Gastkommentar: Warum jetzt Zeit für eine bessere Klimaschutz- und Energiepolitik ist

Leonhard Birnbaum ist Vorstandsvorsitzender von Eon.
Die gesellschaftliche Akzeptanz für Klimaschutz und neue Energien ist in ganz Europa vorhanden – und groß. Das ist das hoffnungsvolle Ergebnis einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Civey, die die Eon-Stiftung in Auftrag gegeben hat. Jetzt gilt es für die Politik, die mehrheitliche Bereitschaft der Europäerinnen und Europäer zu nutzen, um die Weichen klug zu stellen – einladend statt bevormundend, einfach statt überkomplex, lieber schnell als allzu pedantisch.
Europa steht vor einer der größten Herausforderungen seiner Geschichte – nämlich den Energiesektor in Einklang mit den selbst gesteckten Klimazielen zu bringen.
Die politische und wirtschaftliche Dynamik unseres Kontinents macht eine grenzüberschreitende Betrachtung der europäischen Energie- und Klimapolitik unumgänglich. Im Fokus stehen vor allem die CO2-Bepreisung, ein zukunftsfähiges Strommarktdesign und der Ausbau der Netzstruktur.
Ein zukunftsfähiges Strommarktdesign ist nötig
Wir sind heute mit neuen geopolitischen Entwicklungen, Handelsspannungen und industriepolitischen Maßnahmen konfrontiert, die erhebliche Auswirkungen auf unseren Energiesektor haben. Gleichzeitig arbeiten wir an der Umsetzung der EU-Netto-null-Agenda. Diese Agenda erfordert eine strukturelle Reform unserer Märkte und die Sicherung unserer Energieinfrastruktur.
Dafür brauchen wir ein zukunftsfähiges Strommarktdesign. Das geht nur mit einer Stärkung der wettbewerbsorientierten Großhandelsmärkte, die die Interessen der Stromkunden schützen.
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Nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben die Turbulenzen auf den Energiemärkten die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlicherweise verunsichert. Mittlerweile gibt es eine neue Stimmungslage.
Das zeigen die Zahlen des European Survey der Eon-Stiftung: Während sich im März 2023 noch 34 Prozent der Deutschen für einen Strompreis aussprechen, der sich auf dem freien Markt bildet, waren es ein halbes Jahr später, im September 2023, bereits 43 Prozent.
Das ist ein gutes Zeichen. Denn die Preissignale des Marktes sind ein existenzielles Instrument für die Gestaltung eines funktionierenden Marktmodells, das sowohl Versorgungssicherheit als auch günstige Verbraucherpreise garantiert.
CO2-Bepreisung ist europaweit akzeptiert
Es ist sicher: Für die Zuverlässigkeit brauchen wir einen Kapazitätsmarkt, für die Bezahlbarkeit liquide Großhandelsmärkte und für die Nachhaltigkeit eine wirksame CO2-Bepreisung. Gerade diese wird der Civey-Umfrage zufolge europaweit akzeptiert, da sie ermöglicht, die Klimaschutzziele zu erreichen.
Die Europäische Union muss Kapital mobilisieren und das richtige Tempo finden, ohne zu hohe Energiepreise für Verbraucher und Industrie zu verursachen. Denn der Energiesektor benötigt bis 2030 enorme Investitionen.
Die Elektrifizierung schreitet voran, die Stromkapazitäten steigen und werden sich bis 2040 verdreifachen. Zudem sind weitere finanzielle Mittel für den Aus- und Umbau der Verteilnetze (in Deutschland 80 Milliarden Euro bis 2030) und für eine schnellere Digitalisierung der Netzinfrastruktur nötig.
Das alles setzt ein entschlossenes Umsetzungsprogramm in der gesamten EU voraus. Investoren verlangen Stabilität, Einfachheit und eine einheitliche Umsetzung der nationalen Rechtsvorschriften. Davon hängt die Effizienz unseres Binnenmarkts ab.
Für die Infrastruktur brauchen wir in Europa einen neuen „Power Infra Deal“. Dieser ist notwendig, um Investitionen in die Netze zu beschleunigen und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu unterstützen. Tempo ist gefragt: Bis 2030 müssen wir alle sieben Sekunden rund um die Uhr einen neuen Netzanschluss realisieren.
Das ist etwa vier Mal so schnell wie heute. Zudem sollten für jeden Euro, der in erneuerbare Energien investiert wird, 50 Cent in die Netze fließen. Denn die Energieinfrastruktur muss schließlich den Anforderungen der Energiewende gerecht werden.
Eine schlankere und intelligentere Planung und Genehmigung des Netzausbaus ist für einen reibungslosen Übergang zu einer nachhaltigen Energieversorgung unerlässlich.
Politik und Regulierungsbehörden sind nun aufgefordert, die richtigen Bedingungen zu schaffen – und die Unternehmen werden erhebliche Mittel in Energieinitiativen investieren müssen. Wichtig ist deswegen eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten.



Die Umfrage der Eon-Stiftung zeigt, dass es europaweit gesellschaftliche Mehrheiten für ambitionierten Klimaschutz und Bereitschaft für eine hohe persönliche Eigenleistung gibt. Die Politiker sollten hinter den Ambitionen der eigenen Bevölkerung nicht zurückbleiben.
Der Autor: Leonhard Birnbaum ist Vorstandsvorsitzender von Eon.





