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Schriftsteller im Interview Martin Suter: „Ich möchte die Selena Gomez der Literatur werden“

Der Bestsellerautor spricht über seinen Social-Media-Account, seine Start-up-Ambitionen und die Neuauflage seiner „Business Class“-Kolumnen.
12.03.2020 - 14:03 Uhr Kommentieren
Im Management hätten sich die Accessoires verändert, sagt er, nicht aber das Wesen der Manager. Quelle: dpa
Schriftsteller Martin Suter

Im Management hätten sich die Accessoires verändert, sagt er, nicht aber das Wesen der Manager.

(Foto: dpa)

Zürich Die Digitalisierung verändert das Geschäft vieler Schriftsteller – auch das von Schweizer Bestsellerautor Martin Suter. „Ich kann noch ganz gut von meinen Büchern leben, fand es aber doch an der Zeit, mich mal auf die Suche nach den verlorenen Lesern zu machen“, sagt Suter im Interview mit dem Handelsblatt.

Suter veröffentlichte bis 2007 rund 750 Kolumnen seiner „Business Class“. Dann war erst einmal Schluss und er kümmerte sich um Romanprojekte wie „Der Koch“, „Montecristo“ oder „Elefant“. Doch nun widmet sich Suter wieder der „Business Class“. Die neuen Kolumnen erscheinen mittlerweile exklusiv im Handelsblatt Magazin (die nächste Ausgabe erscheint am 3. April). Weitere Kolumnen von Martin Suter finden Sie auf martin-suter.com. „Die Arbeit an der Website ist stressig, aber auf gewisse Weise auch eine Art Jungbrunnen“, sagt Suter.

Anfangs wollte der Schriftsteller in den sozialen Medien Erfahrung sammeln und veröffentlichte zunächst Gedichte auf Twitter. Mittlerweile hat er dort gut 6000 Follower. In Bezug auf Digitalisierung bezeichnet er sich selbst als schnell, wendig und experimentierfreudig.

Nach wie vor ist Suter sehr erfolgreich. Trotz allem sagt er: „Der Beruf des Schriftstellers war und ist für mich nicht in erster Linie eine Geldmaschine.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Suter, willkommen in der Unternehmerwelt! Statt einfach nur als Schriftsteller Manuskripte zu verfassen und an Ihren Verlag weiterzureichen, sind Sie neuerdings ein voll digitalisierter Start-up-Gründer. Ihre neue Homepage liefert Paid Content. Sie müssen sich um Dinge kümmern wie Awareness, Churn-Rate und Customer Journey und gehen mit eigenem Geld ins Risiko. Wie läuft’s?
Plötzlich habe und bin ich eine Firma, auch wenn mir das nicht ganz unbekannt ist. In einem früheren Leben durfte ich in den Achtzigerjahren ja schon mal eine eigene Werbeagentur steuern. Aber jetzt und in meinem Alter ist es doch etwas anderes: Einerseits respektiere ich die tollen Ideen meines kleinen und sehr jungen Teams, andererseits freue ich mich, wenn die mich nicht als hoffnungsloses Alteisen betrachten.

Die Arbeit an der Website ist stressig, aber auf gewisse Weise auch eine Art Jungbrunnen. Man lernt ja nicht nur, dass die Programmierer heute eigentlich wichtiger sind als die Gestalter.

Die Idee zur Website und zu neuem Inhalt wurde auch aus der Erkenntnis geboren, dass der klassische Buchmarkt erodiert. Merkten Sie diese Art der Disruption selbst so drastisch?
Natürlich. Die Auflagenzahlen gehen auf breiter Front zurück. Um heute auf Platz eins der „Spiegel“-Beststellerliste zu kommen, braucht es eine viel kleinere verkaufte Auflage. Zugleich verliert man die Spitzenposition auch schneller wieder. Das alles schlägt sich in Umsatzzahlen nieder.

Literaturagenten sagen gern: Serien verkaufen sich besser. Haben Sie deshalb den Privatdetektiv Johann Friedrich Allmen erfunden, der nun schon sechs Fälle und Bücher lang ermitteln darf?
Meine Romane sind ja immer thematische Einzelstücke, quasi Verneigungen vor bestimmten Gattungen. Und auch Allmen habe ich nicht aus Marketinggründen ersonnen.

Martin Suter: Allmen und der Koi.
Diogenes Verlag
Zürich 2019
224 Seiten
18,99 Euro

Warum dann?
Erstens weil ich auch da tatsächlich mal das Genre „Krimiserie“ probieren wollte … und für eine Serie reicht halt ein Buch nicht aus. Zum anderen muss man dann nicht in jedem Band das Ensemble neu erklären.

