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Rezension„Power for All“: Wie ein jeder Macht erlangen – und erhalten kann

Zwei Professorinnen zeigen, wie man Macht analysiert, erlangt und ausübt. Ihr Werk hilft dabei, den Erfolg von Fridays for Future zu verstehen – und die Maschen des eigenen Chefs.Christian Rickens 28.05.2022 - 13:00 Uhr Artikel anhören

Die Klimaaktivistin hat die Bewegung Fridays for Future ins Leben gerufen. Für das Erreichen ihrer Ziele benutzt sie ein mächtiges Machtmittel – den Entzug von Wertschätzung.

Foto: imago images/Carsten Thesing

Hamburg . Der Aufbau des psychologischen Laborexperiments ist simpel. Die Teilnehmer werden gebeten, über einen Moment zu schreiben, in dem sie sich entweder mächtig oder ohnmächtig gefühlt haben.

Das Problem dabei: Ständig droht ihnen das Papier wegzuflattern, weil ein kräftiger Ventilator Wind über den Tisch pustet. Diejenigen, die sich gerade an einen Moment der Macht erinnern, stehen deutlich häufiger auf und schalten den Ventilator aus als diejenigen, die über ihre Machtlosigkeit reflektieren.

Das Experiment soll eine der zentralen Thesen im Buch der beiden Professorinnen Julie Battilana und Tiziana Casciaro belegen – Macht fängt im Kopf an: „Menschen, die sich mächtig fühlen, neigen eher dazu, etwas am Status quo zu ändern, um ihr Wohlbefinden zu erhöhen.“ Wer sich hingegen ohnmächtig fühlt, komme gar nicht erst auf diese Idee.

Wem das jetzt zu sehr nach Motivationsseminar klingt, bei dem Strukturvertriebler über glühende Kohlen laufen und „Tschacka!“ rufen, der sei beruhigt: „Power for All“ ist keine Esoterikfibel, sondern ein grundsolides und gut lesbares populärwissenschaftliches Werk über die Mechanismen, mit denen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Macht erlangt und ausgeübt wird.

Battilana lehrt Organisationales Verhalten in Harvard, Casciaro an der Universität von Toronto. Die beiden definieren Macht „als die Fähigkeit, das Verhalten einer anderen Gruppe zu beeinflussen, sei es durch Überzeugung oder Zwang“.

Macht beruht laut den Autorinnen stets auf dem Zugang zu Ressourcen, die andere schätzen und die man ihnen gewähren oder entziehen kann. Diese Ressourcen kreisen um die beiden menschlichen Grundbedürfnisse nach Sicherheit und Selbstwertschätzung, salopp gesagt: Wir wollen gut leben und uns selbst dabei mögen.

Julie Battilana, Tiziana Casciaro: Power for All Ariston Verlag München 2022 336 Seiten 24 Euro Übersetzung: Heike Schlatterer Foto: Handelsblatt

Und hier kommt der Glaube an die Macht ins Spiel. Nur wer sich prinzipiell zutraut, Macht auszuüben, vermag die Ressourcen zu erkennen, die ihm dafür zur Verfügung stehen.

„How dare you?“ als Machtinstrument

Im Fall eines Polizisten oder eines Vorgesetzten ist die Ressource klar: Sie beruht auf dem Recht, Anordnungen zur Not mit Gewalt durchzusetzen (beim Polizisten), oder auf der Möglichkeit, Lob und Beförderungen auszusprechen beziehungsweise zu verweigern – oder jemandem gar zu kündigen und ihm damit die materielle Sicherheit zu entziehen (beim Vorgesetzten).

Doch längst nicht alle Machtressourcen sind derart offensichtlich. Ausführlich gehen die Autorinnen auf das Beispiel der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ ein, die in den vergangenen Jahren erheblich dazu beigetragen hat, dass die Klimaschutzpläne der Industrienationen ambitionierter geworden sind.

Dabei verfügen die Aktivistinnen und Aktivisten dieser Bewegung, allen voran die Schwedin Greta Thunberg, auf den ersten Blick über keinerlei Machtmittel. Als minderjährige Schüler dürfen die meisten von ihnen noch nicht einmal wählen.

Doch tatsächlich verfügten die Teenager über ein sehr wirkungsvolles Machtinstrument, analysieren die Autorinnen: die Möglichkeit, ihrer Elterngeneration die Wertschätzung zu entziehen. Vom eigenen Nachwuchs als zukunftsvergessener Egoist gebrandmarkt zu werden, der die Lebenschancen der Kinder um der eigenen Bequemlichkeit willen ruiniert, verletzt erheblich das Bedürfnis nach Selbstwertschätzung.

