Gastkommentar – Global Challenges: Frankreichs neue Regierung ist zum Erfolg verdammt
Frankreich hat eine neue Regierung. Mal wieder. Mit Gabriel Attal als Premierminister setzt Präsident Emmanuel Macron auf einen seiner treuesten Mitstreiter und versucht, durch weitere Personalentscheidungen die Regierung stärker im konservativen Spektrum zu verankern. Politisches Gewicht hat der 34-jährige Attal kaum, aber er ist in der Bevölkerung beliebt.
Trotz einer starken Präsidentschaft ist das politische System Frankreichs instabil, Macron hat seit 2022 mit einer fehlenden Mehrheit im Parlament zu kämpfen. Regierungswechsel dienen dem Präsidenten als Ventil bei sinkender Popularität. Seit 1958 gab es in Frankreich 39 Regierungen, die durchschnittlich wenig mehr als anderthalb Jahre im Amt geblieben sind. Nur Italien hat in Europa instabilere Verhältnisse.
Nach einer schwierigen Einwanderungsdebatte will Macron im Europawahljahr eine neue Dynamik schaffen und nutzt dafür die Beliebtheit von Attal, den viele vor allem als ehemaligen Regierungssprecher zu schätzen lernten. Die positiven Umfragewerte nach der Ernennung bestätigen Macron in seinem Schachzug. Der Effekt könnte aber schnell verpuffen, denn eine Lösung für die drängendsten Probleme des Präsidenten bietet der Premierministerwechsel nicht.
Macron hat keine Lösung für seine größte Herausforderung
Da wäre zum einen die fehlende Mehrheit im Parlament, die durch inhaltliche Verrenkungen, punktuelle Arrangements oder den höchst unpopulären Artikel 49.3 der Verfassung umgangen wurde. Letzterer ermöglicht eine Gesetzesverabschiedung ohne Zustimmung des Parlaments, setzt die Regierung aber einem Misstrauensvotum aus.
Damit ließ sich bisher einigermaßen regieren, doch der Preis war hoch. Die eigene Basis bröckelt: Zuletzt verweigerten 59 Abgeordnete aus den eigenen Reihen dem umstrittenen Einwanderungsgesetz die Zustimmung. Ein Misstrauensvotum infolge der nicht minder umkämpften Rentenreform im Frühjahr 2023 scheiterte haarscharf an neun Stimmen.
Gabriel Attal ist jemand, der weder die linke noch die rechte Mitte abschreckt. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass er trotz der polarisierten Stimmung einen belastbaren Draht zur Opposition aufbauen könnte.
Der ohnehin schwachen Mitte-links-Opposition ist der Regierungskurs viel zu rechts, die zunehmend rechten Konservativen sind intern zerstritten und darüber verärgert, dass der Präsident ihnen wiederholt Personal abspenstig macht – die neue Kultusministerin Rachida Dati stammt aus ihren Reihen und wurde umgehend von der Partei ausgeschlossen.
Auch ist unklar, wie der Präsident die nächsten Jahre gestalten will. Das dünne Wahlprogramm von 2022 ist weitgehend abgearbeitet. Was sich hinter den Schlagworten „Wiederbewaffnung und Regeneration“ verbirgt, bleibt noch zu definieren. Diese gefährliche Leere, die Ungewissheit über das nächste Ziel, für das es sich zu kämpfen und durchzuhalten lohnt, nährt die Spekulationen über die Zeit nach Macron.
Der Präsident kann kein drittes Mal in Folge antreten. Die Frage nach seiner Nachfolge ist medial omnipräsent, als stünden nicht erst noch satte dreieinhalb Jahre Amtszeit vor ihm. Wenn Emmanuel Macron nicht zur „lame duck“ werden will, muss klar werden, wo er hinwill und wer sein Erbe fortführen wird.
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Vielleicht motivierte ihn genau diese Überlegung dazu, Attal zu ernennen, der damit deutlich an Statur gewinnt. Das ist jedoch eine riskante Wette: Die „Hölle von Matignon“, wie Attals neuer Amtssitz gerne genannt wird, hat schon mehr als einen Premier politisch verbrannt.
Die Europawahl wird der erste Test für Macron
Die Regierung Attal wird in wenigen Monaten ihren ersten Stimmungstest bestehen müssen. Am 9. Juni wird das Europäische Parlament neu gewählt, die Umfragen sind für die Regierungsparteien schlecht.
Sie liegen zehn Prozentpunkte hinter dem rechtsextremen Rassemblement National zurück, alle rechtsextremen Parteien zusammen kommen gar auf 38 Prozent der Stimmen. Attals rhetorische Fähigkeiten und seine Kämpfernatur werden mehr als gefragt sein, um die Stimmung zu drehen und die eigene Liste zu stärken.
Eine deutliche Niederlage wäre für Macron ein schwerer Schlag. Den Joker des Premierministerwechsels hat er bereits ausgespielt, rasch einen erneuten Kurswechsel zu verkünden wäre unglaubwürdig. Für die Europäische Union wäre es eine Katastrophe, wenn ihre zweitgrößte Volkswirtschaft fortan politisch gelähmt und auf das Wahljahr 2027 blickend mit sich selbst beschäftigt wäre.
Frankreich hat sich seit dem Beginn von Macrons Amtszeit als Initiator europäischer Projekte gesehen, Macron ist im Europäischen Rat vom Dienstalter und Einfluss her ein Schwergewicht. An Frankreich vorbei ist eine dynamische EU-Politik nur schwer zu erreichen.
Premier Attal ist damit zum Erfolg verdammt. Er muss es schaffen, die gesellschaftliche Mitte gegen das Rechtsaußenlager zu vereinen. Ob er dieser Herkulesaufgabe gerecht wird, zeigt sich schon bald – und wird in Europa zu spüren sein.
Die Autoren:




Cornelia Woll ist Professorin für internationale politische Ökonomie und Präsidentin der Hertie School in Berlin.
Yann Wernert ist Policy Fellow am Jacques Delors Centre der Hertie School.
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