistischen, mutigen Outfits aus feinsten Stoffen seine kapitalistische Gier und den brutalen Größenwahn nur noch stärker kontrastierte. Napoleon gewann - neben Land und Leuten viel Respekt und Ehrfurcht. Ob einem Mann im öden Baumwollkittel gelungen wäre, zum ersten Trendsetter der Moderne zu werden und nebenbei einen Haufen Länder zu erobern?
Die Macht der Mode wurde seit Napoleons (modischem) Siegeszug groß. Nach seinen Seidentüchern waren es Ende des 19. Jahrhunderts provokante Stehkragen, die so genannten Vatermörder, die einen formellen Kleidungsstil unterstrichen und deutliche Signale sendeten: Schaut her, mein Kragen, also hab ich das Sagen.
Und was sagen die Männer von heute? Glücklicherweise schon mal „ne, danke“ zu Seidentüchern und meistens auch zu Stehkragen, aber nach wie vor „ja, bitte“ zu anderen modischen Akzenten.
Und die kann man selten so gezielt setzen, wie mit einem Hemdkragen. So unterschiedlich sie in Form und Farbe auch sein können, so klar ist ihre Relevanz im souveränen Gesamterscheinungsbild eines Mannes. In seinem Berufsalltag, aber vor allem in Politik und Wirtschaft.
Gehen wir doch mal einem exemplarischen Spitzenpolitiker an den Kragen. Wladimir Putin profiliert und repräsentiert sich gern über seine Optik. Wenn er sich nicht gerade mit muskulösem Oberkörper in Poser-Pose beim Angeln ablichten lässt, dann steht er akkurat gestylt im Rampenlicht. Sein Hemdkragen groß, geöffnet, präsent - ein Zeichen von Autorität, Coolness und Stärke.
Doch ist es das, was einen mächtigen Mann ausmacht? Ein großer Haifischkragen, der mit den breiten Flächen dominanter Bestandteil eines Businessoutfits ist? Werden Politiker erst dann einflussreich, wenn sie ihren (finanziellen) Erfolg auf Größe und materielle Qualität projizieren? Oder gar ihre Gegner im Hemdkragen-Duell überbieten?

Der klassische Kentkragen gehört in den Kleiderschrank eines jeden Mannes.

