Prüfers Kolumne: Die unerträgliche Erreichbarkeit des Seins

Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des „Zeit-Magazins“.
Wenn nun die Urlaubszeit ansteht, stellt sich für viele Menschen wieder die Frage, wie erreichbar sie sein möchten. Oder angeblich sein müssen. Der Technologie-Branchenverband Bitkom hat erfragt, dass zwei Drittel der Arbeitnehmer im Urlaub tatsächlich erreichbar sind. Das sind ganz schön viele.
Nur 34 Prozent schalten komplett ab. Die meisten kann man per WhatsApp, SMS oder telefonisch im Urlaub stören. Das bedeutet auch, dass die allermeisten Abwesenheitsmails, die davon handeln, dass man „nicht erreichbar“ sei, eine E-Mail „nicht weitergeleitet“ werde und man „keine E-Mails“ lese, gelogen sind. In Wirklichkeit folgen uns die Mails überall auf der Welt hin.
Wie sollte es auch anders sein: Wenn Leute wirklich ihr Smartphone abschalten, dann sind sie ja nicht nur ohne ihre Mails und Messages, sie sind auch ohne Kamera und Kartenmaterial, Navigation, Wetterbericht und Übersetzer. Ohne Smartphone unterwegs zu sein ist also so ähnlich, wie in der Wildnis ausgesetzt zu werden. Man lässt alles hinter sich und kann noch nicht einmal mit dem Pflanzenscanner prüfen, ob diese köstlich aussehenden Beeren vielleicht giftig sind.
Außerdem wird die Welt durch das Smartphone ja erst richtig schön. Denn, ganz ehrlich, so toll ist der Anblick der blauen See auf Dauer auch nicht. Die Urlaubswelt sieht meist nur wirklich gut aus, wenn man sie auf Instagram mit ein paar Filtern belegt. Und dann kann man sie auch gleich als Insta-Story produzieren.
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Die Menschen zu Hause wollen doch wissen, wie schön man es hat. Und vor allen will man sich für all die unverschämten Fotos von blauen Lagunen rächen, die die Kollegen in ihren Urlauben gepostet haben. Man schreibt dann am besten dazu: „Und ihr so?“ und ergötzt sich am Neid in den Kommentaren.
Und: Was hat man denn davon, in Antalya zu sitzen, wenn man nicht ständig vor Augen hat, dass es dort viel, viel schöner ist als zu Hause? Deshalb ist es ungemein wichtig, auch im Urlaub eng mit der Heimat verbunden zu sein. Man braucht unbedingt den Wetterbericht von zu Hause, der hoffentlich von Regenstürmen und Hagel zeugt. Man braucht schlechte, stressige Nachrichten, die für einen selbst gerade weit, weit weg sind.




Und natürlich braucht man all die Mails. Ansonsten kann man doch gar nicht sehen, mit was man sich gerade zum Glück nicht beschäftigen muss. Nichts ist entspannter, als die Kollegen beim Arbeiten beobachten zu können.
Und wenn man wieder zu Hause ist, erzählt man jedem, man müsse sich jetzt erst mal eine Woche durch das Postfach pflügen. Man habe ja gar nichts mitbekommen. Das ist zwar auch gelogen, aber ein paar entspannte Tage im Büro nach so einem anstrengenden Urlaub müssen ja erlaubt sein.





