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GastkommentarWie eine neue deutsche Wehrpflicht aussehen könnte

Die Bundeswehr braucht doppelt so viel Soldaten wie heute. Wer Wehrdienst leistet, sollte davon profitieren. Auch Unternehmen sollten ihren Beitrag leisten, fordert Klaus Schweinsberg. 15.04.2025 - 07:45 Uhr Artikel anhören
Der Autor: Klaus Schweinsberg ist Ökonom und Publizist. Er dient seit über 30 Jahren als Reservist, heute als Oberst im Generalstabsdienst. Foto: Bundeswehr Pressebild honorarfrei, imago/Reiner Zensen

Die neue Regierung steht und hat bereits vor ihrer Gründung wichtige Weichen gestellt. Für die Verteidigung fehlen uns jetzt nicht mehr die Mittel und bald hoffentlich auch nicht mehr das Material. Was indes fehlt, ist eine Veränderung im Mindset. Verteidigung geht uns alle an – und zwar höchstpersönlich.

Spricht man einen Finnen, Litauer oder Schweden darauf an, wo er im Kriegs- oder Krisenfall wäre, so kommt sofort eine präzise Antwort: in Frontabschnitt A, im Hospital B oder in der Zivilschutzanlage C. Fragt man einen Deutschen, so hört man die Frage: Wo ist es denn sicherer, in Portugal, Neuseeland oder Kanada? Mit dieser Haltung ist kein Staat zu machen.

Die bisherigen Diskussionen über „Pflichtdienst“ oder neuerdings „Freiheitsdienst“ kreisen um eine Frage: Wie tun wir den Bürgern möglichst wenig weh? Und nicht: Wie können wir dem Feind möglichst weh tun? Wir Deutschen müssen endlich zeigen, dass wir uns nicht nur verteidigen können, sondern auch wollen.

Dafür braucht es so mutige Schritte wie bei der Anpassung der Schuldenbremse. Die Herausforderung nun: Alle Beschlüsse zur Verbesserung unserer Wehrhaftigkeit müssen sich innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes abspielen, da es Änderungen mit den Putin-Freunden am linken und rechten Rand nicht geben kann.

Wir brauchen im Ernstfall 460.000 Soldatinnen und Soldaten. Das hat der Generalinspekteur der Bundeswehr klargemacht. Vergleicht man diese Größenordnung mit der Bundeswehr zur Hochzeit des Kalten Krieges und einer kleineren deutschen Bevölkerung, erscheint diese Zahl nicht übertrieben.

Die Bundeswehr sollte die 850.000 Reservisten mobilisieren

Stand heute aber haben wir nur eine Stärke von rund 210.000, davon etwa 30.000 fest eingeplante Reservisten. Unsere Bundeswehr muss sich also mehr als verdoppeln. Das ist allein mit Freiwilligkeit nicht hinzubekommen.

Das größte und naheliegendste Potenzial sind die Reservisten. 850.000 Männer und Frauen stünden heute rechnerisch zur Verfügung. Aber: Die Bundeswehr weiß kaum etwas über sie, hat häufig nicht einmal die Kontaktdaten.

Hier braucht es eine schnelle, praktikable Lösung. Entweder richtet die Truppe rasch eine zentrale Hotline oder Mailadresse ein, wo sich die Reservisten aktiv melden können, um Erreichbarkeit, militärische und zivile Qualifikation zu melden, oder es muss halt aus dem Kreis der Reservisten eine solche Initiative geben.

Aktuell ist die Situation mehr als unbefriedigend: Ich kenne etliche Fälle, wo sich Männer oder Frauen bei der Bundeswehr melden und entweder gar keine Reaktion bekommen oder irgendwo im Nirwana zwischen Karrierecentern, Ministerium und Truppe landen.

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Diese Gleichgültigkeit können wir uns nicht mehr leisten. In den nächsten sechs Monaten müssen wir mindestens 200.000 Reservisten gezielt erfassen und dann schrittweise in Auffrischungsübungen wieder einsatzbereit machen.

Wie eine deutsche Wehrpflicht aussehen könnte

Wir werden auch um eine Wiederbelebung der Wehrpflicht nicht umhinkommen. Die Bedrohungslage ist real, die Nato-Forderungen werden schon im Sommer größer werden.

Ein Modell für einen „neuen“ Wehrdienst liefert die Schweiz. Man könnte ähnlich wie dort üblich einen achtmonatigen Wehrdienst (240 Tage) verbindlich für alle diensttauglichen Männer (auf Basis von Artikel 12a des Grundgesetzes) und freiwillig für Frauen vorsehen. Dieser kann entweder im Block absolviert werden oder aufgeteilt in eine Basisausbildung und mehrere Wiederholungskurse in den darauffolgenden zehn Jahren.

