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Gastkommentar – Homo oeconomicusIn der Anerkennungsfalle: Beifall allein reicht Pflegekräften und Erziehern nicht

Von Betreuenden wird erwartet, dass sie rein intrinsisch motiviert sind. Das ist schlecht für die Betreuenden und die Betreuten, gibt Ina Praetorius zu bedenken. 11.08.2021 - 10:04 Uhr Artikel anhören

Arbeitende im Care-Bereich, die Lohnforderungen stellen, laufen systematisch Gefahr, die moralische Hochachtung zu verlieren.

Foto: dpa

Es gibt gut situierte Eltern, die es normal, ja sogar wünschenswert finden, dass die Nannys oder Kita-Angestellten, denen sie ihre Kinder zur Betreuung überlassen, vergleichsweise wenig Geld verdienen. Solche Eltern sind nicht unbedingt etwa geizig, sondern sie wollen den Nachwuchs in guten Händen wissen.

„Gute Hände“, das sind in diesem Fall Hände von Menschen, die nicht aus Eigeninteresse, sondern aus Liebe handeln. Was man sich für die Kleinen wünscht, ist also vor allem ein Umfeld, in dem Idealismus statt Berechnung die Umgangsformen bestimmt.

Der Soziologe Stephan Voswinkel nennt das Dilemma, in das im postpatriarchalen Durcheinander nicht nur Kinderbetreuer und -betreuerinnen, sondern tendenziell alle Berufsleute im personenbezogenen Dienstleistungssektor geraten, eine „Anerkennungsfalle“.

Beispielhaft dafür ist der schon fast sprichwörtliche Applaus von den Balkonen, mit dem viele Menschen zu Beginn der Corona-Pandemie ihre moralische Hochachtung für das Pflegepersonal zum Ausdruck brachten.

Auch diese symbolische Respektbekundung ging oft gerade nicht einher mit Forderungen nach höheren Löhnen für die Pflegenden. Im Gegenteil: Wenn Pflegearbeiter und -arbeiterinnen – ganz überwiegend sind es Frauen – Ansprüche stellten, wurden sie oft mit der latenten Erwartungshaltung konfrontiert, sie sollten, wie die Nannys in den Kinderstuben der Reichen, ihre Arbeit weiterhin in der Tradition hingebungsvoller Mütterlichkeit als „Liebesdienst“ verstehen.

Ina Praetorius ist evangelische Theologin und Autorin von „Wirtschaft ist Care“.

Foto: Katja Nideröst

Durch Forderungen moralische Hochachtung verlieren

Liebesdienste zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Gegengewicht zum „feindlichen Leben“ hart kalkulierter Eigeninteressen bilden. Sie sollen das durchrationalisierte Regelwerk der „eigentlichen“ Wirtschaft kompensatorisch mit der lebensnotwendigen Substanz erfüllen, die man „Sinn“ nennt.

Arbeitende in dem Bereich, die Lohnforderungen stellen, laufen deshalb systematisch Gefahr, die moralische Hochachtung zu verlieren, die auf ihrer (vermeintlich) unbezahlbaren Funktion als mütterlich-mitmenschliche Sinnstifterinnen beruht. Deshalb verzichten viele von ihnen lieber auf die Klarstellung und Durchsetzung ihrer eigenen Interessen. Die Falle schnappt zu: Prekarität ist programmiert.

Voswinkel sieht die Lösung des Dilemmas in einer Form von Interessenvertretung, die nicht nur auf die Besserstellung der Care-Arbeitenden setzt, sondern die Bedürfnisse der betreuten Kinder, Alten oder Kranken einbezieht, die also kommuniziert, dass nur gute Arbeitsbedingungen für Betreuende langfristig gute Betreuung sichern.

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Das ist eine lebensfreundliche Idee, von der ich mir wünsche, dass sie auch in den Sphären der Vermögenden Verbreitung findet. So sollen auch gut situierte Eltern, die nach eher unmütterlichen Gesetzen ihr Geld verdienen, ihrem Nachwuchs ein Aufwachsen in der Humanität ermöglichen, auf die, genau besehen, nicht nur Kinder und andere „Schwache“, sondern wir alle jederzeit und überall angewiesen sind.

Mehr: Sozialstaat expandiert auch nach Corona – Ökonomen bereitet Blick in die Zukunft Sorge

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