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Gastkommentar Auf neuen Wegen zu mehr Klimaschutz

Statt des bisherigen Flickenteppichs aus Förderprogrammen und Verboten braucht die Europäische Union ein zusätzliches Emissionshandelssystem, analysiert Ottmar Edenhofer.
19.03.2021 - 14:00 Uhr Kommentieren
Ottmar Edenhofer ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Mercator Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin. Er leitet zudem das vom Bundesforschungsministerium finanzierte Ariadne-Projekt, das die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Energiewende erkundet. Quelle: Imago, M
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Ottmar Edenhofer ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Mercator Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin. Er leitet zudem das vom Bundesforschungsministerium finanzierte Ariadne-Projekt, das die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Energiewende erkundet.

(Foto: Imago, M)

Der „European Green Deal“, das Ende 2019 von der EU-Kommission vorgestellte Klimaschutzkonzept, zeigt Wirkung. Seither hat der Alte Kontinent die für 2050 angekündigte Klimaneutralität mit ambitionierteren Zielen für 2030 untermauert; es sollen dann nicht 40, sondern 55 Prozent weniger Treibhausgase emittiert werden als 1990. Mehr noch: Europa hat damit einen Paradigmenwechsel eingeleitet – für die Klimapolitik und die Wirtschaftspolitik insgesamt.

In Brüssel scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen: Für einen Strukturwandel, der in der europäischen Wirtschaftsgeschichte seinesgleichen sucht, müssen wir den regulatorischen Flickenteppich überwinden und einen neuen ordnungspolitischen Rahmen schaffen. Es geht ja nicht mehr nur darum, Kohle- und Gaskraftwerke durch Wind und Solar zu ersetzen – auch die Emissionen im Verkehrs- und Gebäudesektor sowie in der Breite der Industrie müssen innerhalb einer Generation auf null sinken.

Wir brauchen Elektromobilität, synthetische Kraftstoffe sowie mit Grünstrom produzierten Wasserstoff etwa für CO2-freie Stahlwerke. Und wir brauchen in großem Stil neue Technologien, um die nicht vermeidbaren Rest-Emissionen der Atmosphäre wieder zu entziehen. All das sind große industriepolitische Chancen, die Europa nicht verspielen darf. Die Wirtschaft will die Chancen nutzen und in das Ziel der Klimaneutralität investieren, wie jüngste Stellungnahmen zeigen. Aber sie braucht dazu eben die richtigen Anreize.

Um den neuen ordnungspolitischen Rahmen jetzt zu gestalten, kann die Politik auf einem inzwischen durchaus tragfähigen Fundament aufbauen: dem 2005 eingerichteten Europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) für die Energiewirtschaft und energieintensive Teile der Industrie.

Seit 2017 ist der Preis für das limitierte Recht, das wichtigste Treibhausgas CO2 auszustoßen, von fünf auf zuletzt rund 37 Euro pro Tonne gestiegen. Die Folgen sind beträchtlich, die Emissionen im Stromsektor sinken, der Kohleausstieg beschleunigt sich.

Aber im Verkehrs- und Gebäudesektor sinken die Emissionen ebenso wenig wie in der Landwirtschaft. Der Grund liegt auf der Hand: Dort fehlt ein vergleichbar erfolgreiches Instrument.

Zwar hatten sich im Rahmen des inzwischen verschärften EU-Ziels, den Gesamtausstoß bis 2030 um 40 Prozent zu senken, die EU-Mitgliedstaaten auf eine Lastenteilung geeinigt. Deren Prinzip: Jedes Land hat verpflichtende nationale Ziele. Wenn ein Land sein Minderungsziel nicht erreicht, kann es von einem anderen Land Emissionszuweisungen erwerben.

Aber in der Praxis funktioniert dieser rein zwischenstaatliche Handel nicht, denn das Preissignal erreicht nicht diejenigen, auf die es vor allem ankommt: die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Unternehmen. Mit ein wenig Anpassung hier und ein wenig Kompromiss dort kann Europa seine verschärften klimapolitischen Ziele nicht erreichen.

Kohleausstieg würde zu stark beschleunigt

Es läge zwar nahe, das EU-ETS einfach um den Verkehrs- und Gebäudesektor sowie die Landwirtschaft und bislang nicht abgedeckte Teile der Industrie zu erweitern. Das hätte im Prinzip den Vorteil, die Emissionen quer durch alle Sektoren automatisch dort zu vermeiden, wo dies volkswirtschaftlich am kostengünstigsten realisierbar ist.

