Diversity Fränzi Kühne: „Man kann von Männern auch gute Sachen lernen“

„Meine Erwartung war ursprünglich, dass es viel lustiger werden würde und viel absurder“, sagt die Digitalisierungsexpertin über die Arbeit an ihrem Buch.
Düsseldorf Kaum hatten die Grünen Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin ihrer Partei gekürt, wurde sie gefragt, wie sie das denn mit ihrer Familie vereinbaren könne. Schließlich hat sie zwei Kinder im Alter von fünf und neun Jahren. Aber: „Immerhin gab es diesmal auch gleich einen Aufschrei: Warum bekommt sie solche Fragen gestellt und Armin Laschet nicht?“, sagt Fränzi Kühne im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Da sieht man, dass wir schon ein Stück weiter sind. Ein kleines Stück.“
Kühne gründete mit zwei Freunden im Jahr 2008 „Torben, Lucie und die gelbe Gefahr“ (TLGG), die damals erste deutsche Social-Media-Agentur. Wegen dieser Kompetenz berief die Telekommunikationsfirma Freenet sie 2017 in ihr Kontrollgremium. Kühne wurde damit zur jüngsten Aufsichtsrätin Deutschlands. Und war seither Fragen ausgesetzt wie nun Annalena Baerbock.
Können Sie für andere junge Frauen ein Vorbild sein? Machen Sie sich Gedanken darüber, ob Sie nur gewählt wurden, weil Sie eine Frau sind? Wurden Sie schon einmal wegen Ihrer optischen Attribute befördert? Wie bekommen Sie Karriere und Kinder unter einen Hut?
Kein Interview, das ohne eine solche Frage auskommt. Für Kühne, eine der bekanntesten deutschen Digitalisierungsexpertinnen, mehr als frustrierend. Warum werden ihr ständig solche Fragen gestellt, Männern aber nicht?
Also drehte Kühne den Spieß um – und suchte Männer, die genau die Fragen beantworten sollten, mit denen sie sich immer auseinandersetzen musste. Gesammelt hat sie diese in ihrem Buch „Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal“, das nun im Fischer Verlag erschienen ist.
Entstanden sind 240 äußerst unterhaltsame Seiten, was zum Teil an den Antworten der Herren liegt, zum Teil an Kühnes von trockenem Humor geprägten Einordnungen.
Etwa 50 Anfragen hatte Kühne verschickt, 22 Männer haben sich ihrem Fragenkatalog gestellt. Erfolgreiche Männer aus Wirtschaft, Politik und Kultur.
Der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser ist dabei, Deutsche-Bank-Konzernsprecher Jörg Eigendorf, Investor Frank Thelen, Werber Jean-Remy von Matt, Bundesaußenminister Heiko Maas, Linken-Politiker Gregor Gysi, aber auch ein Sänger, ein Internetstar, ein Arzt, ein Ordensmann.
Insgesamt sind weniger Konzernlenker dabei, als man es vielleicht erwartet hätte. Kühne erklärt das so: „Ich bin mit einigen in Kontakt gewesen, aber im Laufe der Gesprächsanbahnung stellte sich raus, dass das nicht das Thema war, worüber Männer in solchen Positionen in Unternehmen reden möchten. Da gibt es eine sehr große Scheu, sich zu positionieren und eine Haltung zu zeigen.“
„Weil ich so schön bin?“, fragt Gysi
Um bei dem Projekt mitzumachen, bedarf es wohl einer einigermaßen modernen Grundeinstellung. Und der Bereitschaft, sich absurd anmutenden Fragen offen zu stellen, sie nicht allzu ernst zu nehmen. Vor allem an den Stellen, wo es um Äußerlichkeiten geht.
„Weil ich so schön bin?“, fragt Gregor Gysi und lacht, als Kühne ihn auf eine mögliche Beförderung dank seiner optischen Attribute anspricht.
Heimwerkerkönig und Youtuber Fynn Kliemann bemerkt: „Ich krieg ja ähnliche Fragen gestellt, aber die sind weniger kritisierend und mehr bewundernd.“ Die vielen Fragen nach dem „Schaffst du das denn?“, „Kannst du das wirklich?“ und „Hast du keine Angst, zu scheitern?“ hatten ihn sichtlich angestrengt.
Und so empfindet Kühne in einem gewissen Sinne Bewunderung für die Herren: „Ich fand es erstaunlich, dass niemand das Gespräch beendet hat, weil es ihm zu blöd war.“ Ihre Gesprächspartner spielen das Spiel mit, sind aber immer wieder „einen Moment lang wirklich verdutzt“ oder auch belustigt.
Kliemann etwa war zwischenzeitlich so genervt ob der stereotypen Fragen, dass Kühne ihn noch einmal an die Intention des Projektes erinnern musste. Er hatte tatsächlich in dem Moment vergessen, dass das nicht die Fragen von Kühne selbst waren.

Fränzi Kühne: Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal.
