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Gastkommentar – Global Challenges Europas verfehlte Afrikastrategie

Unser Nachbarkontinent gerät immer stärker unter chinesische Kontrolle – der Westen muss jetzt endlich aufwachen, fordert Günther H. Oettinger.
07.07.2021 - 13:56 Uhr 2 Kommentare
Günther H. Oettinger ist Vorsitzender von United Europe e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar für Energie, Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Haushalt und Personal. Quelle: Bloomberg [M]
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Günther H. Oettinger ist Vorsitzender von United Europe e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar für Energie, Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Haushalt und Personal.

(Foto: Bloomberg [M])

Geopolitisch ist Corona für den Westen bislang ein Desaster. Die reichen Industrieländer, in denen 16 Prozent der Weltbevölkerung leben, haben sich 70 Prozent aller 2021 verfügbaren Impfdosen gesichert. China hingegen hält Wort und teilt die eigenen Impfstoffe mit der Welt, verkauft Vakzine an 27 Staaten und spendet Impfdosen an 50 Länder. Knallharter Egoismus hier, solidarischer Internationalismus dort?

„Impfstoffdiplomatie“ ist ein Wort, das in der Pandemie entstanden ist. Argwöhnisch beobachten die USA die Kampagnen, mit denen China jede Lieferung seiner Vakzine begleitet – auch nach Südamerika, also in Washingtons historischen „Hinterhof“. Der chinesische Arzneimittelkonzern Sinovac sponsert sogar die Copa America, Südamerikas Fußballturnier, ähnlich unserer Europameisterschaft.

Argentiniens Superstar Lionel Messi bedankte sich mit gleich drei signierten Trikots für Pekings Unterstützung. In Brasilien entsteht ein Impfstoffwerk nach Blaupausen aus Peking. Keine Frage: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sammelt derzeit propagandistische Pluspunkte. Kann die Spende von einer Milliarde Impfdosen für die 98 ärmsten Länder, auf die sich die reichsten Staaten auf dem G7-Gipfel im englischen Cornwall geeinigt haben, den Westen noch aus der geopolitischen Impfdosen-Defensive führen?

Mitentscheidend dürfte sein, ob die chinesischen Vakzine – deren geringere Wirksamkeit im Vergleich zu den genbasierten Impfstoffen von Biontech und Moderna Peking sogar offiziell einräumt – auch gegen Virusmutanten gut helfen. Mitentscheidend dürfte aber auch sein, ob es der Europäischen Union gelingt, schnellstmöglich in Afrika eine Produktionsanlage zu bauen, die Milliarden von Impfdosen für den Kontinent liefert.

Natürlich verteilt China seine Vakzine nicht aus Nächstenliebe. Pekings „Gesundheits-Seidenstraße“ ist Teil des internationalen Infrastrukturprogramms Neue Seidenstraße. In Afrika lässt sich beobachten, wie Chinas geopolitische Strategie die Machtverhältnisse auf einem ganzen Kontinent womöglich entscheidend verschiebt. Denn Peking betrachtet Afrika nicht als Problem-, sondern als Chancenkontinent.

Das Erbe des Kolonialismus ist nach wie vor gegenwärtig

Es investiert dort ungeheure Summen – ohne jede Sorge, dass auch nur ein afrikanischer Flüchtling je das Reich der Mitte erreicht. Die deutsche und europäische Politik hingegen sieht in Afrika vor allem einen Kontinent, der von Bürgerkriegen und Hungersnöten heimgesucht wird. Zwischen 1960 und 2004 sind dort 600 Milliarden Dollar westlicher Entwicklungshilfe mehr oder weniger versickert. Das Erbe des Kolonialismus ist nach wie vor gegenwärtig, wie der Streit um die Benin-Bronzen zeigt.

Europäische Geberländer konzentrierten sich vor diesem Hintergrund auf die Verbesserung sozialer Infrastrukturen. Beim Bau von Schulen und Krankenhäusern konnte man wenig falsch machen, beim Bohren von Brunnen auch nicht. Leider führte das weder zu vielen neuen Arbeitsplätzen noch zu einer spürbaren Wertschöpfung. Afrikas Landwirtschaft und die verarbeitende Industrie erzielten über Jahrzehnte kaum Fortschritte. Stattdessen gerieten die ehemaligen Kolonien in immer größere Abhängigkeit von Hilfsgeldern.

Als Peking dann die „Going-global“-Strategie verkündete und seine Unternehmen zu Direktinvestitionen aufrief, kam sofort Schwung in den chinesisch-afrikanischen Handel. Zwischen 2000 und 2015 hat sich das Volumen des Güteraustauschs von knapp zehn auf gut 200 Milliarden Dollar etwa verzwanzigfacht. Schon 2011 verdrängte das Reich der Mitte die USA als größten Handelspartner des Kontinents.

Mit Rohstoffen wie Erdöl, Kupfer oder dem wertvollen Coltan, das in der modernen Mobilfunktechnik eingesetzt wird, bezahlen Afrikas Staaten die Kredite für die Tausende Kilometer Straßen und Bahntrassen, die Chinas staatliche Bauunternehmen durch den Kontinent ziehen. Die Aufträge bekommt immer eine chinesische Firma. Deutschland und Europa hingegen schreiben ihre Afrikaaufträge international aus – allein die Bundesregierung hat dort seit 2013 insgesamt 344 Aufträge an chinesische Firmen vergeben.