Wladimir Putin legt Wert auf den richtigen Auftritt – ob beim Angeln im Freien oder auf der politischen Bühne.
So zumindest geschehen im Sommer 2007, als Putin George Bush in einem Dralon®-Hemd mit Haifischkragen gegenüber trat, in den Schatten stellte, und es wenig später beim Angeln gelassen abwarf. Putin, körperlich kleiner als Bush, ganz groß. Und Bush? Belächelt. Sein Kragen war irgendwie so mickrig.
Irritierend. Denn eigentlich sagt man(n), Haifischkragen seien was für Financiers. Haifische eben. Dass Putin diese Kragenform wählt und die oberen Knöpfe öffnet, als ginge ihm jemand an die Gurgel und er ringe er nach Luft, würden die philosophischen Stil-Analytiker als symbolischen Akt seiner politischen Linie verstehen, die unter dem oppositionellen Druck ihre Geradlinigkeit zu verlieren droht.
Es geht schließlich nicht nur um Politik, sondern um Geld. Bänker und Manager der alten Schule bevorzugen den klassischen Kent, der sich immer gut zu Anzug und Krawatte macht. Experten nicken eifrig. Ja, besonders verbreitet und modern ist ein schmaler Kent mit mäßiger Kragenhöhe. Ein stilvoller Geschäftsmann ist mit dem Kent deshalb gut bedient, wenn er sowohl seriös, als auch elegant und je nach Variation auch lässig wirken möchte.
Lässigkeit – neben einer schwarzen Nerdbrille und iPad nahezu ein Musthave in der Kreativbranche. Werbefutzis, Designer oder Künstler haben natürlich ein anderes Verhältnis zu Hemden. Und sie dürfen sich eigentlich mehr erlauben, vor allem mehr Mut, Mode und Kreativität.
Abgesehen von Musterexempel Karl Lagerfeld, der seit je her auf seinen extrem hohen, steifen Kragen schwört und ihn zu einem seiner Markenzeichen machte, treten Kreative meist informeller auf. Ein Hemd und sein Kragen als optionale Modekomponente, ja, aber nicht als Zeichen von Macht. Naja, bis auf Lagerfeld, den modernen Kaiser der Kleidungsindustrie, der spätestens seit der Krönung bei Chanel nicht nur Mode, sondern auch massig Moneten produziert.
Da wären wir wieder beim Geld. Langsam zeichnet sich also ab, dass große Persönlichkeiten einen großen Kragen brauchen, um große Wirkung zu erzielen. Aber ist es möglich, dass ein korrekt gewählter Kragen auch die Karriere pusht?
Gehen wir dafür wieder zurück zur Politik, da, wo Kreativität ihren Höhepunkt bei den Ausschnitt-Tiefen und Farben von Angela Merkels Kostümen ihren Höhepunkt findet. Schade eigentlich, findet zumindest Mark Bezner, geschäftsführender Gesellschafter beim Hemdenhersteller Olymp. „Grundsätzlich könnte ich mir etwas mehr Vielfalt in der Wahl der Hemdkragen innerhalb der Politik durchaus vorstellen“.
Gute Beispiele für einen gelungenen Kleidungsstil sind für ihn SPD-Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier, Bundesaußenminister Guido Westerwelle, Staatssekretär Steffen Seibert oder René Obermann, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG. „Abseits von Politik und Wirtschaft fällt mir spontan der Hauptnachrichtenmoderator des ZDF heute Journals, Claus Kleber, ein, dessen gradlinigen Bekleidungsstil ich überaus schätze“, sagt er.
Wohl kaum einer von ihnen bekam seinen Job, weil er mit seinem Kragen glänzte. Die Kragenform gibt in erster Linie nämlich Aufschluss über die Stilsicherheit des Trägers und mit welcher Sorgfalt das Hemd entsprechend des Anlasses ausgewählt wurde.
Über die fachliche Qualifikation aber selbstverständlich nichts und auch im Auf- oder Abstieg im Berufsleben bleibt er garantiert einflusslos. Das sieht auch Bezner so: „Dass allein der Hemdkragen für den Verlauf einer Karriere entscheidend sein könnte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Die Wirkung von korrekter und angemessener Bekleidung auf andere sollte man dennoch niemals unterschätzen“.
Trotzdem kann der Kragen eine gewisse Aussagekraft haben und als expressives Werkzeug der Persönlichkeit fungieren. Kehren wir dafür nochmal zu unserer politischen Stilikone Putin zurück. Er hält sich an gewisse Konventionen, möchte dennoch omnipräsent, trendbewusst und akzentuiert auftreten und greift deshalb zum Haifischkragen.
Maximilian Di Matteo, Head of Product Management bei Carl Gross, schaut hinter die Fassade und gibt Stylingtipps: „Er wirkt extravagant und stilsicher. Dazu passt eine mittelbreite bis breite Krawatte und ein großer Krawattenknoten wie der Windsorknoten“. Wäre Putin nach einer Typveränderung, müsste er sich für mehr Sportlichkeit Richtung Button Down-Kragen orientieren.





Ein Schnitt, der sich nur für Bürojobs ohne Anzugpflicht eignet. Und möchte Putin stärker mit der Zeit gehen, muss er scharfsinnig und flexibel reagieren, denn mit einem Kragen ist es wie mit allen anderen modischen Erscheinungen: Welche Größen, Designs und Farben angesagt sind, variiert von Saison zu Saison.
Was nicht variiert, ist der gesellschaftliche und berufliche Einfluss eines Hemdkragens. Er öffnet weder Türen, noch legt er die Weichen für den zukünftigen Berufsweg. Er dient vielmehr als Instrument, die Macht eines mächtigen Mannes modisch zu untermalen. Ungefähr so, wie seine schönmalerischen Worte.
Und das ist keine zeitgenössische Erscheinung! Diese verbale und optische Theatralik beherrscht Putin mindestens genauso gut wie damals Caesar oder Napoleon. Kämen sie alle noch einmal zusammen, würde ihrem Meeting letztlich wohl der folgende Appell entstammen: Schaut her, wir können‘s tragen, denn wir haben das Sagen.





