Elon Musk: So sieht Musks Vision einer Staatsmodernisierung durch KI aus

Bei Elon Musk muss man an „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ denken. In dem Roman beschreibt Robert Louis Stevenson den Arzt Dr. Henry Jekyll, der die furchteinflößende Persönlichkeit Edward Hyde auslebt. Musk hat diese zwei Seiten ebenfalls. Seine Extremparolen, die Wahleinmischung in Deutschland für die AfD und viele andere absurde Verhaltensweisen werden zu Recht scharf kritisiert und zeigen seine brandgefährliche Mr.-Hyde-Seite. Doch gibt es auch den herausragend produktiven Dr. Jekyll, der Weltunternehmen wie SpaceX und Tesla hervorgebracht hat – und jetzt den US-Staatsapparat auf fundamentale Weise verändern könnte. Damit könnte er auch Deutschland einen Gefallen tun. Derzeit durchkämmen Musk und seine Mitarbeiter des „Department Of Government Efficiency“ (Doge) – ein „Amt für Regierungseffizienz“ – in rasender Geschwindigkeit die Ministerien und Behörden, um Effizienzen zu heben, Personal abzubauen und mögliche Geldverschwendung abzustellen. Einiges wird sicherlich an Gerichtsklagen scheitern. In anderen Fällen wird Porzellan zerschlagen; zum Beispiel ist das Streichen der Entwicklungshilfeagentur USAID zum Großteil politisch motiviert – weil das Geld ins Ausland statt in die USA geht – und in seiner Konsequenz unbarmherzig. Dabei ist das Budget von USAID im Vergleich zum Gesamthaushalt der USA von sieben Billionen Dollar winzig. Als Nächstes will sich Musk auch das Gesundheits- sowie das Verteidigungsministerium vornehmen, die über gigantische Budgets verfügen. Dort wird viel Geld verschwendet. Nur ein Beispiel: Laut dem unabhängigen Government Accountability Office (GAO), eine Art Rechnungshof der USA, wurden allein 2023 ganze 100 Milliarden Dollar „unsachgemäß“ bei den staatlichen Gesundheitsplänen Medicare und Medicaid ausgezahlt. Diese Zahl muss man sich vor Augen halten, um das Ausmaß des Problems zu begreifen. Während in den USA Unternehmen wie Apple, Google oder OpenAI technologisch ganz vorne mitspielen, gilt das mit Sicherheit nicht für die Behörden: Die sind überladen mit Aufgaben, die IT-System sind veraltet und unsicher. Das Land schaffte es beispielsweise in der jüngsten Erhebung der UN über digitale Kompetenzen von Regierungen nicht, unter die 18 besten Länder der Welt zu kommen. Selbst Deutschland hat das geschafft, wenngleich es nur Platz zwölf belegte. Gelingt Musk die Radikalreform, machen sich die USA fit für die nächsten zwanzig Jahre – als global fast uneinholbar innovatives Land, das unbürokratisch agiert, schnell auf Veränderungen reagiert und massiv in die Zukunft investiert und damit dem Rest der Welt wirtschaftlich noch mehr als zuvor davonzieht. Der Ausgang dieses Experiments in Echtzeit ist äußerst relevant für Deutschland und viele andere Staaten, die nach höherer Ausgabeneffizienz suchen, um Gelder für Innovationsinvestitionen freizumachen. Die Diskussion über die Schuldenbremse würde wesentlich einfacher, wenn wir Teile der Musk-Reformen umsetzen könnten. Bei aller Kritik lohnt es sich also, sein Unterfangen genauer anzusehen. Es werden Erinnerungen an sein Vorgehen 2022 beim Kurznachrichtendienst Twitter wach, als Musk die Belegschaft innerhalb weniger Wochen von 8000 auf 1500 reduzierte, oft auf chaotische Weise und ohne jede Empathie. Das brachte das heutige X ins Schlittern. Und doch brach die Website nicht dauerhaft zusammen und läuft seit langer Zeit trotz der Einschnitte technisch ziemlich reibungslos. Könnte Musk Ähnliches bei der öffentlichen Verwaltung gelingen? Das vorgegebene Ziel: jede Abteilung des Staatsapparats auf mögliche Effizienzgewinne durchleuchten – von Regelabschaffungen über Verkleinerung der Mitarbeiterzahl und Leistungseinschränkungen bis zur Abschaffung ganzer Abteilungen und Behörden. Es ist ein risikoreiches Experiment, keine Frage. Aber Amerika braucht dringend eine Erneuerung. Der Ausgang ist äußerst relevant für Staaten wie Deutschland, die nach höherer Ausgabeneffizienz suchen, um Investitionen und Innovation zu finanzieren. Musk wagte eine unglaubliche Prognose: Er könne bis zu zwei Billionen des jährlich sieben Billionen Dollar großen Haushalts der USA einsparen. Eine solche Summe würde mit einem Schlag die gesamte jährliche amerikanische Neuverschuldung von 1,7 Billionen Dollar ausradieren. Wie viele der Versprechen