Gastkommentar: Karenztage könnten die Krankmeldungen verringern

Die Zahl der Krankmeldungen von Beschäftigten in Deutschland ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Fehlzeiten lagen 2023 mit 15,1 Krankheitstagen pro Beschäftigten auf einem Rekordniveau. Im Jahr 2007 waren es nur 8,1 Tage.
Die Krankheitstage haben sich seitdem also fast verdoppelt. 2024 könnte einen neuerlichen Anstieg bringen. Das hat zu einer Debatte darüber geführt, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch Karenztage einzuschränken.
Befürworter von Karenztagen verweisen darauf, dass Ausfälle von Arbeitskräften hohe ökonomische Kosten verursachen. Gegner sehen dadurch die Substanz des Sozialstaats bedroht und weisen den Vorwurf, Arbeitsnehmer würden ‚krankfeiern‘, obwohl sie eigentlich arbeiten könnten, empört zurück.
Die Idee, der Gesundheitszustand der Bevölkerung hätte sich so dramatisch verschlechtert, dass man den Anstieg der Krankmeldungen damit erklären kann, überzeugt sicherlich nicht.
Allerdings ist es auch nicht richtig, dass die Arbeitsmoral plötzlich kollabiert ist. Ein Teil des Anstiegs erklärt sich durch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Krankmeldungen werden dadurch statistisch besser erfasst.
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Teilweise hat der Krankenstand dennoch mit Verhaltensänderungen zu tun. Dass Arbeitnehmer in Zeiten niedriger Arbeitslosigkeit und wachsender Arbeitskräfteknappheit sich eher krankmelden, und dass Karenztage dem entgegenwirken, ist empirisch gut belegt.
Die Lohnfortzahlung verringert den Anreiz, eine Erkrankung zu verhindern
Aus ökonomischer Sicht stellt sich bei jeder Versicherung die Frage, ob es zu unerwünschten Verhaltensänderungen kommt, auch bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Wer gegen einen Schaden abgesichert ist, wird weniger dafür tun, den Schadenfall zu verhindern. Die Lohnfortzahlung verringert den Anreiz, eine Erkrankung zu verhindern, und senkt die Schwelle, sich überhaupt krankzumelden.
Karenztage können dem entgegenwirken, ähnlich wie Selbstbeteiligungen bei anderen Versicherungen. Sie machen es auch weniger attraktiv, sich krankzumelden, obwohl gar keine Krankheit vorliegt. Eine aktuelle Umfragestudie behauptet allerdings, dass ‚Blaumachen‘ nur bei gut sieben Prozent der Beschäftigten vorkomme.
Arbeitnehmer durch Karenztage zu animieren, auch leicht erkrankt am Arbeitsplatz zu erscheinen, hat allerdings nicht nur Vorteile. Beispielsweise können Beschäftigte Krankheiten verschleppen oder andere anstecken. Letzteres kann man allerdings eindämmen, indem Erkrankte, die arbeiten, stärker Homeoffice nutzen oder Masken tragen.
Insgesamt erscheint die Einführung zumindest eines Karenztags angesichts der wachsenden Krankmeldungen, der schlechten volkswirtschaftlichen Lage und der wachsenden Arbeitskräfteknappheit sinnvoll. In Ländern wie Schweden oder Frankreich, die nicht im Verdacht stehen, Arbeitnehmerrechte zu missachten, gibt es ähnliche Regelungen.
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Erstpublikation: 15.01.2025, 03:58 Uhr.





