1. Startseite
  2. Meinung
  3. Homo Oeconomicus
  4. Rezession: Vier Gründe, die für eine schwere Wirtschaftskrise sprechen

Gastkommentar – Homo oeconomicusEine schwere Wirtschaftskrise steht bevor – Vier Gründe, die dafürsprechen

Entgegen der Behauptung prominenter Ökonomen ist ein Stopp der Gasimporte nicht verkraftbar, meint Tom Krebs. Er fordert entschlossene Gegenmaßnahmen.Tom Krebs 16.09.2022 - 13:00 Uhr Artikel anhören

Ohne die Energiekrise 2022 hätte laut Krebs eine starke wirtschaftliche Erholung stattgefunden.

Foto: dpa

Die jüngsten Prognosen der Wirtschaftsinstitute haben bestätigt, was viele bereits vermutet hatten: Die Energiekrise drückt die deutsche Wirtschaft in eine Rezession.

So schätzt das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr nach Beginn des Ukrainekriegs – also von April 2022 bis März 2023 – um mehr als zwei Prozent niedriger liegen wird als im gleichen Vorjahreszeitraum. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) ist etwas optimistischer und prognostiziert einen BIP-Verlust von einem Prozent.

Nun sagen einige Ökonomen, dass ein BIP-Rückgang von ein oder zwei Prozent nicht so dramatisch wäre – die Rezession sei sozusagen „handhabbar“. Zudem propagierte eine Gruppe von Wirtschaftsprofessoren, darunter Rüdiger Bachmann, Andreas Peichl und Moritz Schularick, die Position, dass die wirtschaftlichen Folgen hoher Energiepreise durch den Ausfall russischer Gasimporte nicht über einen BIP-Verlust von drei Prozent hinausgehen könnten. Es gibt mindestens vier Gründe, warum solche Thesen irreführend sind.

1. Erholung ohne Energiekrise

Erstens muss berücksichtigt werden, dass ohne die Energiekrise 2022 eine starke wirtschaftliche Erholung stattgefunden hätte. Beispielsweise prognostizierten die fünf führenden Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose noch im April ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent für das Jahr nach Beginn des Ukrainekriegs.

Damit verglichen hat die Energiekrise nach aktuellen Schätzungen zu einem BIP-Verlust von fünf bis sechs Prozent geführt. Die neuen Prognosen widersprechen also deutlich der Einschätzung derer, die als Obergrenze der Auswirkungen eines vollständigen Gas-Importstopps aus Russland einen dreiprozentigen BIP-Verlust propagiert haben.

2. Inflationseffekte müssen berücksichtigt werden

Zweitens sind steigende Energiepreise ein wesentlicher Treiber der Inflation, und es sind gerade die hohen Lebenshaltungskosten, die den Menschen zurzeit die meisten Sorgen bereiten. Eine umfassende wirtschaftspolitische Analyse der Energiekrise muss also immer auch die Inflationseffekte berücksichtigen. Daher greifen einfache BIP-Vergleiche mit der Coronakrise oder Finanzkrise zu kurz. Denn in diesen zwei Krisen waren die Inflationsraten niedrig und zeitweise sogar negativ.

3. Unterschätzung der Energiekrise

Drittens unterschätzen die modellgestützten Prognosen der Wirtschaftsinstitute die wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise. Denn die aktuellen Energiepreisanstiege sind einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Sogar die Turbulenzen während der Ölkrise in den Jahren 1973 und 1974 werden übertroffen.

Tom Krebs ist Professor für Makroökonomie an der Universität Mannheim.

Foto: Alex Kraus/Kapix

Das bedeutet unter anderem, dass die üblichen Modellsimulationen die Auswirkungen stark steigender Energiepreise auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht vollständig erfassen können.

Darüber hinaus berücksichtigen die oben genannten Prognosewerte keine Produktionsverluste, die entstehen können, wenn die energieintensive Industrie die Produktion herunterfährt und dadurch Produktionsketten unterbrochen werden.

4. Dauerhafte Schäden durch neue Wirtschaftskrise

Viertens wird eine neue Wirtschaftskrise dauerhafte Schäden verursachen, die über die Verluste vergangener Rezessionen hinausgehen. Die Energiekrise trifft eine deutsche Industrie ins Mark, die nach zwei Jahren Coronakrise, globalen Lieferkettenproblemen und klimapolitischem Transformationsdruck bereits geschwächt ist.

>> Lesen Sie hier: Rezession ja oder nein, Inflation rauf oder runter? Prognosen von Ökonomen gehen drastisch auseinander

Eine energiepolitische Schocktherapie, wie wir sie derzeit erleben, wird daher dazu führen, dass auch Unternehmen mit an sich tragfähigem Geschäftsmodell die Produktion einstellen oder Europa verlassen.

Verwandte Themen Rezession Konjunktur Wirtschaftspolitik Deutschland Inflation

Diese Überlegungen zeigen, dass Deutschland vor der größten wirtschaftlichen und sozialen Herausforderung seit der Wiedervereinigung steht. Das wahrscheinlichste Szenario ist eine Wirtschaftskrise, die in ihrer Wucht die Coronakrise und die Finanzkrise übertreffen wird.

Bleibt zu hoffen, dass die Politik die Gefahr erkannt hat und mit einem angemessenen Rettungspaket antworten wird. Die bisherigen Entlastungsprogramme sind ein erster Schritt, dem weitere Schritte folgen müssen.

Mehr: Drohende Liquiditätsklemme wird für viele deutsche Firmen zum Risiko

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
remind.me
Jetziges Strom-/Gaspreistief nutzen, bevor die Preise wieder steigen
Anzeige
Homeday
Immobilienbewertung von Homeday - kostenlos, unverbindlich & schnell
Anzeige
IT Boltwise
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Presseportal
Direkt hier lesen!
Anzeige
STELLENMARKT
Mit unserem Karriere-Portal den Traumjob finden
Anzeige
Expertentesten.de
Produktvergleich - schnell zum besten Produkt