Alternativ können die 240 Diensttage auch in anderen „Blaulichtorganisationen“ (wie Gesundheitswesen, Feuerwehr, Zivilschutz) geleistet werden. Die Schweiz erhebt eine Abgabe in Höhe von drei Prozent des steuerbaren Einkommens für jene, die nicht dienen. Angelehnt daran könnten wir über Vorteile nachdenken, die jene belohnen, die ihren Dienst an der Gemeinschaft leisten.

Möglich wären etwa verkürzte Wartesemester, Bildungsstipendien, Privilegien beim Zugang zum öffentlichen Dienst oder Steuervorteile. Das Steuerrecht kennt Entsprechendes ja schon in Form der Gemeinnützigkeit oder der Ehrenamtspauschale.

Vorteile wären auch für all jene wünschenswert, die sich dauerhaft als Reservist oder anderweitig engagieren. Neben die finanzielle Wertschätzung sollten freilich auch stets Formen der gesellschaftlichen Wertschätzung treten.

Durch die mögliche Aufteilung in Basisausbildung und spätere Wiederholungskurse können in einem Jahr mehr Kräfte einberufen werden, was für die Wehrgerechtigkeit wichtig ist. Und die Truppe kann mit den vorhandenen Ressourcen an Ausbildern und Unterkünften mehrere Durchläufe pro Jahr fahren.

Aktuell kann die Bundeswehr nach eigenen Angaben etwa 10.000 bis 15.000 Grundwehrdienstleistende pro Jahr ausbilden. Mit dem „Schweizer“ Modell könnte man die Zahl der Basisausbildungen signifikant steigern. Zudem: Dadurch, dass es mehr „Durchlauf“ gibt, steigt auch die Zahl derer, die auf den Geschmack kommen und sich entscheiden, länger zu bleiben.

Firmen sollten Mitarbeiter für den Wehrdienst freistellen müssen

Das Bundesinnenministerium hat gerade gefordert, dass in den Schulen „ein stärkerer Fokus auf den Zivilschutz“ gesetzt werden soll. Das ist richtig. Meines Erachtens sollten die Bundesländer in den Lehrplänen nicht nur Zivilschutz vorsehen, sondern auch die Option anbieten, Schülerinnen und Schüler an die militärische Verteidigung heranzuführen.

In Großbritannien gibt es seit 1948 die sogenannten „Combined Cadet Forces“, in denen inzwischen an 500 weiterführenden Schulen pro Jahr rund 50.000 junge Menschen ausgebildet werden. Das dient ausdrücklich nicht zur Rekrutierung von Soldaten, sondern soll Verantwortungsfähigkeit, Eigenständigkeit und Ausdauer bei jungen Menschen fördern. Auch ein Beitrag zu gesamtstaatlicher Resilienz.

Schließlich muss auch die Wirtschaft mehr Verantwortung beim Thema Resilienz übernehmen. Es wäre von großem Mehrwert, wenn jede Firma intern erfragen würde, wer Reservist ist oder in anderen „Blaulichtorganisationen“ dient, und diese ermuntern würde, sich weiter zu engagieren. In vielen Ländern wird solches Engagement sichtbar gemacht und geehrt.

Vor allem aber sollten nun auch die entsprechenden Freigaben erteilt werden. Bisher stützt sich die Reserve auf eine doppelte Freiwilligkeit – des Reservisten und des Arbeitgebers. Diese Hürde ist zu hoch. Reservisten sollten einen Rechtsanspruch darauf haben, innerhalb von zwei Jahren mindestens drei Wochen dienen zu dürfen.

Zudem sollten die Firmen aktiv den Kontakt zum neu aufgestellten Operativen Führungskommando in Berlin suchen, wo der sogenannte „Operationsplan Deutschland“ geführt wird, und nachfragen, welche Rolle man hier spielen könnte.

„Wir stehen am Beginn einer höchst gefährlichen Phase der Weltgeschichte“, gab unlängst der renommierte Historiker Heinrich August Winkler zu Protokoll. Dass wir in einem Krisen- oder gar Kriegsfall unseren Mann oder unsere Frau stehen müssen, ist inzwischen deutlich wahrscheinlicher, als dass wir weiter unbehelligt im Zuschauerraum sitzen. Gerade jene, die sich um ihre Söhne und Töchter Sorgen machen, sollten sich dafür engagieren, dass wir alle bestmöglich vorbereitet sind.

Der Autor: Klaus Schweinsberg ist Ökonom und Publizist. Er dient seit über 30 Jahren als Reservist, heute als Oberst im Generalstabsdienst.

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Erstpublikation: 14.04.2025, 04:01 Uhr.

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