Verkauft Allmen sich gut?
Ich habe keine aktuellen Zahlen. Aber der jüngste Band, „Allmen und der Koi“, war in den Bestsellerlisten sehr schnell sehr weit oben. Ich kann also noch ganz gut von meinen Büchern leben, fand es aber doch an der Zeit, mich mal auf die Suche nach den verlorenen Lesern zu machen …

… die Sie dann in Bussen und S-Bahnen entdeckten, meist über ihre Handys gebeugt.
Und so fing ich an, zunächst Social Media zu entdecken. Ich wollte Erfahrungen sammeln. Einerseits gibt es dort ja unglaublich primitive und hasserfüllte User. Andererseits lernte ich eben auch sehr kluge kennen. Für mich als Autor war Twitter schnell die beste Plattform als Einstieg. Dort begann ich, jeden Tag kleine Gedichte zu veröffentlichen…

… mit dem Ergebnis, dass Ihr Hausverlag, Diogenes, den Account sperren ließ, weil man ihn anfangs für einen Fake hielt…
… was sich erfreulicherweise schnell auflösen ließ. Dass mir einige gute Freunde wie Moritz Bleibtreu zu Hilfe kamen, brachte durchaus breite und positive Publicity. Am Ende hat’s mir wohl eher genutzt.

Mittlerweile haben Sie bei Twitter gut 6000 Follower. Viel für einen Schriftsteller, wenig für Twitter, wo eine Selena Gomez mittlerweile weltweit 60 Millionen Fans hat.
Und natürlich möchte ich die Selena Gomez der Literatur werden (lacht). Oder anders: Ich will gelesen werden und war nie einer jener Autoren, die vorgeben, dass ihnen ihre Leser egal sind. So begannen parallel zu meinen Twitter-Aktivitäten die Arbeiten an der Website.

Die digitale Welt hat einen Nachteil: Vieles lässt sich nicht immer gleich monetarisieren. Oder wollen Sie damit gar kein Geld verdienen?
Doch, natürlich, auch wenn es mir am Anfang sicher eher darum geht, Traffic und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das Geldverdienen ist digital tatsächlich nicht so leicht.

Sie verlangen an Ihrer Paywall nun fünf Euro Monats-Flatrate oder 50 Euro pro Jahr. Das dürfte für Ihr Publikum bezahlbar sein.
Aber die Leute scheuen sich doch, einem ihre Daten anzuvertrauen. Gerade das deutsche Publikum ist… nun ja: sparsam. Es gibt Leute, die verlangen für ein Monats-Abo sogar noch eine Rechnung. Mit der Bürokratie dahinter sind die fünf Euro dann schon wieder pulverisiert. Und dabei ist Deutschland mit Abstand mein größter Markt. Andererseits kann ich nicht darauf vertrauen, dass sich meine alten „Business Class“-Kolumnen immer weiter verkaufen. Ich muss also neue Kolumnen für neue Leser schreiben.

Wie viele Bücher mit den Kolumnen haben Sie bislang verkauft?
Rund eine Million. Verglichen damit ist der bisherige Abonnentenkreis der Homepage doch sehr überschaubar.

Wie viele Abonnenten haben Sie bislang?
Sagen wir so: Damit sich die Seite tragen könnte, bräuchten wir 5000. Davon sind wir noch weit entfernt.

Und das, obwohl Sie dort digital noch viel mehr bieten als die „Business Class“: etwa alte Reportagen, die Sie einst für „Geo“ schrieben, Buchpassagen, bislang Ungedrucktes oder auch einen regelmäßigen Austausch mit Ihrem Autorenkollegen Benjamin von Stuckrad-Barre. Verfolgen Sie denn auch, was die meisten Klicks bekommt und richten danach Ihr Angebot aus?
Das würde ich vielleicht sogar. Aber ich hatte bei der Analyse bisher keine Unterstützung. Und ich selbst verstehe die Auswertungs-Tools einfach zu wenig. Jetzt mache ich das mit neuen Partnern.

Sind Sie, was die Digitalisierung angeht, schon weiter als Diogenes?
Ob ich weiter bin, kann ich nicht beurteilen. Ich würde aber schon annehmen, dass ich schneller, wendiger und experimentierfreudiger bin. Aber ich bin ja auch ein Ein-Mann-Unternehmen und muss auf niemanden sonst Rücksicht nehmen. Da geht vieles leichter.