S. Fischer
Frankfurt 2021
240 Seiten
14 Euro
An vielen Punkten wird deutlich: Auf die meisten Fragen antworten die Männer relativ unreflektiert, sie sind schlichtweg nicht vorbereitet. Weil sie damit bislang noch nie konfrontiert waren.
Können Sie Vorbild für andere sein? Vorbild, nein, sagen die meisten. Eher Mentor.
Was können Sie besser als junge Frauen? Nicht wirklich viel. – Die meisten geben immerhin an, sie hätten mehr Erfahrung.
Was haben Sie heute an? Alles eher unspektakulär. „Als Mann können Sie entweder wählen, ob Jeans oder Anzug, mit oder ohne Schlips. Die Variationsbreite hält sich in Grenzen“, sagt Hamburgs ehemaliger Bürgermeister Ole von Beust.
Mussten Sie je zwischen Karriere und Kindern abwägen? Mitnichten. Da war meist eine starke Frau im Hintergrund, die alles gemanagt hat.
Wie haben Ihre Kollegen auf ihre erste Vaterschaft reagiert? Erfreut. Oder gar nicht. – Es hat ja keine Auswirkungen auf das Unternehmen.
Männer, so ist es in den häufigsten Fällen immer noch, sind maximal zwei Monate raus. Die damaligen Mitgründer von Fränzi Kühne dagegen warfen ihr ein entsetztes „Willst du unsere Agentur ruinieren?“ entgegen. Ihre Erklärung, sie wolle nur kurz pausieren und ihr Mann übernehme die Kinderbetreuung, hatten sie geflissentlich überhört.
„Da war ich nicht da“, sagt Kaeser
Immer wieder bettet Kühne die Antworten in eigene Einschätzungen ein, vergleicht sie miteinander, zieht Zahlen und Studien heran. Etwa dass das Erscheinungsbild von männlichen Führungskräften in Presseartikeln durchaus Thema ist, bei Frauen aber ausführlicher beschrieben wird. „Dementsprechend nimmt das Erscheinungsbild von Frauen 30 Prozent mehr Raum ein als das bei Männern.“ Oder: „In Medienberichten und Interviews ist die Familie bei Frauen 2,5-mal so häufig ein Thema wie bei Männern.“
Gerade wenn es um die Kinder geht, entstehen fast persönliche, vertrauliche Momente zwischen Kühne und ihren Gesprächspartnern. Etwa mit Joe Kaeser, der preisgibt, wie sehr es ihm nachhängt, nicht bei der Einschulung seiner ältesten Tochter gewesen zu sein. „Da war ich nicht da. Ich weiß nicht einmal, wo ich war, aber ich war nicht da“, sagt er. „Es gibt Sachen, die unwiederbringlich sind.“
Dass unsere Gespräche so tiefsinnig und besonders werden könnten, wäre mir im Traum nicht eingefallen. Fränzi Kühne (Digitalexpertin)
Auf solch ernste Momente war Kühne nicht vorbereitet. „Dass sich diese Männer so weit öffnen würden, hätte ich nicht erwartet“, schreibt sie. „Dass unsere Gespräche so tiefsinnig und besonders werden könnten, wäre mir im Traum nicht eingefallen.“
Aber, ergänzt sie im Gespräch, sie sei dadurch durchaus positiv überrascht worden: „Meine Erwartung war ursprünglich, dass es viel lustiger werden würde und viel absurder. Aber zum Teil habe ich auch etwas von den Männern gelernt, was wiederum bestätigt, dass diese Fragen durchaus ihre Berechtigung haben.“ Für sie waren die Fragen bislang ein gewohnt unguter Standard, den sie beantworten müsse oder auch nicht, der aber nichts mit irgendeiner Tiefe zu tun hat. „Man kann von Männern auch gute Sachen lernen.“
Kühne resümiert, dass der „durchschnittliche deutsche erfolgreiche Mann“, den sie interviewt habe, gezeigt habe, „ dass er Teil des Problems ist, dass er aber auch gern Teil der Lösung wäre“. Wer das Buch liest, versteht sicher ein bisschen mehr davon, wie die Probleme zu lösen wären.
Mehr: Mutig in die Zukunft: 100 Frauen, die Deutschland bewegen
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Armin Laschet hat erwachsene Kinder. Logisch, dass man da keine Fragen nach der Erziehungszeit stellt.
Es ist ein Mythos, dass Männer nicht nach Familie und Betreuungszeiten gefragt werden.
Als ich mich Anfang der 90er für eine Arbeit im Außendienst beworben habe bin ich sehr von meinen zukünftigen Chef sehr wohl gefragt worden, wie ich dass mit der Familie vereinbaren kann. Es wurde mir auch sehr angeraten dass mit meiner Frau ausführlich zu besprechen.
Da war bei allen zukünftigen ähnlichen Tätigkeiten genauso gehandhabt. Ich habe dann immer eine plausible Erklärung abgegeben und mit meiner Frau die am Anfang Studentin war und im Anschluss eine Zeitlang halbtags gearbeitet hat sehr wohl abgesprochen.