EU-Kolumne: Könnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fallen?

Straßburg. Es war eine Nachricht, die Brüssel aufhorchen ließ. Einen Tag vor Amtsantritt kündigte der Europaabgeordnete Markus Pieper (CDU) an, das Amt des neu geschaffenen Mittelstandsbeauftragten nicht antreten zu wollen. Das Handelsblatt hatte exklusiv darüber berichtet.
Pieper soll nach Informationen des Handelsblatts bereits auf dem Weg nach Brüssel gewesen sein, als er diese Entscheidung traf. Grund dafür waren wohl Unstimmigkeiten zwischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU) und einem ihrer wichtigsten Kommissare, dem liberalen Franzosen Thierry Breton, zuständig für den Binnenmarkt.
Pieper hätte ein lukrativer Topjob erwartet. Als Mittelstandsbeauftragter wäre er durch die EU gereist, hätte sich mit Unternehmern kleiner und mittelständischer Betriebe getroffen und deren Anliegen an oberster Stelle vorgetragen. Angesiedelt ist das Amt direkt unter der Kommissionspräsidentin und dem Binnenmarktkommissar. Eine der Hauptaufgaben: Abbau der Bürokratie, gegen die Pieper selbst während seiner Zeit als Europaabgeordneter immer wieder gewettert hatte.
In Brüssel reagierte man daher überrascht auf Piepers kurzfristige Absage. Und stellte sich noch eine andere Frage: Was bedeutet seine Entscheidung für die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die gern für fünf weitere Jahre die EU-Kommission leiten würde?
Denn von der Leyen selbst hatte Pieper auf Druck ihrer eigenen Partei, der konservativen EVP-Fraktion, ins Amt gehoben. Diese hatte zunehmend die Klimaschutzgesetze der EU, den sogenannten Green Deal, kritisiert – und damit den Wahlkampf eingeleitet.
Von der Leyen kam eigener Partei entgegen
Damit die EVP sie trotzdem als Spitzenkandidatin aufgestellt hat, soll von der Leyen ihrer Partei bei deren Forderungen entgegengekommen sein. Dazu gehört ein Überdenken des bereits beschlossenen Verbrenner-Aus ab 2035 – und die Lösung eines konkreten Problems der CDU in NRW.
Auf der Landesliste der CDU in Nordrhein-Westfalen fanden sich nämlich zu viele Männer – wobei die CDU von diesem Jahr an die Listen gern paritätisch besetzen wollte. Um das Problem zu lösen, musste die CDU für einen der Abgeordneten einen neuen Job finden und schlug Pieper als KMU-Beauftragten vor.
Der Clou: Im schriftlichen Teil des Auswahlverfahren unterlag Pieper zwei weiblichen Amtsanwärterinnen – doch von der Leyen entschied sich dennoch für den CDU-Politiker. Als das an die Öffentlichkeit kam, kritisierte Breton gemeinsam mit drei weiteren Kommissaren, den Sozialdemokraten Paolo Gentiloni (Wirtschaftskommissar), Nicolas Schmit (Arbeitskommissar) und dem Außenbeauftragten Josep Borrell, von der Leyen für die Ernennung ihres Parteifreunds. In Brüssel sprach man vom „Piepergate“.

Die Kommissare forderten eine Debatte darüber, wie die Entscheidung zustande kam. Doch da sie die Kritik erst Wochen nach Piepers Ernennung äußerten und nur zwei der vier Kommissare zu einem Termin erschienen, bei dem die Sache geklärt werden sollte, wurde die Intervention als reines Wahlkampfmanöver abgetan. Mit Konsequenzen rechnete niemand – bis Pieper selbst die Reißleine zog.
Wie in Brüssel zu hören ist, soll sich Pieper dahingehend geäußert haben, dass er unter Breton nicht arbeiten könne und dass er von von der Leyen nicht genügend Rückendeckung bekommen habe.
Als „vergiftet“ bezeichnet ein EU-Beamter das Verhältnis zwischen von der Leyen und Breton. Deutlich wird das auch an einem Tweet, für den Breton anschließend gerügt wurde:
In dem Tweet deutete er an, dass von der Leyen von der EVP gar nicht mit so einer großen Mehrheit als Spitzenkandidatin gewählt wurde. Wie sich hinterher herausstellte, waren zu dem Zeitpunkt, zu dem Breton den Tweet abgesetzt hatte, die Stimmen aber noch gar nicht komplett ausgezählt.
Für von der Leyen könnten die jüngsten Ereignisse nun Konsequenzen haben. Die EVP dürfte aktuellen Umfragen zufolge zwar stärkste Kraft im EU-Parlament werden. Die 27 Staats- und Regierungschefs müssen die Spitzenkandidatin allerdings daraufhin als Kommissionspräsidentin ernennen und das Parlament muss die Ernennung bestätigen.
Ob es wieder mit einem Bündnis aus der konservativen EVP, den Sozialdemokraten und den Liberalen reicht, ist noch nicht ausgemacht. Grund dafür ist der starke Zuwachs der rechten Parteien.



Andere Kandidaten bereits im Gespräch
Von der Leyens Kritiker bringen inzwischen andere Namen ins Gespräch für den Topjob in Brüssel. Dazu gehören der kroatische Premierminister Andrej Plenkovic und EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola aus Malta. Es ist ein offenes EU-Geheimnis, dass sich auch Breton selbst zu Höherem berufen fühlt. Doch auch seine eigene Zukunft ist ungewiss.
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