Gastkommentar – Homo oeconomicus: FDP-Chef Lindner macht beim CO2-Preis einen Denkfehler

Claudia Kemfert leitet die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ des DIW und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance.
Anfang der Woche rechnete FDP-Chef Christian Lindner medienwirksam vor, was der von den Grünen geforderte CO2-Preis von 60 Euro eine Familie mehr kosten würde als bisher. Er rechnete sehr einfach: Die durchschnittliche Pro-Kopf-Emission in Deutschland beträgt elf Tonnen CO2 pro Jahr. Für eine vierköpfige Familie setzte er deswegen die Formel „elf Tonnen mal CO2-Preissteigerung mal vier Personen“ an. Der Taschenrechner spuckte daraufhin die Zahl 1540 Euro pro Jahr aus.
Damit verband Lindner die Kernbotschaft: Statt durch Planwirtschaft einen Preis festzusetzen, sollte man lieber den Markt entscheiden lassen. Das sei effizienter und billiger.
Doch das ist eine Milchmädchenrechnung oder, besser, eine SUV-Fahrer-Rechnung: Als Beweis von Wirtschaftskompetenz wird vor allem der „Markt“ ins Feld geführt. Doch Lindners Schlussfolgerung hat Denkfehler.
Die CO2-Bepreisung ist nämlich gerade ein Instrument, um Marktgeschehen zu ermöglichen. Es handelt sich nicht um Mehrkosten, sondern um die Sichtbarmachung bereits anfallender Kosten. Die Kosten der klimaschädlichen CO2-Emissionen waren viele Jahre unbepreist und deswegen unsichtbar. Doch schon seit Jahrzehnten steigen die Folgekosten des Klimawandels. Wenn wir so weitermachen wie bisher, könnten sie in den kommenden Jahrzehnten in die Billionen gehen.
Derzeit kann sich der fiktive Familienvater noch darauf verlassen, dass Vater Staat die Kosten jeglicher CO2-Exzesse irgendwann bezahlen wird. Denn die Folgen des fossilen Kavalierstarts von heute zahlen die Generationen von morgen. Weil das immer weniger zu verdrängen ist und die Jugend angesichts dieser Schuldenlast weltweit protestiert, gibt es nach Jahrzehnten der Diskussion endlich Maßnahmen, die Verursacher zur Kasse zu bitten – und zwar nach den Regeln von Angebot und Nachfrage.
Verfügbares CO2-Budget schmilzt immer weiter ab
Um diesen marktwirtschaftlichen Prozess zu starten, gibt es zwei Wege: Man begrenzt das Angebot, oder man setzt einen Preis. Die Angebotsbegrenzung, das zur Verfügung stehende CO2-Budget, errechnet sich naturwissenschaftlich aus der maximalen Emissionsmenge, die mit einer Erderwärmung von maximal 1,5 Grad vereinbar ist. Dieses Budget ist gedanklich die Basis der Verträge von Paris und auch die Grundlage des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts.
Wenn man das Budget schon 2030 aufgebraucht hat, mutet man den Menschen für die Jahre nach 2030 unzumutbare Lasten und – aufgemerkt, liebe FDP! – Freiheitsbeschneidungen zu. Damit Freiheit von heute nicht die Freiheiten von morgen kostet, ist es schlauer, die Kosten von morgen zu den Preisen von heute zu machen.
Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass der nötige CO2-Preis aktuell bei 180 Euro liegt. Und wenn zukünftige Generationen einbezogen werden, sogar bei 680 Euro. Solche Kosten findet nicht nur der Herr Familienvater unzumutbar, sondern vor allem die deutsche Wirtschaft. Um die zu schonen, hat sich die Bundesregierung – nach Jahren der Blockade – vergangenes Jahr entschlossen, einen Preis festzusetzen, der nicht wirklich wehtut.
Die Hoffnung der Regierenden: Im Vorgefühl des wahren Preises würde sich die Wirtschaft besinnen und schnell Maßnahmen ergreifen, um die spätere Kostenexplosion zu vermeiden. Doch für die deutsche Volkswirtschaft sind die Klimafolgekosten gigantisch hoch, und sie steigen weiter, wenn wir zu wenig tun.
Wirklich freier Markt hieße: Wir berechnen Deutschlands Weltanteil am globalen CO2-Budget, welches bei einem „Weiter so“ in sieben Jahren aufgebraucht wäre. Da wir zu lange gezögert haben beim Klimaschutz, schmilzt das verfügbare CO2-Budget immer weiter ab. Damit wird CO2 marktwirtschaftlich schon heute eine Mangelware. Folge: Der Preis würde in die Höhe schießen. Und zwar sofort.
Sogar 60 Euro sind viel zu wenig
Die heutigen 25 Euro oder selbst die von den Grünen geforderten 60 Euro pro Tonne sind also wahre Dumpingpreise. Die Schattenseite: Was heute nicht bezahlt wird, muss morgen beglichen werden. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, muss der CO2-Einstiegspreis bei 80 Euro liegen und zügig auf 180 Euro steigen.
Das ist durch Rückverteilungsmechanismen, etwa eine Klimaprämie, sozial verträglich gestaltbar, wenn statt mit dem Taschenrechner wissenschaftlich seriös gerechnet wird. So muss die Rad fahrende Pflegekraft mit niedrigem CO2-Austoß und niedrigem Einkommen nicht die Emissionen des SUV fahrenden Geschäftsmannes mit Tausenden Flugmeilen quersubventionieren.




Wenn die FDP eine CO2-Preissteigerung verhindern will, widerspricht sie ihrem Markenkern doppelt: Statt freien Markt fordert sie einen Kostendeckel für fossile Energie, statt Freiheit beschert sie der nächsten Generation zwangsweise Einschränkungen.
Lindners Taschenrechnerübung ist weder der Sorge um die bürgerliche Kleinfamilie geschuldet noch dem Mantra vom alles regelnden Markt. Die Liberalen zielen darauf, den Preis künstlich niedrig zu halten und so der eigenen Wählerschaft möglichst lange ihre Profite zu sichern, Klientelpolitik also.
Die Autorin: Claudia Kemfert leitet die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ des DIW und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance.
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