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GastkommentarWarum Politik und Bürger sich nicht mehr verstehen

Firmen hilft es nicht, über die Konkurrenz oder die Kunden zu klagen. Auch Parteien sollten nicht lamentieren, sondern anpacken. Vier Ansätze könnten helfen, meint dm-Chef Christoph Werner. 21.03.2025 - 09:55 Uhr Artikel anhören
Der Autor: Christoph Werner ist Vorsitzender der Geschäftsführung von dm. Foto: DPA

Derzeit redet man in Deutschland vor allem von Sondervermögen und Rüstungsausgaben. Doch jenseits dieser historischen Entscheidungen treiben mich die Reaktionen auf die Bundestagswahl um, weil sie ein grundlegendes Missverständnis zwischen der Politik und der Bevölkerung offenbaren.

Exemplarisch zeigt das der Satz des scheidenden Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck, mit dem er erklärt, warum sein Wahlkampf gut war, obwohl er keines seiner politischen Ziele erreicht hat. „Das Angebot war top, die Nachfrage war nicht so dolle“, so Habeck.

Mich hat diese Aussage berührt, und sie hat tief blicken lassen. Berührt hat sie mich, weil sich hier ein Mensch geäußert hat, der eine schmerzliche Niederlage öffentlich eingestehen musste. Dies fällt keinem leicht, und dafür zolle ich ihm Respekt.

Aber die Begründung lässt auch tief blicken, da sie ein Politikverständnis zeigt, welches die Güte des Angebots mit den eigenen Überzeugungen verknüpft statt mit den Bedürfnissen der Menschen. Dieser Ansatz geht in der Politik genauso wenig auf wie für Unternehmen, die ihre Kundschaft aus den Augen verlieren.

In der Demokratie folgt die Abwahl. In der Sozialen Marktwirtschaft verschwindet das Unternehmen vom Markt. Solange Bürgerinnen und Bürger die Souveräne im Staat sind, wird das so sein, und ich bin froh darüber.

Wenn Bürger wählen, ist nicht die Demokratie in Gefahr

Dennoch wird in unserem Land gerade viel darüber gesprochen, dass die Demokratie in Gefahr sei. Wenn Bürgerinnen und Bürger sich in freien Wahlen entscheiden, Parteien ein Mandat auf Zeit zu geben, gefährden sie nicht unsere Demokratie, sondern sie machen Gebrauch von ihr. Mit dem Ergebnis einer Bundestagswahl ist daher nicht unsere Demokratie in Gefahr, sondern die Parteien und ihre Programme, die Federn gelassen haben.

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So wenig, wie es bei schwindenden Marktanteilen einem Unternehmen hilft, die Konkurrenz und die ausbleibende Kundschaft zu beklagen, so wenig hilft es Parteien, auf andere Parteien zu schimpfen, den Untergang der Demokratie zu prognostizieren und abwandernde Wähler geringschätzig zu betrachten.

In solchen Situationen gilt es genau hinzuhören, was die Souveräne im Staat wirklich beschäftigt, um überzeugende Lösungsvorschläge machen zu können. Doch zwischen den Parteien, die sich zur Wahl stellen, und der Mehrheit der Souveräne, die einen Regierungsauftrag erteilen können, klafft eine Lücke. Sie verstehen einander nicht mehr.

Warum ist das so, und warum wird die Lücke eher größer als kleiner? Nach meiner Beobachtung liegt dies vor allem an zwei Phänomenen:

    Als Bürger habe ich den Eindruck, dass Parteien sich zu viel mit sich selbst und zu wenig mit den Menschen beschäftigen, die als Souveräne unser Land ausmachen.Als Bürger habe ich den Eindruck, dass die erlassenen Gesetze zunehmend einschränken, statt zu ermöglichen. Deshalb nimmt die Kompliziertheit im Leben zu, die Kosten steigen, Initiativen erlahmen, und statt selbst die Ärmel hochzukrempeln, wird der Ruf nach dem Staat immer lauter.

Vier Reformideen für die Gesetzgebung

Folgende vier Ansätze könnten im Zusammenspiel helfen, Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Herausforderungen anzupacken:

    Eine Verlängerung der Legislaturperioden von vier auf sechs Jahre in Bund und Ländern. Damit würde mehr Zeit zur Verfügung stehen, um grundlegende Reformen zur Wirkung kommen zu lassen, bevor sie im folgenden Wahlkampf zerpflückt werden.Eine zeitliche Begrenzung aller Wahlmandate in Legislative und Exekutive auf zwei Amtsperioden. Mit dieser Maßnahme würden mehr Menschen in Wahlämter gelangen, die außerhalb des Politikbetriebs Erfahrungen gesammelt haben. In Parteien würde mehr Bewegung kommen, und die Zusammensetzung der Parlamente würde die Gesellschaft besser widerspiegeln.Eine Reform der Diäten in der Legislative, die sich entweder danach richtet, was die Kandidaten in den drei vorhergehenden Jahren im Schnitt verdient haben, oder danach, was sie im Wahlkampf selbst benennen. Die Folge solch einer Veränderung wäre, dass mehr Menschen mit praktischer Berufserfahrung in unseren Parlamenten vertreten wären.Eine konsequente Anwendung der sogenannten Sunset-Klausel – also eine zeitliche Befristung – auf alle Gesetze, damit sie die beabsichtigte Wirkung erzielen. Alle Gesetze würden mit einem jeweils sinnvollen Verfallsdatum und einem zwingenden Wiedervorlagedatum versehen. Bei Wiedervorlage entscheidet die Legislative, ob das Gesetz ausläuft oder ob es verlängert oder verändert werden soll. Statt immer wieder zusätzliche Gesetze zu erlassen, würde der Bestand an Gesetzen permanent aktualisiert.

Eine kontroverse Diskussion dieser Vorschläge würde uns weiterbringen. Dabei würden sicher auch Gründe genannt, warum das alles nicht gehe. Doch das gehört dazu. Denn eine Demokratie ist vor allem dann lebendig, wenn Kontroversen erwünscht sind.

Und am Ende gilt, dass immer ein Weg gefunden werden kann, wenn uns ein Ziel wirklich wichtig ist. Denn wer will, findet Wege. Und wer nicht will, findet Gründe. Das gilt für Unternehmen und das gilt für unser Land.

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Der Autor: Christoph Werner ist Vorsitzender der Geschäftsführung von dm.

Mehr: Wie Klingbeil, Esken und Baerbock das Leistungsprinzip aushebeln – ein Kommentar

Erstpublikation: 21.03.2025, 04:12 Uhr.

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