Elon Musks wird auch dieses Vorhaben von fast allen Experten als schlicht unmöglich eingestuft. Für Musk ist das mehr Ansporn als Abschreckung. Und so stellt Musk mit Doge alles infrage, um anschließend Verwaltungsprozesse neu aufzustellen. Das gelingt mit Daten. Sie sind der Rohstoff der Innovation und Disruption à la Musk. Das Doge-Team hat Zugriff auf alle staatlichen Daten und durchforstet sie mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei wird schnell klar, welche Prozesse in den Verwaltungsabteilungen nötig sind und welche nicht oder welche verändert werden können. Ein Beispiel – das Finanzamt IRS: Eine KI-Analyse der Prozesse für die Steuererklärungsverarbeitung könnte zeigen, dass die Behörde 80 Prozent ihrer Ressourcen und Zeit mit der Abwicklung und Analyse von Standardsteuererklärungen verbringt. Erhebliche Steuermehreinnahmen wären dagegen durch eine sorgfältige Prüfung der restlichen 20 Prozent möglich, die jedoch viel komplexer wäre. Viel besser wäre es, die einfachen Steuererklärungen durch KI fertigzustellen und Fachleute auf schwierige, aber lukrative Fälle anzusetzen. Oder das Beispiel Einwanderungsbehörde. Bei der Prüfung von Visumsanträgen sind zwei Aspekte am wichtigsten: Geht vom Antragsteller eine Gefahr für das Land aus und bringt der Antragsteller mögliche Sozialkosten für den Staat oder eher mögliche Vorteile, beispielsweise wissenschaftliche oder wirtschaftliche? Beide Aspekte lassen sich durch die neueste KI-Software gründlicher, schneller und günstiger analysieren als durch jede manuelle Recherche. Um ein mögliches Sicherheitsrisiko abzuschätzen, kann KI Tausende Social Media Posts im Schnellverfahren analysieren, ausländische Webseiten in Dutzenden Sprachen lesen und analysieren. Um zu sehen, ob es sich beim Antragsteller um einen Wissenschaftler mit Potenzial handelt, kann KI Hunderte von Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachblättern durchlesen und analysieren. Mitarbeiter wären damit überfordert oder bräuchten Wochen dafür. Die KI kann das mit Quellenangabe in 30 Sekunden erledigen und eine fundierte Zusammenfassung und Empfehlung für den Beamten der Behörde erstellen. Das Ergebnis in solchen Szenarien wären möglicherweise Effizienzgewinne von nicht 20 oder 30 Prozent, sondern vielleicht 80 oder 90 Prozent. Gleichzeitig würden Antragsteller plötzlich in einem Tag statt in Monaten eine Antwort erhalten. Selbstverständlich gilt es hier, alle möglichen Bedenken und Gefahren zu berücksichtigen und zu evaluieren, von persönlichem Datenschutz bis zur Gefahr der „Geisel der Maschine“, aber das Effizienzpotenzial stößt in eine völlig neue Dimension vor. » Lesen Sie auch: „In Großunternehmen kommt alle paar Jahre ein neuer CEO und geht mit eisernem Besen durch“ Musk hat das sehr schnell erkannt. Sein Plan ist es wohl, den gesamten Staatsapparat mithilfe von KI – nicht zuletzt seiner eigenen KI-Firma X.ai – von „unten bis oben“ zu durchleuchten und eine Staatsverwaltung des 21. Jahrhunderts vorzuschlagen. Es wird sehr schmerzhaft werden für die Mitarbeiter, die nicht mehr „gebraucht“ werden. Denn Musks Vision ist nichts anderes als eine „Bottom up“-Neuerfindung aller Verwaltungsprozesse. Für einen Anhänger der Demokratie wäre das beste denkbare Ergebnis ungefähr folgendes: Trump, Musk und die Republikaner produzieren „produktives Chaos“ und erfinden die Bundesregierung fundamental neu – eine Art „Start-up America“. Aufgrund des Chaos verlieren die Amerikaner aber die Geduld und wählen 2028 die Demokraten wieder ins Weiße Haus und in den Kongress, die die Trümmer wegräumen, aber gute Strukturen beibehalten. » Lesen Sie auch: US-Politologe Ian Bremmer: „Die Amerikaner sind dabei, ihre eigene globale Ordnung aufzulösen“ Die große Gefahr ist natürlich, dass genau das nicht stattfindet, insbesondere die friedliche Machtübergabe. Ich hoffe inständig, dass die amerikanische Demokratie stark genug ist, diese Gefahren abzuwehren. Was mit der Weltmacht USA passiert, hat massive Auswirkungen auf Deutschland, Europa und den Rest der Welt, von der geopolitischen Lage über die Handelspolitik bis zum Erdklima. Auch die Doge-Initiative von Trump und Musk ist hochgradig relevant: nämlich dafür, wie Deutschland sich für die Zukunft neu erfinden kann. Eigentlich braucht Deutschland das „Fitmachen für die Zukunft“ noch viel mehr als die USA. Unternehmen