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GeoeconomicsEuropa braucht neue Ideen, mutige Formate und starke Führung

Die anfängliche Schockstarre Europas ist politischer Initiative und neuen Schulterschlüssen gewichen. Das ist gut so, denn wir erleben einen gefährlichen Moment.Daniela Schwarzer 06.03.2025 - 17:29 Uhr Artikel anhören
Daniela Schwarzer ist Vorständin der Bertelsmann-Stiftung und verantwortet dort die Programme und Projekte zur Zukunft Europas. Foto: Klawe Rzeczy, Bertelsmann Stiftung

In diesen Wochen wird Geschichte geschrieben. Donald Trump zieht die USA als Unterstützer der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland und als Sicherheitsgarant Europas ab. Manche Europäer reiben sich noch die Augen ob der radikal veränderten geopolitischen Lage. Doch die anfängliche Schockstarre ist politischer Initiative und neuen Schulterschlüssen gewichen. Das ist gut und muss weitergehen.

Der Gipfelmarathon der vergangenen Wochen, Initiativen einzelner Politiker und die Arbeit der Europäischen Kommission erlauben es Europa, Schritt für Schritt die Unterstützung der Ukraine und als mittelfristiges Ziel seine eigene Verteidigung sicherzustellen – mit nur noch begrenzter Unterstützung der USA oder ganz ohne sie.

Wenn Ratspräsident António Costa die EU-Staats- und -Regierungschefs und Gäste an diesem Donnerstag zum zweiten Sondergipfel zusammentrommelt, geht es jedoch nicht nur um Europas Eigenständigkeit. Bei allem gebotenen Realismus hinsichtlich Trumps Verlässlichkeit sollte Europa seine Botschaft ihm gegenüber schärfen.

Zuallererst muss der europäische Rückhalt für die Ukraine gestärkt werden, nachdem der US-Präsident die amerikanischen Militärhilfen eingefroren hat. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, den Trump und sein Vize J.D. Vance vergangenen Freitag öffentlich vorgeführt haben, spielte seither mit einem geschickten Verhandlungsangebot den Ball zurück nach Washington.

Die Teilnehmer am Brüsseler Gipfel sollten nun die Verhandlungseröffnung mit der Ukraine befürworten und sie gleichzeitig stärker militärisch unterstützen, denn Russland zeigt bislang keinen Verhandlungswillen. Im Gegenteil: Die Ukraine braucht angesichts verstärkter Angriffe mehr Luftverteidigung und Drohnenabwehr, Raketen und Munition sowie verlässliche Aufklärungsdaten.

Zu einem Abkommen gehören Sicherheitsgarantien

Die Europäer sollten zweitens unterstreichen, dass ein Waffenstillstand ein umfassendes Abkommen braucht. Dazu gehören Sicherheitsgarantien: Europa wird dafür Bodentruppen und Luftabwehr bereitstellen müssen, um den Preis eines neuen russischen Angriffs zu erhöhen.

Für eine große Abschreckungskraft müssen aber die USA zumindest übergangsweise eingreifen, sollte Wladimir Putin die Sicherheitsgarantien testen oder diejenigen bedrohen, die sie bereitstellen. Russlands Präsident darf bei ihrer Gestaltung keine Mitsprache und schon gar kein Veto eingeräumt werden. Seine Reaktion darauf ist ein Lackmustest für seine eigentlichen Absichten.

Verteidigung

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Drittens müssen die Europäer sehr schnell ihre Verteidigung ohne die USA planen – es wäre unverantwortlich, von einer längeren Übergangsphase auszugehen: Sie müssen kritische Fähigkeitslücken schließen und strategische Abhängigkeiten reduzieren, idealerweise im Rahmen der Nato, um vorhandene Strukturen zu nutzen. Die europäische Verteidigungsindustrie muss gestärkt und die Beschaffung flexibilisiert werden.

Zustimmung für den Aufrüstungsplan aus Brüssel

Die EU trägt hierzu bei: Mitte März legt der erste Verteidigungskommissar Andrius Kubilius sein Weißbuch zur Zukunft der Verteidigung vor, und bei Costas Sondergipfel sollten die EU-Staaten den Aufrüstungsplan von Ursula von der Leyen unterstützen. Demnach sollen die EU-Schuldenregeln mit Ausweichklauseln für Verteidigungsausgaben flexibilisiert und ein neues kreditbasiertes Finanzierungsinstrument mit 150 Milliarden Euro für Investitionen geschaffen werden.

Insgesamt sollen so bis zu 800 Milliarden Euro mobilisiert werden. Falls Ungarn oder die Slowakei dies blockieren, sollten die willigen Regierungschefs klarstellen, dass sie für Finanzierungsinstrumente Rechtsgrundlagen nutzen können, die keine Einstimmigkeit erfordern.

Sicherheit

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Neue Zeiten brauchen neue Initiativen, Formate und entschiedenes Leadership. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Keir Starmer führen Europa im Aufbau europäischer Sicherheitsgarantien und pflegen das schwierige Verhältnis zu Trump. Der tiefe Graben, den der Brexit in Europa hinterlassen hat, wird durch pragmatische Kooperation und wachsendes Vertrauen zumindest teilweise zugeschüttet.

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Deutschland ist aufgrund der ausstehenden Regierungsbildung kaum präsent, doch die Entscheidung der Spitzen von CDU/CSU und SPD, die Schuldenbremse kurzfristig an die neuen geopolitischen Herausforderungen anzupassen, ist ein enorm wichtiges Signal an die Europäer und Amerikaner.

Die neue geopolitische Situation erfordert schnelle Maßnahmen – durch europäische Regierungen, innerhalb und zwischen EU und Nato sowie über den Atlantik hinweg. Da die geopolitischen Konflikte auch in die EU hineinreichen, ist das Gebot der Stunde, dass die willigen Staaten vorangehen, wo immer sinnvoll unter Nutzung der bestehenden Strukturen von Nato und EU. Klarheit, Mut und Flexibilität sind entscheidend, denn die aktuelle historische Zäsur ist ein sehr gefährlicher Moment für Europa.

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