Martin Suter: Elefant.
Diogenes Verlag
Zürich 2017
352 Seiten
24,00 Euro

Was bringt einem Schriftsteller heute das meiste Geld? Die Bücher, Lesungen, Filmrechte?
Weiterhin die Bücher. Die Filmrechte sind finanziell gesehen überschaubar und wirken sich allenfalls dann wieder positiv auf den Buchverkauf aus, wenn der Film tatsächlich mal ein Erfolg wird. Und Lesungen sind eher gut, wenn man sein Publikum etwas näher kennen lernen möchte. Nur private Auftritte – etwa für Firmen – sind finanziell interessanter, aber das mache ich selten. Ich will da nicht in irgendwelche Mühlen geraten.

Und es ist ja auch so: Der Beruf des Schriftstellers war und ist für mich nicht in erster Linie eine Geldmaschine.

Andererseits haben Sie einen gewissen Lebensstil kultiviert, haben eine Wohnung in Zürich, ein Haus in Marrakesch, eines in Guatemala…
… und die Fähigkeit, manches größer aussehen zu lassen, als es ist.

Dank Ihrer Maßanzüge dürften Sie der bestgekleidete Schriftsteller im deutschsprachigen Raum sein.
Ach, ich fühle mich in den Anzügen einfach wohler als in Jeans. Dass daraus eine Art Marke wurde, ist mir eher zugestoßen.

In der realen „Business Class“ haben sich nicht nur die Outfitregeln verändert in den vergangenen Jahren. Mussten Sie da erst mal wieder Witterung aufnehmen, als Sie nun neu anfingen, Kolumnen über die Führungsebenen zu schreiben?
Die Accessoires haben sich sicher verändert – vom E-Scooter bis zu den Sneakers in der Vorstandssitzung. Aber das Wesen der Manager ist immer noch das gleiche, denke ich: ihr Ehrgeiz, die Machtkämpfe, die Eitelkeiten und Statusängste.

Die Arbeit an meiner Website ist stressig, aber auf gewisse Weise auch eine Art Jungbrunnen.

Die Methoden sind Moden unterworfen, der Mensch bleibt der gleiche?
Ich denke schon, ja, auch wenn ich gelegentlich die Vielzahl von Managementratgebern konsultiere, um zu sehen, welche Themen gerade besonders diskutiert werden. Das ist zwar selten erhellend, liefert aber Stoff.

„Purpose“ ist zum Beispiel sehr wichtig geworden, „Sustainability“, „Coworking“…
Das meiste sind ja immer nur neue Etiketten für alte Fragen, nur noch absurder formuliert. Man steht zehn Minuten daneben und versteht kein Wort. Es ist wie eine Geheimsprache, die sich ja auch abgrenzen will. Es gibt auch da viele Moden.

Selbst große Unternehmen kommen einem heute innenarchitektonisch oft vor wie eine Mischung aus Tischkicker-Meisterschaft, Bällebad und bonbonfarbener Chill-out-Zone.
Ach, Tischkicker gab’s zur Zeit meiner Werbeagentur auch schon. Wir hatten damals einen guten Grafiker, der kaum mehr etwas produzierte, aber Tischfußball spielte er perfekt, wobei ich immer den Standpunkt vertrat: Eine gute Firma muss es sich immer leisten können, zwei, drei „Nonperformer“ mitzuschleppen, die eben nichts mehr leisten. Auch weil die oft wenigstens gut sind für die Stimmung, das interne Klima.

Dieser Kollege war eben ein Genie am Tischkicker und hochbegabter Künstler, wurde dann aber leider psychisch krank und starb kürzlich völlig verwahrlost.

Hätte Ihnen das auch jemals passieren können in Ihrem Leben, dass Sie irgendwo falsch abbiegen und tragisch enden?
Mein Bruder sagte mal zu mir, ich sei in meinem Leben ja öfter mal in einen Sumpf gerutscht, hätte aber immer eine Hand oben behalten und jemanden gefunden, der mich wieder herauszieht. Lebenskrisen hatte ich einige, das stimmt schon. Vielleicht habe ich etwas von einem Sanguiniker in mir.

Half Ihnen die Literatur?
Wahrscheinlich schon, auch wenn ich mich immer dagegen gewehrt habe, sie als Form der Therapie zu missbrauchen. Aber sie lenkt ab. Nicht nur den Leser.

Herr Suter, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Management-Kolumne: Martin Suters mutiger Neustart als virtuelle Ich-AG

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