Schweizer Großbank Credit Suisse räumt schwere Versäumnisse im Fall Archegos ein – Der Gewinn sinkt deutlicher als erwartet

Experten erwarten, dass sich die Bank stärker auf die Vermögensverwaltung fokussieren wird.
Zürich Ungehörte Warnungen, folgenlose Krisenmeetings – und ein Bruch mit sämtlichen Regeln des Risikomanagements: Ein breites Versagen von Kontrollmechanismen bei der Credit Suisse hat den milliardenschweren Schaden durch den Kollaps des Hedgefonds Archegos erst möglich gemacht. Das geht aus einem über 170 Seiten starken Untersuchungsbericht der Kanzlei Paul, Weiss, Rifkind, Wharton & Garrison hervor, den die Schweizer Großbank am Donnerstag veröffentlichte.
Der Schaden aus dem Zusammenbruch des Hedgefonds Ende März 2021 summiert sich für die Bank auf rund fünf Milliarden Dollar. Er verschärfte eine der schwersten Krise in der Unternehmensgeschichte. Nur wenige Wochen zuvor musste die Bank eine Reihe von Fonds abwickeln, die sie mit dem Pleite-Fintech Greensill betrieben hatte.
Das schlägt sich auch in den Geschäftszahlen des zweiten Quartals nieder: Der Gewinn der Schweizer Großbank brach im Frühling im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 78 Prozent auf 253 Millionen Franken ein, teilte die Bank weiter mit. Analysten hatten einer von der Bank selbst erstellten Umfrage zufolge mit einem Überschuss von 334 Millionen Franken gerechnet.
Zudem zogen Kunden Vermögen ab, was konzernweit zu Mittelabflüssen in Höhe von 4,7 Milliarden Franken führte. Im ersten Quartal hatten Anleger der Bank noch 28,4 Milliarden Franken mehr als im Vorjahreszeitraum anvertraut.
Der Archegos-Report ist der Auftakt zur Aufarbeitung der Skandalserie, die die Bank einen hohen einstelligen Milliardenbetrag gekostet hat. Einen Report, der den Zusammenbruch der mit Greensill betriebenen Lieferkettenfonds aufarbeiten soll, will die Bank im dritten Quartal vorlegen. Gleichzeitig markiert die Veröffentlichung des internen Reports ein verändertes Krisenmanagement der Bank unter ihrem neuen Verwaltungsratschef António Horta-Osório. In der Vergangenheit hatte die Bank ähnliche Analysen geheim gehalten und geleakte Veröffentlichungen juristisch bekämpft.
Horta-Osório, seit Mai Chefaufseher der Bank, versprach einen Kulturwandel: „Wir wollen eine von Verantwortung und Rechenschaftspflicht geprägte Unternehmenskultur entwickeln.“ Gleichzeitig habe die Credit Suisse wichtige Reformen angestoßen. „Die Bank hat bereits eine Reihe entschiedener Maßnahmen getroffen, um das Risikorahmenwerk zu stärken.“ Credit-Suisse-Chef Thomas Gottstein betonte: „Die Verluste sind inakzeptabel. Wir haben ernste Lehren gezogen.“
Wie nötig Reformen sind, legt der Archegos-Report in aller Deutlichkeit offen. Demnach war Archegos-Gründer Bill Hwang mit seinem 2001 gegründeten Hedgefonds Tiger Asia bereits seit 2003 Kunde des Prime Brokerages der Bank, in dem das Handelsgeschäft mit Hedgefonds gebündelt ist. Die Verurteilung Hwangs wegen Insiderhandels im Jahr 2012 tat der Geschäftsbeziehung keinen Abbruch.
„Die Credit Suisse hat während und nach den strafrechtlichen und regulatorischen Angelegenheiten Geschäfte mit Archegos gemacht“, heißt es in dem Bericht. Und weiter notieren die externen Gutachter: „Wir haben keine Hinweise, dass die CS mit zusätzlichen Kontrollen von Tiger Asia oder Hwang auf die Angelegenheiten reagiert hat.“
Risikomanager wurden ignoriert
Das steht im Widerspruch zu einer internen Richtlinie zum Umgang mit Hedgefonds, die dem Handelsblatt vorliegt. Darin heißt es, dass Hedgefonds umfangreich geprüft werden müssen, etwa durch Interviews mit dem Management und die Dokumentation der wichtigsten Dienstleister, darunter des Prime Brokers. Eine erweiterte Prüfung werde nötig, wenn „negative Informationen aus Hintergrund-Checks“ bekannt werden.