wandern ab oder spielen aufgrund der Regulierungswut zumindest mit dem Gedanken. Die Wirtschaft schrumpft. Der Arbeitsmarkt beginnt sich einzutrüben und laut dem Wirtschaftsinstitut Ifo befindet sich die Wirtschaft in der „längsten Stagnationsphase der Nachkriegsgeschichte“. Deutschland kann sich eine solche Lähmung nicht mehr leisten. Das Land braucht dringend neue Impulse, darf nicht wieder der „kranke Mann Europas“ werden. Im Gegenteil – die Vision muss sein, Deutschland zu einem der drei wichtigsten Innovationsstandorte der Welt zu machen. Dazu sind diese Reformen nötig: Ebenso wie in den USA ein grundlegender Bürokratie- und Regelabbau sowie die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Massive Investitionen in Zukunftstechnologien wie KI, Kernfusion, Biotech, Robotik oder Quantencomputing, vor allem durch einen Sovereign Wealth Fund mit einem Startkapital von 50 Milliarden Euro, das über die Folgejahre auf 500 Milliarden Euro wächst. Grundlegende Neuausrichtung der Einwanderung hin zu Leistungsbeitragsförderung statt einer überattraktiven finanziellen Unterstützung. Neuerfindung der Rente. Stärkere Ausrichtung der Ausbildung in Richtung Unternehmertum und Wirtschaftskompetenz. Deutschland hat bei einem solchen Zukunftsprogramm möglicherweise noch zusätzliche Hürden im Vergleich zu den USA zu überwinden. Denn Regierungen bestehen fast immer aus einer Koalition mehrerer Parteien, was Koordination und Konsens erfordert. Dazu kommt die europäische Gesetzgebung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möchte mit dem Projekt „Omnibus“ EU-Bürokratie abbauen – das wäre hervorragend, denn es eilt. Die Nachhaltigkeitsberichtserstattung (CSRD) der EU zum Beispiel verlangt von Unternehmen, dass sie 1200 Kriterien für umwelt- und sozialpolitische Nachhaltigkeit dokumentieren. Die Kosten für die Informationspflichten der Unternehmen wuchsen von 2018 bis 2023 von 50 auf fast 67 Milliarden Euro. Beamte und Angestellte haben bei der Prüfung der Berichte vor allem eine Vorgabe: sicherzustellen, dass alles zu 100 Prozent richtig ist. Schon heute arbeiten in Deutschland 5,3 Millionen Menschen im öffentlichen Dienst, 400.000 mehr als zur Jahrtausendwende. Lutz Goebel, Chef des Nationalen Normenkontrollrats, nennt dieses Phänomen „Riesenministerien, die aus sich heraus immer größer werden“. Deutschland hat also besonders viel zu tun. Die Herausforderungen bedeuten aber nicht, dass wir als Deutsche diesen Umbruch nicht anpacken sollten, weil er „ja aussichtslos ist“. Eine solche Haltung würde im Prinzip bedeuten, dass wir aufgeben, unseren Kindern und Enkeln ein wohlhabendes Land zu hinterlassen. Heißt das also, wir brauchen stattdessen einen „deutschen Trump“, der mit seiner autoritären Haltung unsere Demokratie bedroht, und einen deutschen Musk, der stellenweise rechtsextreme Parolen propagiert? » Lesen Sie auch: Alice Weidel – Wie die AfD-Frontfrau so mächtig wurde Genau das Gegenteil ist der Fall. Was Deutschland braucht, ist eine fähige, starke, durch und durch demokratisch denkende Führung, die für unsere drittgrößte Volkswirtschaft der Welt eine klare Zukunftsvision hat. Die die richtigen kreativen und effizienten Problemlöser um sich versammelt und zusammen das System von Grund auf erneuert und zukunftsfit macht. Wenn Sie also am 23. Februar zur Wahlurne schreiten, schlage ich vor, Sie stellen sich folgende Frage: Welcher Kanzlerkandidat wird eine solche Zukunftsvision am ehesten im Koalitionsvertrag verankern und sie umsetzen? Diese Wahl ist nicht wie jede andere – wir brauchen eine Erneuerung unseres Landes, und wir sollten gute neue Ansätze aus den USA übernehmen und demokratiefeindliche ablehnen. Sie haben sicherlich gemerkt, dass ich Musk menschlich und politisch für ziemlich verwerflich halte. Trotzdem braucht die Welt mehr Musks, nicht weniger. Denn wir brauchen richtig große Fortschritte, um unseren Wohlstand zu sichern. Unsere Verantwortung liegt darin, die guten Teile der Musks dieser Welt anzunehmen und die schlechten abzuwehren. Der Autor: Der Deutsch-Amerikaner Cyriac Roeding ist Mitgründer und Chef des Biotech-Unternehmens Earli. Roeding hat in zahlreiche Start-ups und US-Wagniskapitalgesellschaften weltweit investiert. Mehr: „Watergate war dagegen Kinderkram“ – Trump und Musk demontieren den US-Staatsapparat Erstpublikation: 16.02.2025, 08:09 Uhr.