Rezension: VWL-Influencer: Der Staat muss die Inflation bändigen – nicht die Zentralbanken

Der Autor kritisiert in seinem Buch die EZB stark – ihr stehe zu wenig Mittel zu Bekämpfung der Inflation zu Verfügung.
Düsseldorf. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel macht in der Teuerungskrise seit Beginn des Ukrainekriegs keinen guten Job. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man „Teuer“ von Maurice Höfgen liest. Denn am Ende des neuen Buchs des jungen Ökonomen wird es richtig spannend.
Höfgen, der als VWL-Influencer und Mitarbeiter des Linken-Bundestagsabgeordneten Christian Görke eine interessante Doppelrolle hat, analysiert dort schroff und gleichsam überzeugend, warum den nationalen Notenbanken und der Europäischen Zentralbank schlicht die Mittel fehlen, um die aktuellen Preisanstiege auf ein händelbares Maß zu drücken.
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Ausgiebig wird Bundesbank-Chef Nagel zur Inflationsbekämpfung zitiert, doch Höfgen attestiert ihm „oberflächliche Scheinargumente“ – und macht sich sogleich daran, die Strategie der Notenbanken zu sezieren. Seine größte Kritik lautet, dass der EZB neben Zinserhöhungen und der Steuerung eigener Anleihekaufprogramme keine weiteren Schritte zur Verfügung stehen, um Einfluss auf die Preisentwicklung zu nehmen.
Doch dieses beschränkte Arsenal der Zentralbank ist politisch gewollt, bemerkt Höfgen selbst. Schließlich gilt ihre Unabhängigkeit als historische Errungenschaft, eine Art technokratische Absicherung gegen tagesaktuelle politische Wünsche.
Doch Zinserhöhungen in der aktuellen Lage reduzierten nicht etwa die Preise von Energie und Lebensmitteln, sondern verteuerten in erster Linie Kredite, was wiederum zu weniger Investitionen, abflauender Konjunktur und geringeren Lohnzuwächsen der Beschäftigten führe. Damit bremse die Zentralbank gerade jene Ausgaben, die die Energiepreise langfristig drücken könnten, etwa Investitionen in LNG-Infrastruktur oder neue Windkraftanlagen.
Tatsächlich wird der Bundesbank-Chef nicht müde zu betonen, dass weitere Zinsschritte nötig sein werden. „Das gefällt natürlich nicht jedem“, sagte Nagel kürzlich bei einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrats. Doch auch weitere unpopuläre Entscheidungen müssten getroffen werden, denn stabiles Wachstum sei bei hoher Inflation nicht möglich.
Dem würde wohl auch Maurice Höfgen zustimmen, doch ein sturer Blick in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels der EZB ist ihm zuwider – zu groß seien die Kollateralschäden, die höhere Zinsen und der daraus folgende unkontrollierte Nachfrageeinbruch auslösten.
Wer weiß schon ernsthaft, wie hoch die Inflation in Zukunft sein wird?
Deutliche Kritik übt der Autor auch an dem beharrlichen Blick der Notenbanker auf die sogenannten Inflationserwartungen. Sie spielen in der ökonomischen Theorie zur Geldpolitik eine wichtige Rolle, weil sie – zumindest im Modell – Einfluss auf das Verhalten von Verbrauchern haben.
Kurz gesagt: Erwarte ich, dass die Inflation steigt, ziehe ich womöglich Anschaffungen vor – und trage mit meiner zusätzlichen Nachfrage zu weiterem Preisdruck bei. Außerdem verlange ich höhere Lohnzuwächse, um meinen Lebensstandard zu halten. Allerdings erhöhen die Unternehmen, die ebenfalls Inflationserwartungen haben, möglicherweise ihre Preise – eine Lohn-Preis-Spirale könnte die Folge sein.
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Die Notenbanken legen großen Wert darauf, dass dieser Mechanismus funktioniert. Sie rechnen außerdem damit, dass lang anhaltend hohe Inflation dazu führt, dass Verbraucher und Unternehmen auch in Zukunft mit hoher Inflation kalkulieren.
Aber welcher Mensch, der sich nicht beruflich mit Geldpolitik beschäftigt, weiß schon eine vernünftige Antwort auf die Frage „Mit welcher Inflationsrate rechnen Sie in zwei Jahren?“. Höfgen hat einen Punkt, wenn er argumentiert, dass etwaige „Signale“ der EZB-Entscheidungen von der Bevölkerung kaum identifiziert und verstanden werden können.
Was bleibt also, um die Inflation zu bekämpfen, wenn die EZB nur begrenzte Maßnahmen ergreifen kann? Der Staat sollte die Energiepreise mit eigenen Ausgaben reduzieren, meint Höfgen – und hat das auch vielfach schon getan, wie der Autor in den ersten Kapiteln seines Buches auflistet.

Doch Höfgens Forderungen gehen erwartungsgemäß weiter, als Anhänger der Modern Monetary Theory (MMT) postuliert er: „Geld ist nicht knapp, Ressourcen aber sind knapp.“






Deutschland und Europa bräuchten ein Jahrzehnt der Investitionen, um die eigene Energieversorgung unabhängig von schwankenden Weltmarktpreisen zu machen, so die Inflation zu dämpfen und gleichzeitig den ökologischen Umbau der Wirtschaft zu beschleunigen.
All das dürfte nur mit kräftiger Hilfe des Staates gelingen, der damit gleichzeitig wieder eine aktivere Rolle in den Bemühungen gegen Preisanstiege übernehmen könnte. Eine Forderung, die für einen Mitarbeiter der Linken wenig überraschend ist. Finanzminister Christian Lindner (FDP), den Verfechter der Schuldenbremse, müsste Maurice Höfgen noch überzeugen.





