Dax-Umfrage Die Gefahr eines größeren Ausverkaufs ist real – Bitcoin-Rally kann aber noch weiterlaufen

Die Long-Positionen der grundsätzlich optimistisch gestimmten Anleger sind schon viele Wochen alt. Doch die gewünschten Kursgewinne bleiben aus.
Düsseldorf Eine Börsenweisheit sagt: Die besten Aktien trifft es zuletzt – Papiere, die mit ihren Kursgewinnen erheblichen Anteil an einer Rally hatten, werden also als letzte ausverkauft werden. Genau das geschah am vergangenen Freitag: Der Onlinehändler Amazon verlor acht Prozent und der Onlinebezahldienst Paypal drei Prozent. Auch Rohstofftitel wie Rio Tinto (minus drei Prozent) und Vale (minus acht Prozent) wurden Ende vergangener Woche ausverkauft.
Bedeutet der Ausverkauf dieser Titel jetzt eine Trendwende? Schließlich ist genau das die Idee hinter der Börsenwahrheit. Das würde weitere Verluste für den Gesamtmarkt bedeuten.
Für den Sentiment-Experten Stephan Heibel ist die Gefahr eines größeren Ausverkaufs real. Seine Argumentation: Gerade die Highflyer der vergangenen Monate befinden sich überwiegend im Besitz von jungen Spekulanten, die erst seit Kurzem an der Börse aktiv sind. „Gerade diese Anleger verlieren erfahrungsgemäß schnell die Nerven, wenn‘s nicht rundläuft. Das könnte spannend werden“, erläutert er.
Die Handelsblatt-Umfrage Dax-Sentiment unter rund 6000 Privatanlegern gibt diese Spannung auf den ersten Blick nicht wieder. Es besteht derzeit kein besonders großes Ungleichgewicht, das aufgelöst werden müsste. Allerdings zeigt auch hier der Blick in die Historie: Die Long-Positionen der grundsätzlich optimistisch gestimmten Anleger sind schon viele Wochen alt. Doch die gewünschten Kursgewinne bleiben aus. Gleichzeitig ist die Absicherung gegen fallende Kurse derzeit nicht sehr stark verbreitet.
Dadurch erwartet Heibel folgende Szenarien: Sollten die Kurse steigen, würden sich die bereits long positionierten Anleger zurücklehnen. „Siehst du, wusste ich‘s doch“, wäre die Reaktion, die jedoch nicht zu Folgekäufen führt. Im Gegenteil, eine ansetzende Rally würde früh auslaufen, wenn es keinen fundamentalen Grund gibt, der die Rahmenbedingungen grundlegend ändert. Fallende Kurse würden dagegen zunehmend zu Unmut und letztlich auch zu Angst und Panik führen, denn viele Anleger würden mit ihren Long-Positionen ins Minus rutschen.
Interessante Ausgangslage beim Bitcoin
Bei der führenden Kryptowährung Bitcoin haben sich sowohl die Stimmung als auch die Zukunftserwartung positiv entwickelt: Die Stimmung ist moderat positiv, nachdem der Bitcoin in der abgelaufenen Woche 21 Prozent hat zulegen können. Für die Zukunft besteht ein moderater Optimismus. Noch vor einer Woche fürchteten die Umfrageteilnehmer überwiegend ein weiteres Abrutschen des Bitcoins.
Doch von Euphorie, die als Indikator für bald fallende Notierungen gilt, sind Bitcoin-Anleger jedoch noch weit entfernt. Heibels Fazit: „Die vergangene Woche gestartete Rally kann noch ein wenig weitergehen.“
Dieser eher kurzfristigen Sichtweise von wenigen Wochen steht aber eine gegensätzliche Möglichkeit für einen längeren Zeitraum gegenüber. „Es ist durchaus möglich, dass der Bitcoin einen deutlichen Ausverkauf erlebt“, erläutert der Inhaber des Analysehauses AnimusX. „Bislang war von Angst und Panik, die für einen tragfähigen Boden charakteristisch sind, noch nicht ausreichend genug zu sehen.“
Da die Vergleichshistorie bei Bitcoin fehlt, leitet Heibel die Einschätzung aus anderen Vergleichen ab. Beispielsweise gab es beim Dax Ende Oktober 2020 ein Sentiment von minus 69 Prozent. Ein Extrempunkt, der den Start der Impfstoffrally markierte. Bei Währungen, Zinsmärkten, Gold und Öl werden Werte unter minus 50 nur sehr selten erreicht und dienen dort ebenfalls als guter Indikator für einen Boden im entsprechenden Marktinstrument.
Im Bitcoin wurden in den vergangenen Monaten zweimal Werte unter minus 50 gemessen. „Ich war davon ausgegangen, dass der stark schwankende Bitcoin stärkere Ausschläge im Sentiment erzeugt als der Dax“, erläutert Heibel. „Daher habe ich die beiden damaligen Ausverkäufe als nicht ausreichend bezeichnet, um einen tragfähigen Boden für den Bitcoin zu erzeugen.“ Doch die Vergleiche zeigen, dass Werte von minus 50 bereits Extrempunkte markieren können.
Aktuelle Dax-Sentiment-Umfragedaten
Am Aktienmarkt sorgte der leichte Rückgang in der vergangenen Handelswoche bei den befragten Anlegern für Ernüchterung: Die Stimmung ist von plus 1,3 auf minus 0,1 gerutscht. Viele hatten nach dem Ausverkauf von vor zehn Tagen, als der Dax auf 15.048 Punkten abrutschte, eine deutlichere Gegenreaktion erwartet.
