Untersuchungsausschuss Wirecard Bundesbank-Spitze sieht Verantwortung für Verbot von Aktienwetten gegen Wirecard bei der Bafin

Die für Finanzstabilität zuständige Bundesbank-Vorständin argumentiert, dass die Bundesbank der Bafin ihre kritische Einschätzungen zum Leerverkaufsverbot nicht hat „aufdrängen“ müssen.
Berlin Die Vizepräsidentin der Bundesbank, Claudia Buch, sieht die Verantwortung für das umstrittene Wirecard-Leerverkaufsverbot vollständig bei der Finanzaufsicht Bafin.
Die Notenbank selbst, so begründet Buch, habe einen so massiven Eingriff mit Blick auf die Finanzstabilität für nicht notwendig gehalten. Allerdings akzeptierte die Bundesbank, dass die Bafin auf eine Stellungnahme der Notenbank damals verzichtete. Das sagte die Vizepräsidentin der Bundesbank am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags.
Das Verbot von Wetten gegen Wirecard ist der wohl gröbste Schnitzer, den sich staatliche Behörden im Umgang mit dem insolventen Zahlungsdienstleister geleistet haben. Denn das Leerverkaufsverbot im Februar 2019 wirkte wie eine Parteinahme der Finanzaufsicht zugunsten des Konzerns in Aschheim.
Die Frage ist auch politisch brisant. Je größer die Verantwortung der Bafin ist, desto unangenehmer kann der Skandal für die Führungsspitze des Bundesfinanzministeriums noch werden. Die Bafin hatte das Ministerium vorab darüber informiert, dass sie ein Leerverkaufsverbot plant.
Irritationen gab es darüber, wer an der Spitze des Finanzministeriums vorab Bescheid wusste. Zunächst hatte die Bafin-Referentin Marie-Christine Geilfus, die am Leerverkaufsverbot der Bafin mitgewirkt hatte, ausgesagt, nach ihrer Kenntnis hätten Finanzminister Olaf Scholz und Staatssekretär Jörg Kukies, nicht zu den Personen gehört, die vorher Bescheid wussten.
Diese Angaben wurden am Wochenende aber von Staatssekretär Wolfgang Schmidt über Twitter korrigiert. Danach wurde Kukies vorab darüber informiert, dass die Bafin über ein Leerverkaufsverbot nachdenkt.
Dissens zwischen Bundesbank und Bafin
Buch ist eine wichtige Zeugin. Die Entscheidung, ob die Bundesbank ihre kritische Einschätzung zu einem Leerverkaufsverbot offiziell macht oder nicht, fiel in einem Gespräch mit der damaligen Vizepräsidentin der Bafin, Elisabeth Roegele. Über einige Details des Gesprächs hatte das Handelsblatt auf Basis von Vermerken im November berichtet, Buch schilderte die Vorgänge nun aber erstmals öffentlich.
Die Bafin hatte die Bundesbank am Freitag, den 15. Februar 2019 darüber informiert, dass sie über ein Leerverkaufsverbot nachdenkt. Daraufhin ließ die Bundesbank anhand von vier Kriterien prüfen, ob sie das für eine notwendige Maßnahme hält: Sie analysierte den Aktienkurs und das Ausmaß der Wetten gegen Wirecard. Sie prüfte, ob Wirecard relevant für das globale Finanzsystem ist. Sie schätzte das Risiko ab, dass ein Kursverfall Wirecards das restliche Finanzsystem anstecken könnte. Und sie beurteilte, ob das damalige Marktumfeld stabil oder sehr leicht zu erschüttern war.
Das Ergebnis der Bundesbank-Experten fiel eindeutig aus: Die Wetten gegen Wirecard waren nicht besorgniserregend umfangreich. Weder die Wirecard Bank noch Wirecards Rolle im Zahlungsverkehr machten das Unternehmen systemrelevant. Ein Ansteckungsrisiko bestand nicht und die Märkte waren stabil. Diese Einschätzung teilt Buch mit der Arbeitsebene ihrer Behörde.
Damit kam die Bundesbank zu gänzlich anderen Einschätzungen als die Juristen der Bafin, die auch gegenüber der Europäischen Wertpapieraufsicht Esma darlegten, dass sie Ansteckungsgefahren für andere Dax-Aktien sahen. Eine Bafin-Sprecherin bekräftigte die Position der Behörde, dass das Leerverkaufsverbot nicht zum Schutz von Wirecard erfolgt sei, sondern weil man von der Münchener Staatsanwaltschaft spezifische Hinweise auf geplante Manipulationen erhalten habe.
