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Expertenrat – Anders IndsetBeginn einer Technokratie: Das Leben nach Covid-19

Das Virus verändert die Gesellschaft. Technologie und Algorithmen werden noch dominanter werden. Umso wichtiger werden Leadership – und Solidarität.Anders Indset 24.03.2020 - 06:18 Uhr Artikel anhören

Der Krankheitserreger verändert das menschliche Zusammenleben. Nun ist große Verantwortung gefragt.

Foto: dpa

Wir erleben aktuell ein epochales Ereignis in historischem Ausmaß, das evolutionäre Entwicklungen und Systemveränderungen beschleunigt – man könnte sogar sagen, wir erleben einen Festplattencrash ohne Back-up. Es wird weitergehen. Aber das Betriebssystem unserer Wirtschaft muss heute neu gedacht werden und sicherstellen, dass wir uns für zukünftige Ereignisse rüsten und gleichzeitig organisiertes menschliches Leben und eine funktionierende Gesellschaft sicherstellen.

Heute werden überall Handlungshelden gesucht. Ethische Debatten und System- und Gesetzesänderungen, die sonst Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern, werden per Eilverfahren über Nacht beschlossen. Es sind Zeiten mit einem zunehmenden Bedarf an radikaler Veränderung und eines Umgangs mit dem ökologischen Kollaps sowie dem Einzug eines digitalen Tsunamis.

Unsere Welt nach Corona steht jetzt am Scheideweg: Bewegen wir uns in Richtung totalitärer Regime, nationalistischer Isolation und Misstrauen, oder gelingt uns ein solidarischer Neustart auf Basis eines technologiegetriebenen humanistischen Kapitalismus?

Chinesische Algorithmokratie oder vertrauensbasiertes Miteinander in einer Technokratie?

Viele tragen bereits heute Fitnessgeräte, Smartwatches und Smartphones, die es ermöglichen, unsere Schritte, unsere Körpertemperatur, den Puls und Weiteres zu messen. Wir registrieren, wen wir treffen und mit wem wir in Kontakt treten. Mit unseren hochauflösenden Kameras können Scans gemacht werden, teils sind Sensoren integriert für Temperaturmessung am Finger.

Vielleicht kann allen bald ein Chip zur Messung direkt in unsere Körper eingebaut werden. Wir könnten das über die kommenden Jahre schnell aufbauen: eine Datenbank mit acht Milliarden GCCs – „Global Citizen Chips“ für alle Bürger. Dies wäre eine technische Option, um bei Pandemien durch algorithmische Warnsysteme und Dauer-Überwachung blitzschnell Maßnahmen ergreifen zu können.

Ist das die neue quantentechnologische Utopie - Quantopia - oder doch ein Überwachungsstaat, ein Stasi-Schnüffler 2.0? Die bevorstehende technologische Revolution bietet unglaubliche Möglichkeiten für eine Wirtschaftswelt, die aufgebaut werden muss ohne hohen Einsatz der anfälligen und teuren Arbeitsressource Menschen. Die Automatisierung und Robotisierung werden nach Corona rapide Fahrt aufnehmen. Die Kehrseite ist folglich genauso extrem.

Bereits jetzt werden wir durch raffinierte Mustererkennungs-Systeme und Empfehlungsmaschinen wie Amazon, Youtube und Co. gesteuert und getrieben. Simulierte und zum Teil manipulierte Entscheidungsszenarien gehören zum Alltag, allerdings laufen diese noch auf vergleichsweise einfachen Technologien unter geringem Eingriff in unser Leben im Vergleich zu dem, was uns noch erwartet.

Technologien reifen in rasanter Geschwindigkeit. Die Analyse von Reaktionen und Emotionen ist bereits heute möglich. Es ist längst nicht mehr so, dass du nur ein Buch auf deinem E-Book-Reader liest - du wirst genauso vom Gerät gelesen. Und Alexa? Sie kennt vermutlich jetzt schon deine Familienmitglieder besser als du selbst. Was wir essen, was wir trinken, wann wir lachen.