Ihre Hoffnung war, dass die anschließende Erholung der Auftakt für eine Fortsetzung der im November begonnenen Impfstoffrally sei. Denn kurzfristig betrachtet könnte man seit dem Ausverkauf wieder einen Aufwärtstrend erkennen. Doch übergeordnet läuft der Dax seit über zwei Monaten in einer Seitwärtsspanne zwischen 15.100 und 15.800 Punkten.
Die guten Arbeitsmarktdaten am vergangenen Donnerstag nährten noch mal die Hoffnung auf eine Rally-Fortsetzung. Doch ein enttäuschendes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal setzte dieser Hoffnung am Freitag ein Ende. So bleibt auch die Selbstzufriedenheit mit einem Wert von 0,2 auf einem niedrigen Niveau. Wirklich zufrieden mit den eigenen Anlageentscheidungen sind derzeit nur wenige.
Überraschend positiv ist seit zwei Monaten die Zukunftserwartung der Anleger. Dieser Zeitraum deckt sich mit der derzeitigen Dax-Seitwärtsphase, die Anfang Juni begann. Mit einem aktuellen Wert von 2,6 herrscht moderater Optimismus, dass die Frankfurter Benchmark in drei Monaten steigt.
Doch diese hohe Zukunftserwartung seit zwei Monaten hat einen ganz anderen Nebeneffekt: Wenn schon so lange steigende Kurse erwartet werden, der Dax jedoch nicht von der Stelle kommt, ist es wenig überraschend, wenn kaum noch weitere Investitionsbereitschaft besteht. Der entsprechende Umfragewert ist auf minus 0,4 gesunken. Wer auf steigende Kurse setzen wollte, hatte bei den vielen Rückschlägen der vergangenen Wochen ausreichend Gelegenheit dazu.
Einen neuen Grund, auf steigende Kurse zu setzen, gab es in den vergangenen zwei Monaten eigentlich nicht mehr. Im Gegenteil: Die Ausbreitung der Delta-Mutation ließ viele Anleger an der Fortsetzung der Rally zweifeln.
Das Euwax-Sentiment der Börse Stuttgart, an der Privatanleger handeln., bleibt mit einem Wert von plus fünf moderat optimistisch. Dieser Indikator wird anhand realer Trades mit Hebelprodukten auf den Dax berechnet. Ein positiver Wert bedeutet: Privatanleger positionieren sich überwiegend für steigende Kurse.
In den USA gibt es einen gegenläufigen Trend: Das Put/Call-Verhältnis der Chicagoer Terminbörse CBOE zeigt eine abnehmende Long-Positionierung der US-Anleger. US-Fondsanleger hingegen stockten ihre Investitionsquote leicht auf 78 Prozent auf, nachdem sie im Nachgang zum Ausverkauf von vor zehn Tagen zunächst große Cash-Positionen aufgebaut hatten. US-Privatanleger haben eine Bulle/Bär-Quote von zwölf Prozent, Bullen haben wieder leicht zulegen können. Von den Bären sind sechs Prozent von der Vorwoche nun direkt ins Bullenlager übergesiedelt.
Der anhand technischer Marktdaten berechnete „Angst-und-Gier- Indikator“ der US-Märkte ist mit einem Wert von 24 Prozent nunmehr in Bereich der extremen Angst. Es ist der erste Indikator, der auf einen Anflug von Panik unter Anlegern hinweist. Laut Sentimentanalyse lässt sich aus panischem Verhalten von Anlegern eine Trendwende ableiten, weil dann nur wenige Käufe reichen, um die Kurse steigen zu lassen.
Doch warum kam Panik auf? Die vergangene Börsenwoche insgesamt verlief auch in den USA verhältnismäßig moderat. Die mögliche Erklärung vom Sentimentexperten Heibel: „Mir fallen nur die Technologieaktien ein, die in den vergangenen Tagen unter Druck gerieten, obwohl überwiegend gute Zahlen vermeldet wurden.“
Es hat den Anschein, dass die Zahlen nicht gut genug waren, um nach den exorbitanten Kursgewinnen der vergangenen Monate für einen neuen Schub zu sorgen. „Es gab jedoch auch einige Vorstandschef wie die von Paypal und Amazon, die einen betont pessimistischen Tonfall anschlugen, um die Messlatte für die kommenden Quartale möglichst niedrig zu setzen.
Blick auf Anleihen und Gold
Beim Bund-Future ist die Zukunftserwartung in dieser Woche eingebrochen. Nachdem das Renditeniveau für eine zehnjährige Bundesanleihe vor acht Wochen mit minus 0,2 Prozent sein zwischenzeitliches Hoch erreicht hat, folgte nun der Absturz auf minus 0,5 Prozent.
Die Stimmung der Anleihekäufer stieg kontinuierlich und notiert seit einigen Wochen nahe der Euphorie. Doch weitere Kursgewinne, sprich weiter fallende Zinsen, erwarten Anleger nun nicht mehr, Pessimismus dominiert die Zukunftserwartung. Beim Öl und beim Gold gibt es derzeit keine besonderen Stimmungslagen, die Stimmung und die Erwartung ist neutral.
Hinter Erhebungen wie dem Dax-Sentiment mit mehr als 6000 Teilnehmern stehen zwei Annahmen: Wenn viele Anleger optimistisch sind, haben sie bereits investiert. Dann bleiben nur wenige übrig, die noch kaufen und damit die Kurse in die Höhe treiben könnten.
Umgekehrt gilt: Wenn die Anleger pessimistisch sind, haben sie mehrheitlich nicht investiert. Dann können nur noch wenige verkaufen und damit die Kurse drücken.
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