Spitzengespräch zwischen Roegele und Buch
Vor allem Bafin-Wertpapierchefin Roegele, die mittlerweile von ihrem Posten zurückgetreten ist, war im Februar 2019 davon überzeugt, dass ein Leerverkaufsverbot notwendig sei. Ihre Überzeugung speiste sich aus Warnungen, die die Bafin zuvor von der Staatsanwaltschaft erhalten hatte. Vertreter von Wirecard hatten behauptet, das Unternehmen werde von Journalisten mit der Drohung negativer Berichterstattung erpresst, Hedgefonds planten eine weitere Short-Attacke auf die Aktie.
Bafin und Staatsanwaltschaft widersprechen sich mittlerweile, wenn es um die Frage geht, ob die Staatsanwaltschaft die Bafin eindringlich vor der vermeintlichen Hedgefonds-Attacke und dem vermeintlichen Erpressungsversuch gewarnt hat, oder ob sie kommentarlos die Behauptungen des Wirecard-Anwalts weiterleitete.
Die Bafin nahm die Sache damals sehr ernst – informierte die Bundesbank jedoch erst sehr spät über die vermeintlichen Ermittlungen der Münchener Staatsanwälte. Nachdem die Bafin erfahren hatte, dass die Bundesbank ein Leerverkaufsverbot skeptisch sah, kam es zum Spitzengespräch zwischen den Vizepräsidentinnen Roegele und Buch.
„Ich habe im Gespräch mit Frau Roegele sehr deutlich gemacht, dass es auf Basis unserer Informationen keine Notwendigkeit für ein Leerverkaufsverbot gab“, sagte Buch am Freitag. Dann brachte Roegele die angeblichen staatsanwaltlichen Ermittlungen ins Spiel. Details habe Roegele aber nicht genannt, weil diese vertraulich gewesen seien.
Damit sah sich Buch aus dem Spiel. „Selbst wenn wir alle Informationen gehabt hätten, hätten wir auch keine analytischen Instrumente gehabt, um damit umzugehen“, sagt sie.
An dem Abend seien sie und Roegele sich einig darüber gewesen, dass eine Stellungnahme der Bundesbank nicht zwingend erforderlich sei, berichtet Buch. Sie begründet das auch damit, dass es ja letztlich nicht um eine Frage der Finanzstabilität gegangen sei, sondern um mutmaßlich kriminelle Vorgänge rund um Wirecard, also um eine Frage des Marktvertrauens oder der Marktintegrität.
Am nächsten Tag habe Roegele sie informiert, dass man mittlerweile die EU-Aufsicht Esma um Zustimmung für das Leerverkaufsverbot gebeten habe. Damit sei endgültig klar gewesen, dass die Bafin auf die Zustimmung der Bundesbank verzichten wolle.
„Bundesbank trägt Teilverantwortung“
Zur Reaktion der Bundesbank auf das Leerverkaufsverbot der Bafin erklärte Danyal Bayaz, Obmann im Wirecard-Untersuchungsausschuss: „Die Experten der Bundesbank haben ihren Job gemacht. Ihre fundierten Analysen kamen zu dem klaren Ergebnis, dass die Begründung der Bafin für das Leerverkaufsverbot inhaltlich nicht haltbar war.“
Ergänzend fügte er allerdings hinzu: „Leider hat Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch Arbeit und Ansehen ihres Hauses durch den Verzicht auf eine schriftliche Stellungnahme geschmälert.“ Nach Ansicht von Bayaz trägt damit auch die Bundesbank eine Teilverantwortung für die unrühmliche Entscheidung, welche die Aufdeckung des Wirecard-Skandals weiter verschleppt hat.
Mit dieser Ansicht steht der Obmann nicht allein da. Mehrere Abgeordnete sind der Meinung, dass die Bundesbank gleichwohl verpflichtet gewesen wäre, ihre abweichende Meinung in eine Stellungnahme zu fassen. Sie argumentieren nicht zuletzt damit, dass sich in keinem Rechtstext eine Unterscheidung zwischen Finanzstabilität und Marktvertrauen findet.
Buch sieht das gänzlich anders. „Die Bafin ist Herrin des Verfahrens“, betonte Buch. „Wir hatten da keine Bringschuld, sondern das ist die Holschuld der Bafin.“
Die Frage der Verantwortung war Buch damals aber wichtig genug, dass sie sie schriftlich festhalten ließ. Sie informierte im Nachgang des Gesprächs sowohl den Vorstand der Bundesbank als auch den Vorstand der Bafin darüber, dass die Finanzaufsicht auf eine Stellungnahme verzichtet hatte.
Hinweis: in einer früheren Version des Artikels hieß es noch, Finanzstaatssekretär Jörg Kukies sei vorab nicht über das geplante Leerverkaufsverbot informiert worden. Diese Aussagen einer Bafin-Referentin hat das Bundesfinanzministerium im Nachgang korrigiert.
Mehr: Neustart bei der Bafin: Olaf Scholz will die Finanzaufsicht massiv aufrüsten
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