Das ist alles ein Teil der Welt von morgen, die von Technologie beherrscht wird. Nach Covid-19 wandern Autoritäten nicht von Mensch zu Mensch, getrieben durch Machtkämpfe und Erfindergeist. Nein, die Autoritäten wandern schon heute in Algorithmen. Ein Kampf in einer solchen Welt hätte fatale Folgen.

Nach Covid-19 kann es nur eine Welt geben: die des menschlichen Vertrauens und des Miteinanders. Unser Welt-Dorf wurde bereits geschaffen. Wer meint, wir können die Uhren zurückdrehen, wird untergehen. Wer meint, wir können das noch eindämmen, wird Antreiber einer Spaltung sein, die nur eine Folge haben wird: das Ende der menschlichen Spezies - unseren Untergang.

Der Weg kann nur in eine Richtung gehen: vorwärts. Turbo-Globalisierung mit lokaler Verankerung, Versorgung, Identität und Zugehörigkeit. Das schwächste Glied ist unser größter Risikofaktor, es geht in Zukunft nur gemeinsam – als eine Weltgesellschaft.

Europa und Deutschland in der Rolle des globalen Leaders

Die derzeitige US-Regierung, vor allem der amtierende Präsident, setzt einen anderen Fokus. Während Barack Obama mit Führungskräften rund um die Welt einen vereinenden Kurs setzte und in der vergangenen Krise den Schwerpunkt auf Leadership legte (und darin weltweit voranging), muss jetzt ein neuer globaler Leader heranwachsen.

Europa, vor allem angetrieben von Deutschland und Brüssel, muss die Antwort geben und sein. Humanismus. Solidarität. Vertrauen. Zukünftige Krisen, Pandemien sowie den Umgang mit exponentiellen Technologien und dem ökologischen Kollaps in Zeiten des Wiederaufbaus können wir nur gemeinsam bestehen. Wir stehen vor neuen Herausforderungen und Fragen:

    Wie stehen wir zu Humanismus und Solidarität, wenn wir in naher Zukunft eine Arbeitslosigkeit von 20 Prozent haben werden?Wie gehen wir mit Menschenleben um, wenn nach der Krise die Kassen unseres Gesundheitssystems leer sind?Wie handhaben wir den bevorstehenden ökologischen Kollaps? Mit Migrationsbewegungen durch die wachsende Bevölkerung Afrikas und damit drohenden neue Pandemien in Verbindung mit der globalen Erwärmung?Was sind sozio-ökonomische Folgewirkungen bei einem plötzlichen Absturz von Wohlstand und Reichtum, einem daraus folgenden steigenden Konsum von Drogen und Alkohol, steigenden Suizid-Raten sowie diversen Stresserkrankungen?

Die Ära der Dekadenz wird zu Ende sein. Das werden sogar Großkonzerne und die Superreichen verstehen. Die wahren Risiken liegen jedoch in einem radikalen Selektionsprozess, Survival of the fittest – es wäre purer Darwinismus und ein Sieg für die „Glücklichen“, die in die alte dekadente Welt hineingeboren sind. Wie gelingt es uns, in einer solchen Situation humanistisch und solidarisch zu agieren?

Mit dem Weg der Solidarität verlassen wir eine mögliche protektionistische Welt, in der künstliche Feinde geschaffen wurden, Missverständnisse in der Kommunikation entstanden, die zur Eskalation und zu fatalen Konsequenzen führten.

Mit Humanismus und Solidarität wählen wir einen Weg, auf dem wir alle zurückblicken dürfen - auf eine Zeit des Meisterns, wie wir aus einer Krise gestärkt zurückkamen. „Ich war dabei“, das muss unser Motto sein. Es steht uns eine Zeit bevor, wo jeder mehr geben muss, als er nimmt. Wir brauchen eine neue Interdependenzerklärung der Menschheit.

Eine Pacht der Zugehörigkeit zur Weltgemeinschaft, wo du als gestaltendes Mitglied einer neuen Realität selbst Leader bist. Nach einer Zeit des sozialen „Distancings“ müssen wir wieder den Menschen, die drohen herunterzufallen, die Hand ausstrecken und sie mitnehmen auf die Reise in eine neue Welt, in der es nie wieder so sein wird, wie es einmal war.

Mehr: Ohne den Staat geht während der Coronakrise nichts.

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