Asia Techonomics: Besser leben auf engem Raum – wie in Japan


Um auf engem Raum leben zu können, haben die Japaner schon vor Jahrhunderten die Wohnform flexibilisiert – und tun dies auch heute noch.
Deutschland leistet sich ein Paradoxon auf dem Immobilienmarkt: Einerseits klagen Menschen in vielen Städten über Wohnungsmangel. Andererseits wird die häusliche Komfortzone immer größer. Im Jahr 2021 wurden laut Statistischem Bundesamt 47,7 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf bewohnt, 1,6 Quadratmeter mehr als zehn Jahre zuvor.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat von ihrer jüngsten Asienreise eine Idee zur Linderung der Not mitgebracht: Wohnungsdeflation plus intelligente Flächennutzung. Vielleicht könnten die Deutschen von Japan lernen, mit weniger Fläche auszukommen, sagte sie beim Besuch eines Projekts in Tokio, das neue Wohnideen erprobt.
In der ältesten Industrienation Asiens stehen jedem Einwohner laut der jüngsten Erhebung im Durchschnitt 14,6 Reisstrohmatten zur persönlichen Entfaltung zur Verfügung, umgerechnet rund 24 Quadratmeter – ein neuer Negativrekord. In Wohnungen waren es sogar nur 19 Quadratmeter. Und das ist für japanische Wohnvorstellungen schon recht ordentlich.
Als Mindestgröße für Einpersonenhaushalte empfiehlt das Ministerium für Land, Infrastruktur und Transport 25 Quadratmeter Wohnfläche. Für Familien gilt die Formel zehn Quadratmeter pro Person plus zehn Quadratmeter. Als „ideal“ werden für Singles 40 Quadratmeter Wohnfläche empfohlen, bei mehreren Personen 20 Quadratmeter pro Person plus 15 Quadratmeter Bonus. Dabei werden die Außenwände zum Teil mitgezählt.
Nur wird dieser auch räumlich bescheidene Idealzustand gerade in den extrem dicht besiedelten Millionenmetropolen Japans meist nicht erreicht, weil Wohnraum in den zentralen Bezirken noch teurer ist als in Deutschland. In Yokohama beispielsweise müssen 68 Prozent der vierköpfigen Familien mit weniger Fläche auskommen.
Flexible Wohnideen haben Tradition
Viele Familien drängen sich in den weitgehend standardisierten „3LDK“-Wohnungen, die sich etabliert haben. LD steht für „living and dining room“, K für „kitchen“. Das bedeutet in der Regel 68 bis 76 Quadratmeter Wohnraum, verteilt auf drei kleine Zimmer, ein größeres Wohn- und Esszimmer und die heutzutage meist offene Küche mit Tresen, die den Ess- und Wohnraum optisch vergrößert.
Als menschenwürdiges Zimmer gilt bereits eine kleine Kammer, die mit 4,5 Standard-Tatamis ausgelegt werden kann. Eine Reisstrohmatte von etwa 1,80 Meter Länge und 90 Zentimeter Breite entspricht offiziell etwa 1,65 Quadratmetern. Das sind also 7,4 Quadratmeter.

In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Um auf so engem Raum leben zu können, haben die Japaner schon vor Jahrhunderten ihre Wohnform flexibel gestaltet – und tun dies auch heute noch. Traditionell schläft man auf Futons, die nachts auf Reisstrohmatten ausgerollt werden. Nach dem Aufstehen werden die Futons in einem großen Einbauschrank, einem „oshi-ire“, verstaut.
In der Regel hat jedes Zimmer außer dem Wohnzimmer einen solchen Schrank, der oft auch als Stauraum für Wäsche und andere Gegenstände dient. Denn japanische Wohnungen haben in der Regel weder Keller noch Dachboden. Wer mehr braucht, als in die Wohnung passt, kann sich außerhalb der Behausung Lagerraum mieten.
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In modernen Wohnungen wird der „oshi-ire“ inzwischen häufig durch begehbare Schränke ersetzt, da immer mehr Japaner Betten bevorzugen. In kleinen Kinderzimmern sind dann Hochbetten Mode, die unter dem Bett Platz zum Spielen oder für den Schreibtisch bieten.
Auch das ist ein alter Trick für flexible Nutzung, der sich bis heute gehalten hat: Neben dem Wohnzimmer befindet sich meist ein weiterer Raum mit 4,5 bis acht Tatami-Matten, der nur durch Schiebetüren abgetrennt ist. Öffnet man sie, erweitert sich das Raumgefühl.
Weitere Teile der Serie Asia Techonomics:
Die Hightech-Variante des flexiblen Wohnens auf engstem Raum erlebte die deutsche Bauministerin in Tokio: Ein automatisch verschiebbarer Einbauschrank verwandelte das Wohnzimmer auf Knopfdruck in ein kleines Esszimmer und ein noch kleineres Schlafzimmer.
Beliebt ist auch der relativ kostengünstige Umbau eines alten Hauses. Dies wird zum einen durch die in Japan übliche Leichtbauweise erleichtert. Zimmerwände werden nicht gemauert oder gegossen, sondern bestehen nur aus Rigipsplatten, die auf ein Holzständerwerk genagelt werden.
Auch Türen können ohne große Gewissensbisse ausgetauscht werden, da sie meist nicht aus edlem Holz bestehen, sondern aus mit Fotopapier oder Furnier beklebten Pressholzrahmen. Weitgehend standardisierte und damit in Serie produzierte Bäder und Küchen senken zudem die Renovierungskosten.




Dabei kommt Japan zugute, dass es anders als in Deutschland keine echten Altbauten gibt, die Maßanfertigungen erfordern. Einfamilienhäuser werden im Durchschnitt nach 30 Jahren ersetzt, Mehrfamilienhäuser nach 50 bis 60 Jahren. Das ist nicht unbedingt nachahmenswert, wohl aber der Bau kleinerer und flexiblerer Wohnungen.
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