Aber es wäre mit zu hohen politischen Kosten verbunden: Nach einer ersten Schätzung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung würden die Teilnehmer des bisherigen Emissionshandels dann im Jahr 2030 rund 80 Prozent weniger CO2 emittieren als 2005 – hingegen wären es im Rest der Wirtschaft, wo die CO2-Minderung schwerer zu realisieren ist, nur rund 30 Prozent weniger.

Die energieintensive Industrie müsste um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit bangen. Der Kohleausstieg würde sich so stark beschleunigen, dass es erhebliche soziale Verwerfungen geben könnte. Wer auf ein solches Szenario setzt, riskiert die Zustimmung zur ambitionierten EU-Klimapolitik.

Worauf aber läuft es dann hinaus? Der bisherige Flickenteppich aus Förderprogrammen, Verboten und Technologiestandards ist nicht zielführend, wie etwa die anhaltend hohen Emissionen im Verkehrssektor zeigen. Die immer ehrgeizigeren Flottenverbrauchsstandards vermindern zwar die Emissionen pro gefahrenen Kilometer – aber sie verhindern nicht, dass die Autos immer schwerer werden und mit ihnen obendrein mehr gefahren wird.

Gebraucht werden glaubwürdige Preissignale

Es führt kein Weg an der Einsicht vorbei: Die Standards müssen durch einen CO2-Preis ergänzt werden. Denn ohne ein glaubwürdiges CO2-Preissignal werden die Emissionen auch in Zukunft nicht sinken, es kommt nicht zu den dafür dringend benötigten Innovationen. Die Lösung liegt in der Einführung eines zweiten Emissionshandels für die nicht vom EU-ETS abgedeckten Sektoren.

Das geht technisch am besten, wenn man einfach alle fossilen Brennstoffe an der Stelle erfasst, an der sie in den Wirtschaftskreislauf eintreten. Für ein solches System gibt es bereits ein Vorbild: den zu Jahresbeginn eingeführten nationalen Emissionsrechtehandel in Deutschland.

Verwerfungen wie im Falle des sektorübergreifenden Systems werden dadurch vermieden. Es gibt dann in Stromwirtschaft und energieintensiver Industrie einen geringeren CO2-Preis als in den anderen Sektoren.

Sollte der Preisunterschied zu hoch ausfallen, könnte die Politik einen begrenzten Zertifikatehandel zwischen den beiden Systemen erlauben. Spekulative Übertreibungen, die Investoren verunsichern, lassen sich durch einen Korridor von Mindest- und Höchstpreisen verhindern. Den Ausstoß anderer Treibhausgase, etwa von Methan in der Landwirtschaft, muss man gesondert regulieren.

Der Aufbau eines solchen zweiten Emissionshandels, der als Zwischenschritt verstanden und mit einem klaren Fahrplan zu einer am Ende einheitlichen CO2-Bepreisung versehen werden muss, stellt eine sozialpolitische Herausforderung dar: Es werden ja die Energiewirtschaft und die energieintensive Industrie weniger belastet als Privathaushalte.

Einkommensschwache Haushalte unterstützen

Das trifft vor allem einkommensschwache Haushalte, die einen besonders hohen Teil ihres Einkommens für Wärme, Strom und Kraftstoffe verwenden. Es ist deshalb wichtig, diese Bevölkerungsgruppe an anderer Stelle zu entlasten. Dafür muss der Staat einen Teil der Einnahmen reservieren, die er aus der Versteigerung der Emissionsrechte erzielt.

Insgesamt gibt dieser Ansatz einer umfassenden CO2-Bepreisung Europas Klima- und Wirtschaftspolitik eine neue, klare Richtung. So lässt sich die nötige Innovationsoffensive bewältigen, auch mit Blick auf die Notwendigkeit, CO2 der Atmosphäre zu entziehen: Für „negative Emissionen“ gibt es dann auch negative CO2-Preise, also finanzielle Vergütung.

Sicherlich muss die Politik noch weitere Hausaufgaben machen – etwa durch eine Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik die Landwirtschaft umfassend auf das Ziel Klimaneutralität ausrichten. Aber mit diesem ordnungspolitischen Rahmen hält der European Green Deal für Investoren und Finanzmärkte eine klare Botschaft bereit: Europa kündigt nicht nur Ziele an, es will sie auch erreichen! Klimaschutz lohnt sich!

Der Autor: Ottmar Edenhofer ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Mercator Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin. Er leitet zudem das vom Bundesforschungsministerium finanzierte Ariadne-Projekt, das die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Energiewende erkundet.

Mehr: Klimaökonom Edenhofer erhält deutschen Umweltpreis.

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