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Europa-KolumnePolen hat weiter Chancen auf Milliarden aus Brüssel

Beobachter spekulieren, dass Polen bald 4,68 Milliarden Euro zugesagt werden. Das würde den Streit mit Warschau beruhigen – und einen mit Berlin auslösen.Christoph Herwartz 07.12.2021 - 11:18 Uhr Artikel anhören

Christoph Herwartz, Korrespondent im Handelsblatt-Büro in Brüssel, analysiert Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der EU. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: herwartz@handelsblatt.com

Foto: Handelsblatt

Brüssel. Es sind so viele Schauplätze, auf denen sich Polen und die EU gerade zanken, dass alles gleichzeitig passiert. Der Weg wird frei für harte Maßnahmen gegen Warschau, gleichzeitig deutet sich eine Entspannung an.

Ursula von der Leyen habe den Polen versprochen, dass sie bald erste Auszahlungen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds bekommen sollen, behaupten Beobachter in Brüssel. Das Geld wird in Warschau ungeduldig erwartet. Es geht um insgesamt 36 Milliarden Euro. Die ökonomische Bedeutung des Wiederaufbaufonds ist in kaum einem EU-Land so groß wie in Polen.

Außerdem fordert Polen Unterstützung bei der Abriegelung der Grenze zu Belarus und drohte schon damit, Flüchtlinge nach Deutschland durchzuleiten. Auch die EU-Kommission hat ein Interesse daran, dass sich dort keine neue Fluchtroute etabliert. Kaum etwas könnte von der Leyen weniger gebrauchen als einen neuen Streit darüber, wo die Flüchtlinge unterkommen sollen.

Doch an einer Finanzierung von Grenzzäunen will sich die Kommission lieber nicht beteiligen. Eine Auszahlung der Wiederaufbaufonds-Gelder könnte Polen motivieren, die völkerrechtlich fragwürdige Mission an der Grenze auf eigene Faust und eigene Kosten weiterzuführen, ohne die EU zu sehr mit hineinzuziehen. Der Zeitpunkt wäre also günstig, der polnischen Regierung jetzt die erste Tranche von 4,68 Milliarden Euro zuzusagen, die ihr ja im Prinzip zusteht.

Allerdings hat sich die Kommission auch zusichern lassen, dass Polen erst etwas an seinem kaputt reformierten Justizsystem repariert, bevor Geld aus Brüssel fließt. Das aber passiert bisher nicht, wie kürzlich auch der Europäische Gerichtshof noch einmal feststellte und eine tägliche Strafzahlung von einer Million Euro aussprach, die Polen jedoch nicht zahlt.

EU-Abgeordnete klagen gegen die Kommission

Außerdem stellte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs keine Mängel am Rechtsstaatsmechanismus der EU fest, womit es wahrscheinlicher wird, dass die EU-Kommission dieses Mittel im kommenden Jahr einsetzen wird. Das könnte Polen Milliarden kosten.

Eine große Mehrheit der Europaabgeordneten ist ohnehin schon unzufrieden damit, dass die EU-Kommission seit Monaten nur abwartet, anstatt den Rechtsstaatsmechanismus einzuleiten. In dieser Situation Wiederaufbaugelder zu überweisen, würden viele als ultimative Provokation empfinden. Rechtlich haben die Abgeordneten aber ihr Pulver verschossen. Sie klagen schon gegen die Kommission wegen Untätigkeit.

Die Gelder aus dem Fonds könnte nur eine Mehrheit der Mitgliedstaaten aufhalten. Die meisten von ihnen sind an Streit eher nicht interessiert.

Doch die neue Bundesregierung hat sich darauf geeinigt, besonders genau hinzuschauen. Die Kommission solle die bestehenden Rechtsstaatsinstrumente konsequenter nutzen, heißt es im Koalitionsvertrag. Außerdem steht dort, dass man Überweisungen nur unter der Bedingung zustimmt, dass „Voraussetzungen wie eine unabhängige Justiz“ gesichert sind – eine klare Anspielung auf die aktuelle Situation mit Polen.

Sollte die EU-Kommission also tatsächlich Geld für Polen zusagen wollen, bräuchte sie dazu mindestens ein Zugeständnis der Regierung in Warschau, dass sich am Justizsystem bald etwas ändert. Außerdem kann sie betonen, dass zunächst nur eine erste Tranche gezahlt wird, die sogar wieder zurückgefordert werden kann, wenn die Bedingungen nicht erfüllt werden.

Und auf noch etwas wird man in Brüssel genau achten: die Art der Scheckübergabe. Von der Leyen hat die bisherigen Bewilligungen genutzt, um der jeweiligen Regierung einen Besuch abzustatten und diesen für die Kameras in Szene zu setzen. Wenn die EU in der Krise mit Milliarden zu Hilfe eilt, dann sollen es die Bürger auch mitbekommen.

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Ein freundliches Klopfen auf die Schulter des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki hätte allerdings eine ganz andere Wirkung. Morawiecki hat in den letzten Monaten keine Gelegenheit ausgelassen, über die EU zu schimpfen und zu drohen. Sollte von der Leyen darüber hinweglächeln, würde das perfekt illustrieren, was ihr viele in Brüssel vorwerfen: dass sie zwar gern von Werten und Prinzipien spricht, im Ernstfall aber einknickt.

Mehr: „Kommt der Polexit, ist unser Geschäft tot“ – Polens Firmen fürchten den Austritt

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