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GeoeconomicsMacrons Russland-Kurswechsel erschwert das Verhältnis zu Berlin

Besiegen statt Beschwichtigen: Frankreich hat sein Auftreten gegenüber Russland gründlich verändert. Die deutsch-französische Zusammenarbeit wird damit noch komplizierter.Claudia Major 29.03.2024 - 10:35 Uhr
Die Autorin: Claudia Major ist eine deutsche Politikwissenschaftlerin und Forschungsgruppenleiterin für Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik. Foto: Klawe Rzeczy, Getty, PR

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schließt westliche Bodentruppen für die Ukraine nicht mehr aus – und Berlin wirkt noch verärgerter über Paris als sonst. Kanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte den Vorschlag mehrfach empört ab. Macron will strategische Ambiguität, aber Scholz möchte lieber, dass der Westen für Moskau berechenbar bleibt. Wieder zieht Deutschland rote Linien für die Unterstützer der Ukraine statt für Putin.

Die Kanzlerpartei SPD ging sogar noch einen Schritt weiter: Als ihr Fraktionschef Rolf Mützenich einige Tage später vom „Einfrieren“ des Kriegs sprach, öffnete er eine Tür, hinter der sich ein Weg zu einer faktischen Anerkennung der russischen Annexionen verbirgt. Das würde Putins Regime stabilisieren.

Russische Niederlage oder Einfrieren des Krieges: Drastischer lassen sich die Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich kaum fassen. Aber so einfach sind weder die deutsche noch die französische Position.

Denn der SPD-Fraktionschef spricht zwar von „Einfrieren“ – gleichzeitig betont er aber, wie notwendig die Unterstützung der Ukraine ist. Seine Worte haben Gewicht: Deutschland ist in absoluten Zahlen der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine nach den USA. Ja, gemessen am BIP ist Deutschland nur Mittelfeld, aber die finanzielle, humanitäre und militärische Unterstützung ist beeindruckend.

Aber es fehlt etwas Wichtiges: ein Ziel. Russland soll nicht siegen – aber was heißt das für die Ukraine? Die fehlende Marschrichtung ist es, die Deutschland trotz der gewaltigen Unterstützung so seltsam zögerlich aussehen lässt. Deshalb führt die Weigerung des Kanzlers, den Marschflugkörper Taurus zu liefern, zu wilden Vermutungen bei Deutschlands Partnern: Ist Berlin ein stabiles Russland vielleicht doch wichtiger als der Sieg der Ukraine?

Soldaten in der Ukraine? Macron erklärt sich klar

Macron ist im Kontrast dazu erfrischend klar: Der Krieg sei eine existenzielle Bedrohung für Europa und eine russische Niederlage daher unausweichlich. Wenn es Kiew mit der bisherigen Unterstützung nicht gelingt, das eigene Land zu befreien, müsse man eben neue Ansätze wagen, so die Argumentation in Paris.

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Dazu gehört die Idee, dass Koalitionen der Willigen westliche Soldaten in die Ukraine entsenden. Nicht für Kampfeinsätze, sondern (zunächst) zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte, etwa bei Ausbildung und Minenräumung, damit die Ukrainer sich auf den Kampf konzentrieren können. Polen, die Balten, Großbritannien fanden die Idee gut. Washington und Berlin? Unmöglich!

Treten bei der Frage nach Hilfe für die Ukraine sehr unterschiedlich auf: Emmanuel Macron und Olaf Scholz. Foto: Bloomberg

Nur: Paris findet starke Worte, aber tut bislang vergleichsweise wenig. Es liegt bei der Unterstützung weit hinter Deutschland. Frankreich liefert zwar hochwertige Ausrüstung wie den Marschflugkörper Scalp, eine dem deutschen Taurus ähnliche Rakete. Aber Macrons Worte wären viel glaubwürdiger, wenn er sie materiell untermauern würde.

Was zeigt der Vergleich also? Berlin tut viel und spricht wenig, Paris spricht viel, tut aber wenig. Beides lässt Raum für Zweifel.

Frankreich hat eine Kehrtwende hingelegt

Aber vielleicht bewegt sich in Frankreich noch etwas. Denn die Haltung des Landes hat sich in den vergangenen zwei Jahren stark verändert. Noch 2022 sprach Macron davon, dass Russland nicht erniedrigt werden sollte. Nachdem Putin viele Verhandlungsinitiativen verworfen, den Krieg weiter eskaliert und die nukleare Ordnung unterminiert hatte, schlussfolgerte Macron, dass Russland eine strukturelle Bedrohung ist und Europa – und Frankreich – sich anders aufstellen muss.

Das erklärte er in einer Rede in Bratislava im Mai 2023. Es war ein Gang nach Canossa, denn Macron erkannte vor osteuropäischem Publikum an, dass er nicht genug zugehört und einiges falsch gemacht hatte.

Das ist die französische Zeitenwende. Macron will immer noch ein souveränes, eigenständiges Europa. Aber er erkennt an, dass Putins Krieg den Weg dahin verändert. Das Ziel bleibt, aber Frankreich hat seine Politik in vielen Bereichen vom Kopf auf die Füße gestellt.

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Früher war es gegen eine EU-Erweiterung, weil es befürchtete, dass eine erweiterte EU handlungsunfähig wäre. Heute ist es dafür, weil es die Erweiterung als geopolitisches Stabilisierungsinstrument für die Ukraine und den Balkan ansieht, das den russischen Einfluss zurückdrängt. Früher war Paris gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine, jetzt unterstützt es ihn als Mittel, um Kiew langfristig Sicherheit vor Russland zu garantieren. Früher schickte Frankreich ungern Truppen für die Nato, die es als zu US-dominiert ansah, nun führt es seit 2022 die neue multinationale Battlegroup in Rumänien.

Bleibt zu wünschen, dass Deutschland und Frankreich im gemeinsamen Interesse für Europa endlich an einem Strang ziehen: damit Russlands Truppen in der Ukraine gestoppt werden und nicht bei uns, auf Nato- und EU-Territorium, gestoppt werden müssen.

Mehr: Der Kanzler nennt den Umgang mit dem Thema Ukraine-Hilfen besonnen – oder ist es Selbstabschreckung?

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