Asia Techonomics: China setzt bei der Pandemie-Bekämpfung auf ein Code-System – doch das kann sich irren
In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Foto: Klawe RzeczyPeking. Zwei bis drei Wochen Quarantäne in einem Hotelzimmer ohne Ausgang – das muss jeder, der derzeit nach China einreisen will, über sich ergehen lassen. Je nach Stadt und Flug ist das Zimmer, in dem man 14 bis 21 Tage und Nächte verbringen muss, zehn bis 30 Quadratmeter groß. In manchen Fällen hat es einen Balkon, in den meisten nur ein Fenster, das nicht zu öffnen ist. Wer die Zeit abgesessen hat, so der Deal, darf wieder normal am Leben im nahezu covidfreien China teilnehmen.
Doch was, wenn die Rechnung nicht aufgeht, weil die Technik spinnt? China setzte bereits kurz nach Ausbruch der Pandemie auf sogenannte digitale Gesundheitscodes, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Inzwischen ist die Zahl der dazugehörigen Apps in der Volksrepublik absurd hoch. Fast jede Stadt und jede Provinz in dem 1,4 Milliarden Einwohner großen Land hat eine eigene, daneben gibt es noch eine vom chinesischen Staatsrat.
Die Mini-Programme, die Nutzerinnen und Nutzer zum Beispiel innerhalb der weit verbreiteten Messenger-App Wechat installieren können, gehören inzwischen zum Alltag. Sie zeigen an, wo jemand in den vergangenen Wochen war. Wenn man sich in einem Hochrisikogebiet aufgehalten hat – in China sind das meist Städte, in denen sich von mehreren Millionen Menschen ein paar Hundert mit dem Virus infiziert haben –, gibt der Code auf dem Handy ein Warnsignal und leuchtet etwa gelb. Dann darf man zum Beispiel erst wieder nach Peking einreisen, wenn man 14 Tage abgewartet hat und der Code wieder grün ist.
Abgesehen von dem grundsätzlichen, tiefen Eingriff in die Freiheitsrechte der Einwohner Chinas ist der Code fehleranfällig. Insbesondere zu Beginn der Krise gab es immer wieder Probleme mit der Software. Im Internet suchten verzweifelte Bürger Hilfe, weil ihr Code ohne ersichtlichen Grund von Grün auf Gelb oder gar Rot umgesprungen war. Obwohl sie ihre Stadt nie verlassen und auch nicht in Hochrisikogebieten gewesen waren, durften sie auf einmal nicht einmal mehr in den Park oder in ihr Büro gehen, weil sie dort einen grünen Code hätten vorzeigen müssen.
Auch heute noch, im zweiten Jahr der Coronapandemie, ist das System fehleranfällig. Das musste ich erst vor Kurzem am eigenen Leib erfahren. Nach drei Wochen erfolgreich abgeschlossener Quarantäne in einem Hotel in Qingdao im Anschluss an einen Aufenthalt in Deutschland hätte mein Health-Code aus Peking eigentlich am Tag meiner Entlassung sofort von allein auf Grün umspringen müssen. Bei manchen meiner Quarantäne-Nachbarn funktionierte das auch – bei anderen nicht.
Gründe für fehlerhafte Codes sind undurchsichtig
Das betreuende Hotelpersonal riet uns daher dringend davon ab, am Ende der Quarantäne mit dem Zug zurück in unsere Wohnorte zu fahren – denn im Gegensatz zum Flughafen werde am Bahnhof zwingend die Vorlage des Codes verlangt, hieß es. Drei Wochen Quarantäne, rund ein Dutzend Nasen- und Rachenabstriche und zwei Bluttests, die alle negativ waren – und frei ist man dennoch nicht, weil der digitale Code einen falschen Status anzeigt.
Die Behörden haben sich inzwischen auf die Probleme eingestellt. Chinaweit kann man die Nummer „12345“ wählen, und am anderen Ende der Leitung versuchen sehr nette Mitarbeiter, den Fehler zu finden. In manchen Fällen aber hilft auch das nicht.
Bei mir hat es einen Tag nach dem offiziellen Ende meiner Quarantäne dann doch geklappt. Das System sei angeblich durcheinandergekommen, weil ich zwei Telefonnummern in China habe, hieß es. Ob es am Ende wirklich daran lag, werde ich wohl nie erfahren.
Bei anderen war der Code auch Tage nach dem eigentlichen Ende der Quarantäne immer noch nicht grün – warum, weiß man nicht. „12345“ konnte jedenfalls nicht helfen. Im Alltag muss man dann hoffen, dass man nicht nach dem Code gefragt wird – und im Zweifel ganz analog einen ausgedruckten Zettel vorlegen, der die absolvierte Quarantänezeit bescheinigt.
Eines bleibt als Lehre: China ist gut darin, Dinge einfach mal auszuprobieren. Solange man nicht auf ein Produkt angewiesen ist, ist das auch spannend und interessant. Wo weltweit vielerorts noch gehadert wird, kann man sich zum Beispiel in der Volksrepublik schon fast in jeder reichen Megastadt von autonom fahrenden Autos kutschieren lassen. Doch die Experimentierfreude macht eben auch vor Programmen nicht Halt, die das Potenzial haben, so massiv in die Leben der Menschen einzugreifen wie die Health-Code-Apps. Und spätestens da wird die Experimentierfreude zum Problem.