Gastkommentar: Um eine neue globale Ordnung zu schaffen, brauchen wir einen Dialog zwischen allen Akteuren

Lars-Hendrik Röller ist Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule ESMT in Berlin. Zuvor war er unter anderem Wirtschaftsberater der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
„Wer nach allen Seiten offen ist – der kann nicht ganz dicht sein“ – schrieb Kurt Tucholsky und beschrieb damit das geopolitische Kalkül der vergangenen Jahrzehnte. Lange passten Staaten ihr wirtschaftliches und politisches Handeln an die dominanten, traditionell westlichen Institutionen der multinationalen Ordnung an, darunter der IWF, die Weltbank, die WHO oder Allianzen wie die G7 und G20.
Diese Allianzen werden immer stärker herausgefordert. Eine der wichtigsten Botschaften des vergangenen G20-Gipfels in Indien ist sicherlich die Aufnahme der Afrikanischen Union als Vollmitglied. Das zeigt die Reformfähigkeit „alter“ Institutionen. Auch die G7 hat immer wieder über eine Erweiterung gesprochen und dies über Gastländer – wie etwa Indien, Südkorea und Australien - ein Stück weit praktiziert.
Gleichwohl gibt es eine Fragmentierung hin zu einer multipolaren Welt. Beispiele sind die Erweiterung der BRICS-Staaten als Alternative zu westlichen Institutionen, der kürzlich abgehaltene Summit von Camp David mit Südkorea, Japan und den USA oder das trilaterale Bündnis Aukus zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA.
Wir brauchen neue Spielregeln für die multilaterale Zusammenarbeit
Gleichzeitig erfordern die großen grenzüberschreitenden Fragen unverändert gemeinsame Lösungen: De-Industrialisierung, De-Globalisierung, De-Coupling, De-Dollarisierung – welche Entwicklung verlangt welche Reaktion? Welchen Umgang erfordern neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaften grundlegend verändern, bevor wir sie selbst begreifen? Wie begrenzen wir die Klimakrise? Können wir Wohlstand fördern, aber die rasant zunehmende soziale Ungleichheit ausgleichen? Und wie ist all das möglich, ohne die Akzeptanz der Menschen zu verlieren?
Wichtig ist, dass die neue multipolare Welt nicht zu einer polarisierten Welt wird. Für diese neue geopolitische „Unordnung“ braucht es ein neues Playbook der multilateralen Zusammenarbeit.
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Dies sollte Folgendes umfassen:
Erstens die Reform existierender multilateraler Institutionen, wie etwa der Weltbank, des IWF und der WTO. Die Initiative der G20 zur Stärkung der Weltbank für die Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel und die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Mitgliedsländer ist überfällig.
Hierbei geht es einerseits um mehr finanzielle Investitionen. Die G20-Schlusserklärung spricht von 200 Milliarden US-Dollar (umgerechnet 187 Milliarden Euro) zusätzlich im nächsten Jahrzehnt.
Klar ist jetzt schon, dass sowohl der öffentliche Anteil als auch die erforderlichen privaten Investitionen um ein Vielfaches höher sein müssen. Andererseits geht es um entsprechende Mitsprache des globalen Südens. Wenn die Reformen der existierenden multilateralen Institutionen nicht endlich vorangetrieben werden, droht auch hier eine weitere Fragmentierung.
Der Berlin Global Dialogue vernetzt Staatenlenker, Unternehmer und Studierende
Zweitens die Verzahnung der bestehenden Formate, um möglichst viele Überlappungen in den Interessen zu erreichen: So sind fast alle Länder der BRICS und alle der G7 auch Mitglied in der G20. Wenn viele Länder über mehrere Formate vernetzt sind, verhindert dies eine komplette Blockbildung.
Drittens sollte es möglichst viele Foren für Dialog zwischen den Formaten geben. Internationaler Dialog braucht neutrale Gesprächsräume, die bestehende Allianzen ergänzen und regionale, politische und wirtschaftliche Echokammern durchbrechen.
Mit dem Berlin Global Dialogue haben wir ein neues Forum für einen Dialog zwischen Politik und Wirtschaft geschaffen, das Raum für viele Perspektiven bietet. Wir bringen Staatenlenker und Topmanager aus aller Welt und verschiedenen Branchen zusammen.
Und wir haben auch Studierende eingeladen, am Dialog teilzunehmen; schließlich wird dieser Dialogprozess Zeit erfordern und eine neue Generation an Führungspersönlichkeiten.
Die Welt wird komplexer und unordentlicher. Echter Dialog hält Kontroversen aus und versteht unterschiedliche Meinungen als Bereicherung statt als Affront gegen das eigene Wertesystem. Er ist damit auch – Tucholsky verprellend – nach allen Seiten offen.
Aber mit dem richtigen Playbook kann man dieser neuen Welt eine globale Ordnung geben.
Der Autor:






Lars-Hendrik Röller ist Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule ESMT in Berlin. Zuvor war er unter anderem Wirtschaftsberater der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
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