Asia Techonomics: Was die Reichenliste über Chinas Wirtschaft verrät
In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Foto: Klawe RzeczySeit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping 2021 seine Vision des „Wohlstands für alle“ proklamiert hat, fürchten Superreiche im Land um ihren Wohlstand.
In keiner Metropole der Welt leben mehr Milliardäre als in Chinas Hauptstadt Peking, dem Machtzentrum der herrschenden Kommunistischen Partei. Insgesamt gibt es im selbst ernannt sozialistischen Staat fast eintausend Milliardäre, mehr als in jedem anderen Land – sei es auch noch so kapitalistisch.
Diese Superreichen beugen den Umverteilungsplänen der Partei jetzt vor: In diesem Jahr, da die Grenzen nach drei Jahren strikter Corona-Abschottung wieder geöffnet sind, werden 13.500 Menschen mit einem Vermögen von mehr als einer Million US-Dollar die Volksrepublik verlassen. Das prognostiziert die Beratungsfirma Henley & Partners, die die sogenannten High Net Worth Individuals bei derartigen Umzügen unterstützt (Motto: „Wohnsitz und Staatsbürgerschaft durch Investitionen“). In keinem anderen Land ist die Fluchtbewegung so groß wie in China.
Schon im vergangenen Jahr haben 10.800 Superreiche ihr Geld außer Reichweite des eigenen Staats gebracht. Die hohe Zahl überrascht. Denn für das gemeine Volk der Republik, Laobaixing, wie es in China heißt, galt während der Pandemie doch de facto ein Reiseverbot.
Aber selbst im sozialistischen China sind eben einige gleicher als andere. Die strikten Kapitalverkehrskontrollen, die eine derartige Flucht verhindern sollen, scheinen jedenfalls kein Hindernis für die chinesischen Dagoberts zu sein.
Die Berater von Henley & Partners vermuten hinter der Abwanderungsbewegung, die sie als „bedenklich“ bezeichnen, das langsamere Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Die Zeit der hohen Wachstumsraten zwischen 2000 und 2017, in der viele zu enormem Reichtum gekommen sind, sei vorbei. Zuwächse bei Vermögen wie auch bei Neumillionären nennen die Berater nun „vernachlässigbar“.
Alibaba-Gründer Jack Ma rutscht ab
Wer die Bewegungen auf Chinas inoffizieller Reichstenliste, dem „Hurun-Report“ analysiert, findet weitere Hinweise auf andere Ursachen der Fluchtbewegung. Die massiven staatlichen Eingriffe im Tech-Sektor und in der Immobilienbranche haben auch hier deutliche Spuren hinterlassen.
Der Alibaba-Gründer ist einer der reichsten Chinesen – und einer der prominentesten reichen Chinesen, die zumindest zwischenzeitlich das Land verlassen haben.
Foto: APAlibaba-Gründer Jack Ma, jahrelang Chinas reichster Mann, schaffte es 2022 gerade noch unter die Top Ten. Im Zuge des Tech-Crackdowns war der Börsenwert seines Plattformkonzerns zeitweise um 70 Prozent gegenüber dem Hoch im Jahr 2020 eingebrochen.
Inzwischen hat das Unternehmen seine Aufspaltung bekannt gegeben. Ma zog sich, vermutlich nicht ganz freiwillig, aus dem operativen Geschäft zurück und lebte zeitweise im Ausland. Auch Tencent-Chef Pony Ma bekam die Auswirkungen der Tech-Regulierung in seinem Vermögensportfolio zu spüren, verteidigte jedoch seinen Platz als zweitreichster Mann Chinas.
Wie kein anderer profitierte Pinduoduo-Gründer Colin Huang davon, dass Chinas Aufseher die Marktmacht der Tech-Riesen eindämmten. Der Onlinehändler Pinduoduo ist inzwischen die Nummer drei hinter Alibaba und JD.com und expandiert mit Temu rasant in den USA. Letzteres zieht jedoch zunehmend den Unmut des US-Kongresses auf sich.
Wie unbequem es werden kann, wenn man zwischen die Fronten des sich zuspitzenden Konflikts zwischen China und den USA gerät, bekam 2022 Bytedance-Gründer Zhang Yiming zu spüren. Der Multimilliardär rutschte von Platz drei auf Platz vier ab. Der sagenhafte weltweite Erfolg der App Tiktok, einer Tochter seines Social-Media-Imperiums, ist den US-Gesetzgebern nicht geheuer. Sie wollen einen Zwangsverkauf erwirken und drohen andernfalls mit einem Verbot.
Weitere Kolumnen der Reihe Asia Techonomics:
Doch zu den größten Verlierern zählen die Immobilientycoons, von denen einige sogar aus der Milliardärsliste rutschten. Der Versuch der chinesischen Staatsführung, der maßlosen Spekulation in der Branche Einhalt zu gebieten, hat zu einer anhaltenden Krise im Immobiliensektor geführt.
Letzterer trug in der Vergangenheit nicht nur einen veritablen Anteil zum Wirtschaftswachstum der Volksrepublik bei. Angesichts hoher Wertzuwächse und fehlender Alternativen war Wohneigentum auch über Jahre hinweg der mit Abstand beliebteste Weg zum Vermögensaufbau. Schätzungen zufolge stecken rund drei Viertel des Privatvermögens in Immobilien.
Da diese nun vielerorts auf absehbare Zeit nicht mehr an Wert steigen dürften, investieren immer mehr Reiche lieber in einen ausländischen Pass – und suchen ihr finanzielles Glück außerhalb der Landesgrenzen. Viele zieht es dabei in den autokratischen, kapitalistischen Stadtstaat Singapur. Mit freundlicher Unterstützung von Firmen wie Henley & Partners.
In der Kolumne Asia Techonomics schreiben Sabine Gusbeth, Dana Heide, Martin Kölling und Mathias Peer im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in der dynamischsten Region der Welt.