Buchtipp: „Schwacher Staat im Netz“: Wie die Digitalisierung den Staat in Frage stellt

Der Staat tut sich mit der Digitalisierung schwer. Die Verwaltung wagt selten etwas Neues.
Berlin. Bei Vorträgen stellt Martin Schallbruch seinem Publikum gern eine Frage: Welche App haben Sie bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 am meisten genutzt? Als Antwort kommt dann meistens „Kicker“, „DFB-App“ oder der Messenger-Dienst WhatsApp. Alles falsch, denn Apple brachte sein erstes iPhone tatsächlich erst 2007 überhaupt auf den Markt.
Die kleine Anekdote zeigt, in welch kurzer Zeit es neue Technologien schaffen, so tief in unseren Alltag vorzudringen, dass es uns so vorkommt, als seien sie schon immer da gewesen. Einer kommt bei dieser rasanten Entwicklung jedoch nicht mit, wenn man dem Digitalexperten Martin Schallbruch folgt: der Staat.
Besonders interessant macht sein neues Buch „Schwacher Staat im Netz“, dass Schallbruch selbst an entscheidenden Stellen in der Bundesregierung im Bereich der Digitalpolitik mitgewirkt hat, zuletzt als Leiter der Abteilung Informationstechnik, Digitale Gesellschaft und Cybersicherheit im Bundesinnenministerium. Seit 2016 arbeitet er am Digital Society Institute an der privaten Hochschule ESMT in Berlin.

Als Ursache für die schleppende Digitalisierung der Verwaltung macht Schallbruch in seinem Buch etwa das Verfahren der sogenannten Mitzeichnung aus. Alle Stellen, die mit einem Projekt zu tun haben, müssen per Unterschrift versichern, dass sie das Konzept für ihren Bereich auch mittragen. „Wer etwas mitzeichnet, übernimmt die Verantwortung dafür, dass das Vorhaben aus dem eigenen Blickwinkel heraus in Ordnung ist“, schreibt Schallbruch.
Risikovermeidung wird zum Problem
Das führe aber zu dem Problem der Risikovermeidung, die Apparate innerhalb der Regierung seien darauf ausgerichtet, ihre Chefs vor Fehlern zu bewahren. Deshalb wage die Verwaltung auch so selten etwas Neues und halte lieber an bewährten Prozessen fest. Das Ergebnis dieses Auf-der-Stelle-Tretens ist bekannt: Deutschland liegt bei der Digitalisierung der Verwaltung laut einer Studie der EU-Kommission im europäischen Vergleich auf Platz 20.
Schallbruch führt seinen Lesern immer wieder kleine Rückblenden vor, die zeigen, wie viel sich vergangene Bundesregierungen vorgenommen haben und wie wenig davon tatsächlich umgesetzt wurde. Inmitten des „Digitalisierungs-Taifuns“ gebe es Themen, die konstant bleiben. Dazu gehören: Cybersicherheit und Kryptografie, also die Verschlüsselung von Daten.
Seit der Erfindung des Internets und neuer Kommunikationsmittel hat der Staat auch immer wieder versucht, diese zu knacken und Daten seiner Bürger zu sammeln. Es besteht ein Dilemma, das nicht zu lösen ist: Auf der einen Seite sollte ein Bürger das Recht haben, seine Kommunikation und seine Daten vor den Blicken anderer zu schützen.
Auf der anderen Seite kann der Staat aber seinerseits auch ein Interesse haben, in den Mailverkehr reinzuschauen oder Verbindungsdaten nachzuvollziehen, etwa um schwere Verbrechen aufzuklären. Erst vor kurzer Zeit wurde die neue Behörde Zitis, die dem Bundesinnenministerium unterstellt ist, gegründet. Sie soll die Fähigkeiten entwickeln oder kaufen, auch verschlüsselte Kommunikation entschlüsseln zu können.



Da das nur dann geht, wenn eine Schwachstelle in einem Dienst vorhanden ist, bringt das den Staat in eine Zwickmühle: Verschweigt er die Schwachstelle und nutzt sie aus – womit er riskiert, dass unbescholtene Bürger Opfer Krimineller werden, die ebendiese schwache Stelle im System auch entdeckt haben und nutzen.
Oder meldet er das Einfallstor? Derzeit finde keine Abwägung zwischen der Nützlichkeit von Schwachstellen zum Eindringen in die Computer von Verdächtigen und der Kritikalität für die IT-Sicherheit statt, kritisiert Schallbruch. Das werde ein Thema sein, das uns noch die kommenden Jahre begleitet, schätzt der Experte.





