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Kolumne „Kreative Zerstörung“ Das Geschäft mit dem Untergang blüht weiter

Wird die KI uns auslöschen? Nicht zum ersten Mal sagen sich die Menschen den kollektiven Selbstmord voraus. Daran verdienen nur die Angst- oder Frustbeschleuniger, meint Miriam Meckel. 12.03.2024 - 19:29 Uhr
In dieser Kolumne schreibt Miriam Meckel 14-täglich über Ideen, Innovationen und Interpretationen, die Fortschritt und ein besseres Leben möglich machen. Foto: Klawe Rzeczy

Frust ist die neue Pandemie. Wo immer man mit Menschen zusammensitzt, gerät nahezu jedes Gespräch zum Klagelied. Ins Zentrum der Debatte rücken die drei Ws des Wandels: Wer, wann und wie? Wer kann unser Land, uns alle, endlich aus der Misere führen? Wann fangen wir an, etwas gegen den Untergang zu tun? Und wie kann das überhaupt gelingen?

Bei der letzten Frage ist dann in der Regel der Punkt erreicht, an dem alle auf die Tischplatte oder tief ins Glas schauen. Betretenes Schweigen setzt ein. Wenn Berater am Tisch sitzen, folgt eine Intervention, die mit „Man muss jetzt einfach mal …“ beginnt und die Worte „Trade-offs“, „radikal“ und „abschichten“ enthält. Dann gehen irgendwann alle ins Bett – morgen ist ein neuer Tag mit alten Problemen.

Wir leben in einer Zeit der Polykrisen: Die Wirtschaft lahmt, die Ausläufer der Corona-Pandemie plagen uns weiter, der Ukrainekrieg gerät zum Dauerbegleiter, und eine atomare Auseinandersetzung scheint seit vielen Jahrzehnten wieder in den Bereich der Möglichkeiten gerückt zu sein.  Der Israel-Gaza-Konflikt wird zum Spaltpilz fast jeder Debatte, weil die Gesprächspartner in der Zwickmühle empathischer Doppeldeutigkeit und deutscher Geschichte hilflos gefangen sind.

Und jetzt droht auch noch die Künstliche Intelligenz uns Menschen an den Rand zu drängen oder gar auszulöschen. Wie kann man noch Kinder in eine solche Welt setzen? Sollen wir uns alle umbringen?

Ist die Menschheit zum Scheitern verurteilt?

Diese Frage hat schon mal jemand gestellt. Es war der spätere britische Premierminister Winston Churchill. In einem Essay, publiziert im September 1924 während einer kurzen Pause zwischen verschiedenen Regierungsämtern, führte er einen Gedanken aus, der den Politiker und Staatsmann durch sein Wirken begleitete: Die Menschheit ist zum Scheitern verurteilt.

„Die Geschichte des Menschengeschlechts ist Krieg“, schreibt Churchill. „Abgesehen von kurzen und prekären Zwischenspielen hat es nie Frieden in der Welt gegeben; und bevor die Geschichte überhaupt begann, war mörderischer Streit universell und endlos.“ Damit stellt er sich in eine Reihe von Apokalyptikern und Untergangspropheten, die es für unabdingbar halten, dass die Reihung von (selbstgemachten) Katastrophen die Menschheit ins Unglück führt.

Churchill bietet in seinem Text aber eine besonders interessante Erklärung: „Bis heute haben die dem Menschen zur Verfügung stehenden Zerstörungsmittel mit seiner Wildheit nicht Schritt gehalten“, so schreibt er.

Nun aber, wo sich die „Wissenschaft an die Seite des Kriegs“ gestellt hat, begegnen wir ständig der Möglichkeit einer Auslöschung durch „Katastrophen, im Vergleich zu denen die von uns erlittenen nur eine blasse Vorstufe sein werden“. Das ist keine Erbauungslektüre. Vor allem aber wissen wir im Rückblick auf die Geschichte, dass die Prognose so nicht stimmt. 

Es sind immer Menschen, die bestimmen, ob neue Technologien zum Guten oder zum Schlechten verwendet werden.
Miriam Meckel
Kommunikationswissenschaftlerin

Es ist wahr, dass Wissenschaft und technologischer Fortschritt immer zwei Seiten haben. Man kann mit einem Hammer einen Nagel in die Wand oder einem anderen Menschen den Kopf einschlagen. Die Entscheidung darüber, wozu er eingesetzt wird, trifft nicht der Hammer. Es sind immer Menschen, die sie treffen und bestimmen, ob neue Technologien zum Guten oder zum Schlechten verwendet werden.

Obwohl man das in jeder historischen Phase der Menschheit sehen kann, glauben viele immer wieder neu, dass dieses Mal alles anders ist. Etwa alle einhundert Jahre sind wir wieder an dem Punkt, uns baldigen kollektiven Selbstmord vorherzusagen. Wie sonst lässt sich beispielsweise die Debatte um die Auslöschung des Menschen durch Künstliche Intelligenz interpretieren?

„Es muss eine globale Priorität sein, das Risiko des Aussterbens der Menschheit durch KI neben anderen gesellschaftlichen Risiken wie Pandemien und Atomkrieg einzudämmen,“ so heißt es in einem der vielen öffentlichen Briefe von Experten, die zu diesem Thema schon das Licht der Welt erblickt haben und von ansonsten durchaus ganz vernünftigen Menschen wie Bill Gates unterschrieben wurden.

Jede Generation glaubt daran, dass sie selbst die letzte sein werde, sagt der US-Wissenschaftshistoriker Tyler Austin Harper – auch wenn bislang nichts dafürspricht. „Unsere Geschichte ist kein Abschiedsbrief“, schreibt die britische Schriftstellerin Jeanette Winterson, „sie ist eine Aufzeichnung unseres Überlebens.“

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Das Geschäft mit dem bevorstehenden Untergang blüht trotzdem weiter. Es verdienen daran diejenigen, die sich als Angst- oder Frustbeschleuniger betätigen. Denn ihr Geschäftsmodell ist die Reaktivität: Menschen, Politikerinnen und Wirtschaftslenker dazu zu bringen, im Zickzackkurs möglichen Problemen hinterherzulaufen, anstatt sich in Ruhe und strategisch mit den besten Lösungen auseinanderzusetzen.

Es verdienen diejenigen, die helfen, alles immer weiter ein bisschen, aber nichts richtig zu machen. Und diejenigen, die Zwietracht angesichts der großen Krise säen, weil sie der beste Nährboden für unlautere Angebote ist. Angst isst nicht gleich die Seele aus, sie frisst zuallererst den Verstand.

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