Immer wieder setzten sich die Investmentbanker über die Weisungen des Risikomanagements hinweg. Die Banker hätten darauf gedrängt, Hwang als Kunden zu halten. Das Schuldeingeständnis des Managers gegenüber den US-Behörden sei als „einmaliges Ereignis“ abgetan worden.
Über die Jahre wurden die Warnzeichen immer deutlicher: Der Wert des Archegos-Fonds legte rasant zu, doch das Kreditrisikomanagement der Bank hielt fest: Der Fonds zeichne sich durch eine hohe Volatilität und eine bedenkliche Abhängigkeit von einzelnen Managern ab. Das Risikomanagement sei „schwach“, zudem bestünden „Betrugsrisiken“. Trotzdem stufte der Bereich die Kreditwürdigkeit des Fonds mehrfach hinauf.
Die Strategie von Archegos bestand darin, riskante Wetten auf amerikanische und asiatische Firmen über sogenannte Aktienswaps einzugehen. Auf diese Weise ließ sich die Konzentration der Investments auf wenige risikoreiche Einzelpositionen gegenüber Marktteilnehmern und Regulatoren verschleiern. Für die Aktienswaps musste der Fonds nicht den gesamten investierten Betrag bei der Credit Suisse hinterlegen, sondern nur eine Sicherheitsmarge in Höhe von 15 bis 25 Prozent des Investments.
2019 gelang es Archegos, diese Sicherheitsmarge noch weiter zu drücken, auf durchschnittlich 7,5 Prozent. Das Archegos-Management gab vor, ein günstigeres Angebot für die Prime-Service-Dienstleistungen von einem Konkurrenten erhalten zu haben. Aus Sorge, den Topkunden zu verlieren, willigten die CS-Banker ein.
Archegos ging ein Vielfaches des Risikos ein, das die Credit Suisse dem Fonds eigentlich zubilligte. Doch die schwindelerregenden Wetten hatten keine Folgen. Im April 2020 brach der Wert des Fonds so stark ein, dass die Bank aus den Verträgen mit Archegos einfach hätte aussteigen können. Doch die CS hielt an dem Kunden fest.
Vorstandschef wusste nichts von Problemen
Im September 2020 wurde der Fonds Thema in einem hochrangigen Komitee innerhalb der Investmentbank, das Kundenrisiken beaufsichtigen sollte. Die Entscheidung, wie man mit den Wetten des Fonds umgehen soll, wurde jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt. Erst wenige Tage vor dem Kollaps im März 2021 kam Archegos wieder auf die Agenda des Gremiums. Bei dem Meeting diskutierten die Top-Investmentbanker nun darüber, dass die Positionen von Archegos im Krisenfall schwierig abzuwickeln seien.
Trotzdem reagierten die Credit-Suisse-Banker später als alle Konkurrenten auf den Kollaps des Hedgefonds. Während etwa Goldman Sachs praktisch ohne Verluste aus ihrem Archegos-Engagement herauskam, fiel die Hälfte des Gesamtschadens von rund zehn Milliarden Dollar allein bei der CS an.
Am Donnerstag räumte Vorstandschef Gottstein ein, dass Informationen über Probleme bei Archegos nicht an das Topmanagement weitergegeben wurden. „Mir war die Existenz von Archegos nicht bekannt“, sagte Gottstein. „Ich habe im Grunde erst davon erfahren, als es in den Nachrichten stand.“ Die Kommunikationswege so zu verbessen, dass problematische Entwicklungen schneller erkannt würden, sei eine der Lehren aus dem Skandal gewesen.
Trotz der Veröffentlichung des Reports herrscht bei den Investoren weiter Unsicherheit: Anke Reingen, Analystin bei der Investmentbank RBC Capital Markets, kommentierte die Ergebnisse am Donnerstag so: „Eine höhere Kapitalquote verschafft etwas Sicherheit.“ Doch das Kerngeschäft werde durch die Krisen beeinträchtig. „Zudem gibt es noch keine Klarheit über regulatorische Konsequenzen.“
Aufseher in der Schweiz, den USA und Großbritannien haben Untersuchungen eingeleitet. Das zeigt: Mit der Aufarbeitung der Skandalserie steht die Bank noch ganz am Anfang.
Mehr: Wie die Credit Suisse verhindern will, zum Übernahmekandidaten zu werden.
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