Gastkommentar – Homo oeconomicus 40 Prozent weniger Rente als Männer – Der Sozialstaat diskriminiert Leistung von Frauen

Typische „Frauenjobs“ - in der Corona-Pandemie gern als systemrelevant deklariert – werden schlechter bezahlt.
Im Jahr 2014 rief der Bundesverband der berufstätigen Mütter in Deutschland (VBM e.V.) den Equal Pension Day als Aktionstag ins Leben. Während der Equal Pay Day jedes Jahr im März darauf hinweist, dass eine Frau – statistisch gesehen – im Durchschnitt fast drei Monate länger arbeiten muss, um das gleiche Gehalt wie ein Mann zu verdienen, fiel der Equal Pension Day 2016, als er zum letzten Mal für Deutschland berechnet wurde, auf den 4. August. Das Datum markiert den Tag, an dem Männer bereits so viel Rentenansprüche erarbeitet haben wie Frauen erst am Jahresende.
In unserem Nachbarland Österreich fiel dieser Tag 2021 auf den 1. August. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich der Equal Pension Day dort vom 31.7. um einen Tag nach hinten verschoben, also „verbessert“. Das klingt gut, heißt aber auch, dass es bei diesem Tempo noch 107 Jahre dauert, um gleich hohe Renten zu erreichen.
Dass Frauen im Durchschnitt in beiden Ländern über 40 Prozent weniger an Altersrente beziehen als Männer, hat verschiedene Gründe: Die unbezahlte Carearbeit in der Familie wird immer noch ganz überwiegend von Frauen übernommen, sodass ein Teilzeit- oder Minijob mittlerweile fast zur Norm unter Müttern geworden ist – trotz ihrer guten Bildungsabschlüsse.
Die in Deutschland und Österreich bestehenden Sozialversicherungssysteme – ausgerichtet auf eine vollzeiterwerbstätige Person ohne Lücken in der Erwerbsbiografie – bestrafen jede Abweichung von dieser Norm.
Am Ende haben Frauen im Durchschnitt zehn Beitragsjahre weniger als Männer, größtenteils bedingt durch betreuungsbedingte Erwerbsunterbrechungen für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige.
Dazu kommt noch die Lohnlücke, die dafür sorgt, dass die durchschnittlichen Bruttolöhne von Frauen immer noch um ungefähr 18 Prozent unter denen der männlichen Kollegen liegen. Typische „Frauenjobs“ - in der Corona-Pandemie gern als systemrelevant deklariert – werden schlechter bezahlt.
„Unterbrechungsbedingter Humankapitalverlust“
Schließlich werden Erwerbsunterbrechungen in der Sprache der Mikroökonomie als „unterbrechungsbedingter Humankapitalverlust“ eingestuft, was dann als Begründung für eine Absenkung des Einkommens beim beruflichen Wiedereinstieg der Mütter herhalten muss.

Uta Meier-Gräwe war bis 2018 Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Beraterin der Bundesregierung.
Wie bitte? Mütter, die ihren Kindern das Laufen und Sprechen beibringen, Bindungssicherheit aufbauen, die nächste Erwerbsgeneration heranziehen und tagein, tagaus versorgen, generieren einen Verlust an Humankapital?
Der US-amerikanische Ökonom J. Kenneth Galbraith hatte mit seiner sarkastischen Einschätzung vollkommen recht, dass die im Zuge des Übergangs zur Industrialisierung vollzogene Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse des Mannes „eine ökonomische Leistung ersten Ranges“ war. Die Zustimmung zu diesem ungeheuerlichen Deal der Architekten der Nationalökonomie sollten wir endlich aufkündigen und überwinden.
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