China ist der neue Kolonialherr Afrikas

Peking sieht nicht nur die Bedeutung Afrikas, des Marktes, des Wachstumspotenzials und der Ressourcen – China ist auch Afrikas Kolonialherr des 21. Jahrhunderts. Entsprechend „robust“ geht man vor: Wer Zugang zu Chinas Finanztöpfen haben will, muss seine Beziehungen zur „abtrünnigen Provinz“ Taiwan abbrechen. Heute unterhalten nur noch drei Staaten Afrikas diplomatische Beziehungen zu Taiwan.

Demokratie, Menschenrechte? Solche Fragen lächelt Xi Jinping einfach weg. Sein Credo lautet: „Das oberste Menschenrecht ist das Recht auf Wohlstand.“ Für Xi und Afrikas Regenten ergibt sich daraus eine Win-win-Situation. Seit zehn Jahren erreicht Afrika ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich mindestens sechs Prozent.

Unter den 20 Ländern mit dem größten Plus des Bruttoinlandsprodukts finden sich 2020 gleich sieben afrikanische Staaten: Guinea, Ägypten, Elfenbeinküste, Niger, Tansania, Ghana und Äthiopien. In dessen Hauptstadt Addis Abeba stehen inzwischen mehr Bürotürme als in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt.

Vor 20 Jahren lag Afrika noch am Boden. Jetzt sollen dort 59 Sonderwirtschaftszonen entstehen – jene Cluster, mit denen Peking vor gut 40 Jahren seinen Aufstieg zur Wirtschaftsmacht begann. „Werkbänke des Westens“ hießen die damaligen Industrieparks, in denen chinesische Frauen und Männer für wenig Geld Vorprodukte zusammenschraubten oder T-Shirts nähten.

Nachbarschaft ist eine Art Schicksal

Diesen Niedriglohnsektor will China jetzt nach Afrika auslagern, in die Sonderwirtschaftszonen. Jobs für immerhin 22.000 Menschen sollen so zum Beispiel allein in Kongos Hauptstadt Brazzaville entstehen. Ist der Afrika-Express für Deutschland und Europa also abgefahren? Nicht unbedingt. Europa müsste allerdings erst einmal seine Interessen an einer umfassenden Partnerschaft mit den Staaten Afrikas definieren und anschließend viel Geld in die Hand nehmen.

Nachbarschaft, so heißt es, sei eine Art Schicksal – Afrika ist der Nachbar Europas und nicht der USA oder Chinas. Immerhin will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Thema ganz oben auf die Agenda seiner EU-Ratspräsidentschaft setzen, die Anfang 2022 beginnt. Macron spricht auch nicht von Entwicklungshilfe, sondern denkt an einen großen Aufschlag unter dem Titel „New Deal“.

Auch Deutschland sollte endlich verstärkt auf Afrika blicken. Wir brauchen auf dem Weg in die Klimaneutralität deutlich mehr auf Ökostrombasis erzeugten Wasserstoff, als hierzulande produziert werden kann. Energiepartnerschaften mit Ländern an der afrikanischen Küste, wo die Sonne knallt und der Wind bläst, drängen sich geradezu auf. Entscheidend ist dabei, dass die Ressourcen aus der Energieumwandlung auch Afrika zugutekommen.

Höhere, kreditfinanzierte Direktinvestitionen deutscher Unternehmen böten sich ebenfalls an. Ideen hat der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft genug. Allerdings hält sich der Bund beispielsweise bei der Vergabe von Hermes-Ausfallbürgschaften mehr als zurück. Aus geopolitischer Perspektive kann man das nur als kontraproduktiv bezeichnen.

Der Autor: Günther H. Oettinger ist Vorsitzender von United Europe e.V. Er war Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar für Energie, Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Haushalt und Personal.

Mehr: Was Merkel von Chinas Afrikastrategie lernen könnte

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Mehr zu: Gastkommentar – Global Challenges - Europas verfehlte Afrikastrategie
2 Kommentare zu "Gastkommentar – Global Challenges: Europas verfehlte Afrikastrategie"

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  • Die staatlichen chin. Baufirmen bekommen stets die Aufträge in Afrika. Finanziert wird das Ganze durch Geldschöpfung der chin. Notenbank. Würde die EZB ähnliches auch nur andenken, Investitionen in Afrika zu finanzieren, wäre sofort eine konservative Meute dabei, über das Bundesverfassungsgericht ein Verbot zu erwirken. Vergessen wir also Afrika als Kontinent mit Chancen und nehmen nur Flüchtlinge von dort auf, Einwanderung in die Sozialsysteme, wie einige deutsche Minister festgestellt haben. Mit dem gegenwärtigen Denken in der EU, über die Rolle der EZB und Investitionen in Afrika/Asien/Südamerika, ist nicht mal ein einziger Blumentopf zu gewinnen. China macht das Geschäft, Deutschland geht leer aus. Beton-Kopf-Denken.

  • Witzig, wie es als Propaganda dargestellt wird, wenn China in Brasilien ein Werk baut. Nicht aber, wenn es die EU in Afrika tut.

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