Die Geografie der Zukunft: Rohstoffe und Energie aus dem Weltraum – „Es droht ein neues Schlachtfeld“

Außeneinsatz an der ISS im März 2022. Die Raumstation gilt als Erfolgsgeschichte für internationale Zusammenarbeit.
Düsseldorf. Der Countdown läuft: Die Menschheit befindet sich in einem neuen Wettlauf um die besten Plätze im erdnahen Universum. Verheißungsvoll verspricht uns vor allem der große gelbe Ball am Nachthimmel, dass er seine gut gehüteten Schätze nicht mehr lange vor uns verbergen kann.
Schon heute entwerfen Wissenschaftler Szenarien, die einem Science-Fiction-Blockbuster gleichkommen. Dazu zählt neben dem Mondbergbau die Energie vom Mond. Dürfen wir Erdenbewohner wirklich hoffen, dass eines unserer größten Probleme, die Endlichkeit der Energieressourcen, bald gelöst ist?
In seinem aktuellen Buch „Die Geografie der Zukunft“ entführt Erfolgsautor Tim Marshall seine Leser in die Weiten des Orbits und bringt ihnen nahe, was längst mehr ist als skurrile Ideen aus Hollywoods Traumfabrik. Dazu zählen auch die Forschungen von Ouyang Ziyuan, Geochemiker und bekanntestes Gesicht des chinesischen Mondprogramms.
Der Raumfahrtexperte geht davon aus, dass ein Edelgasvorkommen im Mondstaub den Energiebedarf der Menschheit für mindestens 10.000 Jahre decken könnte. Das astronomische Potenzial sieht er im Helium-3. Theoretisch ließe sich damit ein Fusionsreaktor bauen – im kommenden Jahrzehnt, wie er schreibt –, der ohne verstrahlten Müll auskäme.
Zwar bezweifeln Wissenschaftler wie der britische Teilchenphysiker Frank Close diese Theorie und halten die viel gerühmte Helium-Variante nicht für den erhofften Heilsbringer. Doch Autor und Geopolitikexperte Marshall geht es in seinem aktuellen Werk nicht um einen wissenschaftlichen Disput, sondern um einen anderen Gedanken: Wenn dort oben sagenhafte Schätze zwischen Erde, Mond und Mars verborgen sind – was auch immer es sei –, werden wir Menschen davon profitieren wollen.

Auch private Unternehmen haben längst erkannt, dass da draußen viel Geld zu verdienen ist. Die kommerziellen Chancen sind zahlreich.
Staatschefs und Politiker werden für ihr Land um einen möglichst großen Vorteil ringen. Doch wem gehört überhaupt der Weltraum?
Neue Rivalitäten, Bündnisse und Konflikte
Marshall knüpft mit „Geografie der Zukunft“ an seine „Die Macht der Geografie“-Bände an und bringt seinen Lesern in verständlicher Sprache, bisweilen durchaus unterhaltsam, höchst komplexe Zusammenhänge nahe. Dafür führt er ein in die Weltraumhistorie, schildert technische Möglichkeiten im Hier und Jetzt und wendet sich dann der Zukunft zu.
Grundlegend ist vor allem ein Gedanke: Der Orbit ist die Erweiterung irdischer Geografie. Es gibt Korridore für Durchfahrten, Regionen mit Bodenschätzen oder Bauland sowie auf den Erdumlaufbahnen die besten Plätze für Satelliten.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet lässt sich die Gefahr erahnen, denn Rivalitäten, Bündnisse und Konflikte könnten sich alsbald schon in den Weltraum erstrecken. Und genau darauf sind wir Erdenbewohner gar nicht gut vorbereitet.

In den vergangenen Jahrzehnten galt der Orbit als gemeinsames Erbe der Menschheit (Weltraumvertrag von 1967, Mondvertrag von 1979). Aber „diese Idee vom Gemeingut, die in verschiedenen noblen, aber nicht durchsetzbaren und überholten Verträgen festgelegt worden ist, franst an den Enden aus“, warnt der Autor. „Das Schlachtfeld nimmt schon Gestalt an.“
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Als früherer Auslandskorrespondent für Fernsehsender wie BBC oder Sky News hat Marshall aus mehr als 40 Ländern berichtet – vor allem aus großen Krisengebieten. Nun verheißt es wenig Gutes, wenn er von einem „Schlachtfeld“ spricht.

Die Shenzhou-10-Kapsel schlägt nach einem 15-tägigen Aufenthalt im All wieder auf der Erde auf.
Die Nationen beginnen, erste Vorsorgemaßnahmen zu treffen. So entschied etwa der Nato-Gipfel 2021 in aller Stille, bei den Beistandspflichten der Bündnispartner den Weltraum als neues Vertragsgebiet aufzunehmen.
Marshall widmet den großen Raumfahrtnationen USA, Russland und China eigene Kapitel. Das Gefüge ist aber noch komplexer: Insgesamt sind bereits 80 Nationen mit eigenen Satelliten im Weltraum präsent. Hinzu kommen private Unternehmen wie etwa SpaceX von Elon Musk, Arsenal in Russland, die chinesische i-Space oder die japanische Ispace.
Bei dieser Vielzahl von Akteuren steigt das Risiko. Einige der möglichen Gesetzeslücken skizziert Marshall: So gilt zwar seit Jahrzehnten im Orbit das Verbot nationaler Aneignung – aber ist Ressourcenabbau eine „Aneignung“?
Oder wer haftet, wenn ein privates Unternehmen einen strategisch wichtigen Satelliten eines anderen Staates zerstört?
Im Extremfall stellt sich auch eine Frage wie diese: Soll Spanien zu den Waffen greifen, wenn über Kenia etwa ein Satellit von Elon Musk abgeschossen wird? Zum Glück hat der Atlantikrat bislang zurückhaltend formuliert, dann „von Fall zu Fall“ zu entscheiden.
Es ist eine Stärke von Marshalls aktuellem Werk, seinen Lesern die Gefahrenlage klar vor Augen zu führen. Die Lektüre seines Buches gibt einen umfassenden Einblick. Die umrissenen möglichen Lösungsstrategien bleiben dagegen eher vage.






Wer würde etwa bestreiten, dass sich die Nationen schnell auf verbindliche Weltraumgesetze einigen sollten? Gemeinsam gilt es auch, dringend ein System zu entwickeln, um die zunehmende Anzahl von Satellitentrümmerteilen zu entsorgen – vernünftig wäre das, viele Gründe sprechen dafür. Doch wie wahrscheinlich ist derzeit dieses „gemeinsam“ von China, Russland und den USA?
Bleibt zu hoffen, dass der von Marshall zitierte Albert Einstein wenigstens einmal geirrt hat, wenn er über die Menschheit urteilt: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“