Occupy Wall Street war ab 2011 die größte Protestbewegung in Nordamerika. Der Protest äußerte Kritik am Finanzsystem und gesellschaftlicher Ungleichheit in der Welt.

Foto: dpa

In Thunbergs berühmtem, an die Elterngeneration gerichteten Ausspruch „How dare you?“ – „Wie könnt ihr es wagen?“ – kommt dieses Machtmittel ebenso zum Ausdruck wie durch den erst im Zuge von Fridays for Future geprägten Begriff „Flugscham“.

Andere soziale Bewegungen waren längst nicht so erfolgreich. Die kapitalismuskritische Bewegung „Occupy Wall Street“ zum Beispiel hatte nach der Weltfinanzkrise großen Zulauf, ist inzwischen aber nahezu verschwunden, ohne den Kapitalismus wirklich verändert zu haben.

Die drei wichtigsten Eigenschaften sozialer Bewegungen

Bei den jungen Klimaschützern, argumentiert das Buch, seien drei wichtige Faktoren zusammengekommen, die nötig sind, um einer sozialen Bewegung wirkliche Durchschlagskraft zu verleihen: Erstens Aktivismus – in Form der Hunderttausenden von Schülerinnen und Schülern weltweit, die freitags für den Klimaschutz demonstrierten (wobei es zur Aktivierung beigetragen haben dürfte, dass man dafür meist ohne Sanktionen die Schule schwänzen konnte).

Zweitens Innovation – anders als Occupy Wall Street hat Fridays for Future konkrete, kohärente Vorschläge gemacht, wie sich mehr Klimaschutz technisch und politisch umsetzen lässt.

Drittens Orchestrierung – die jungen Klimaschützer waren anschlussfähig für andere gesellschaftliche Gruppen bis hin zu Parteien und Großunternehmen und haben bewusst das Gespräch mit ihnen gesucht. Dass sich die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer 2020 mit dem damaligen Siemens-Chef Joe Kaeser traf, ist ein Beispiel für diese Orchestrierung.

Das Buch ist voll von Beispielen, wie vermeintlich ohnmächtige soziale Gruppen Macht erlangt und Veränderungen zum Guten durchgesetzt haben. Wenn man als Leser das Prinzip einmal verstanden hat, wirkt das etwas ermüdend.

So als müssten die Autorinnen immer wieder aufs Neue belegen, dass sie hier auf keinen Fall eine Neuauflage des Klassikers „Der Fürst“ abliefern wollten. In diesem Brevier für Herrschende aus dem 16. Jahrhundert gibt Niccolò Machiavelli Ratschläge zum politischen Machterhalt, die teilweise bis heute Gültigkeit haben – auch wenn sich kein kluger Politiker zu ihnen bekennt.

Allerdings pflegen auch Battilana und Casciaro einen erfrischend unverschwiemelten Blick auf die Macht und laden ihre Leser ein: „Bevor sie ihre eigene Machtbasis aufbauen können, müssen sie wissen, wer gerade Macht hat und warum.“

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Am Arbeitsplatz oder in der Politik kommt es demnach vor allem darauf an zu erkennen, wer für welche Ressourcen empfänglich ist, wer nach Lob giert, nach Titeln, Geld, Autonomie. Jeden Menschen passgenau mit für ihn unwiderstehlichen Ressourcen zu locken ist der wahre Schlüssel zur Machtausübung – in modernen Unternehmen nennt sich das „Incentivierung“.

Aber selbst wer kein Interesse daran hat, seine eigene Macht zu mehren, wird „Power for All“ mit Gewinn lesen. Denn das Buch analysiert auch, wie man sich aus vermeintlichen Ohnmachtsverhältnissen befreit. Etwa indem man sein Verlangen nach den zur Machtausübung genutzten Ressourcen herunterschraubt.

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Der Angestellte kann zum Beispiel lernen, ohne das Lob des manipulativen Vorgesetzten auszukommen – und so einen Teil der Macht brechen, die dieser über ihn hat. Womit wir wieder beim Eingangsbeispiel mit dem Ventilator wären, demzufolge Macht damit beginnt, das Gefühl der Ohnmacht abzulegen.

Diese Kraft des Bewusstseins besitzt eine Schattenseite: Anhand zahlreicher Beispielfälle und psychologischer Experimente belegen die Autorinnen, dass das Bewusstsein, Macht zu besitzen, leicht zu deren Missbrauch verleitet – und zwar umso stärker, je länger und unkontrollierter man diese Macht ausübt. „Wenn mächtige Menschen handeln, betrachten sie ihre Aktionen als legitim, selbst wenn sie unethisch oder illegal sind. Sie reden sich ein, dass sie sich ihre Position verdient haben – auch wenn die Realität anders aussieht.“

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